KEVIN MORBY – Interview

Foto-© Barrett Emke

Langsam, aber sicher hat sich Kevin Morby zu einem festen Bestandteil der Wahrnehmung entwickelt. Zuerst war der Sänger und Songschreiber Mitglied in den Indie-Bands Woods und The Babies, seit 2013 veröffentlicht er Soloalben. Großen Anteil nahm man vor drei Jahren an Singing Saw. Er ist ein Typ, der an traditionellem Wurzelwerk festhält, Dylan, The Band, Lou Reed, Nina Simone und Television liebt. Er erweitert seinen Klang aber auch stimmig mit elektronischen Add-Ons, Mariachi-Bläsern und Lauten der singenden Säge. Auch Gospel, Afro-Jazz oder Kirchenmusik haben es ihm angetan. Das neue Album Oh My God wirft auch wegen des Titels Fragen auf. Auf was zielen seine messerscharfen Formulierungen dieses Mal ab? Geht es um Gebete oder Blasphemie? Zeit für ein klärendes Gespräch.

Singing Saw entstand in Kalifornien, City Music in New York. Welcher Ort spielte bei der Entstehung deines neuen Albums eine Rolle?
Ich habe mich viel in Kansas City aufgehalten, aus der Gegend komme ich ursprünglich. Zugleich habe ich viel Zeit in Los Angeles und New York verbracht. Der Reisevorgang an sich war dieses Mal besonders wichtig. Ohne meine Anwesenheit in Flugzeugen wäre dieses Album so nicht zustande gekommen.

Über den Wolken kann die Freiheit so grenzenlos sein, hat ein deutscher Liedermacher mal geträllert. Du kannst diese Aussage scheinbar nachvollziehen.
Unbedingt, ja. Man kommt dem Himmel bei Flügen ein Stück näher, das hat sicher seinen Einfluss. Das Leben da oben kann schon beängstigen, weil man sich in der Luft befindet. Aber ich kann dort klar Gedanken fassen. Davon habe ich als Songschreiber profitiert. Die ersten Ideen entstanden unten am Boden. Richtig Form nahm alles im Flieger an. Klar werden uns oft Filme gezeigt und spielt WLAN heute eine Rolle, aber ich finde schon, dass ich als Passagier gut Distanz zum normalen Leben aufbauen kann. Das beflügelt die Kreativität.

Das Album heißt nicht Sky Trails, sondern Oh My God. Haben wir ein religiös gefärbtes Album vor uns?
Ich gehöre keiner Religion an und habe nie eine ausgeübt. Ich würde mich als spirituelle, nicht als religiöse Person bezeichnen. Niemand muss erwarten, dass ich zum Genre des Christian Rock übergelaufen bin (lacht). Ausgangspunkt war der Song Beautiful Strangers, den ich 2016 geschrieben habe. In ihm wiederhole ich ständig die Worte “Oh My God”. Daraus wurde für mich eine Art Mantra. Als sich das Geschehen in der Politik änderte, das Rassenthema befeuert wurde und mehr und mehr Gewalt auf der Straße und in Schulen zum Ausbruch kam, gab es für mich nur eine emotionale Reaktion: Oh my God! Daraus wurde ein thematischer Faden.

Hast du dir die Frage gestellt, wie man als amerikanischer Songschreiber am besten auf das derzeit Offensichtliche zu sprechen kommt, auf Trump und die Spaltung der Gesellschaft?
Ich setzte mich an die Texte und merkte, wie vieles automatisch in eine Richtung ging. Ich wollte bestimmte Ereignisse aus den letzten zweieinhalb Jahren kommentieren, man sollte sie auf keinen Fall vergessen. Aber dann überschlug sich alles, kam man überhaupt nicht mehr davon los. Das war mir dann echt zu viel zu Guten. Ich brauchte eine Atempause und dachte mir, dass es wegen ihrer Allgegenwart nicht angebracht sei, direkt über die Themen des Tages und den Schock darüber zu sprechen. Ich hielt es für besser, alles auf eine metaphorische Ebene zu bringen. So weiß man auch in Zukunft, worum es geht. Der Hörer wird von der Bedeutung nicht gleich erschlagen.

Bei Piss River würde ich schon sagen, dass die Bedeutung recht klar wird.
(lacht) Wenn ich eine Wahl zu treffen hätte, wäre das mein Lieblingssong auf dem Album. Darin kommt einiges zusammen. Der Fluss, um den es geht, ist ein gedachter. Er verläuft außerhalb der sozialen Norm und einem Zustand, an dem sich die Gesellschaft normalerweise befindet. Auf der Welt war vorher alles in Ordnung, aber jetzt bricht vieles davon zusammen, ergießt sich dieser Strom voller Fäkalien über uns, muss man ständig Katastrophenmeldungen über sich ergehen lassen. Immer nur Tod, Hass, Krieg, Zerstörung und kein Anzeichen von Vernunft – da wirst du wahnsinnig. Ja, ich sage es in diesem Song ganz klar und deutlich: Wir stecken in einer absoluten Drecksituation und finden keinen Ausweg, gerade bei uns in Amerika. Man ertappt sich jetzt schon dabei, dass man nicht mehr das Haus verlassen möchte, weil man Angst hat, dass irgendein Irrer auftaucht und alles vor dir wegballert. Es ist wirklich unangenehm, dass man im Jahr 2019 so denken muss.

Vor dem Hintergrund der inneren Aufwallung über die Zustände überrascht die sensibel, introvertiert und minimal ausgerichtete Musik dem Album. Sie passt aber zum himmlischen Kontext, über den du gesprochen hast. Was war der Plan?
Mein Produzent Sam Cohen und ich haben uns in der ersten Woche hingesetzt, die Band zu uns gerufen und ein paar Songs aufgenommen. Das war alles nicht schlecht, hörte sich aber auch so an, als würden wir ,Singing Saw‘ ein zweites Mal einspielen. Sam kam dann die Idee, alles in die Einzelteile zu zerlegen. Die Band bekam eine Pause, er setzte sich an die Orgel und sagte mir, dass ich mich voll auf die Texte und die Rolle als Sänger konzentrieren soll. Schon beim ersten Song lief es. Alles passte gut zum, sagen wir, heiligen Gefühl, das in dieser Platte steckt. Man kann nicht ernsthaft in eine gefühlte Kathedrale gehen und die Gitarre voll aufdrehen, das wäre unangemessen bombastisch. Mit Stimme und Orgel kamen wir der himmlischen Zielrichtung viel näher.

Du selbst spielst neben der Gitarre auch Piano und Orgel. Vielfalt macht den Meister?
Ich habe vor vier Jahren begonnen, Piano zu spielen. Nachdem ich es lange nur mit der Gitarre versucht habe, fühlte sich der Wechsel zum anderen Instrument befreiend an. Die Intonierung ist anders und macht den Song besser. Es gibt da eine äthiopische Jazz-Pianistin, deren Namen ich echt nicht aussprechen kann. Sie heißt Emahoy und noch etwas (Emahoy Tsegué-Maryam Guèbrou, d. Verf.). Sie sitzt alleine am Piano und entwickelt diesen magischen Flow. Sie war eine äthiopische Nonne, hatte keine richtige Ausbildung, setzte sich einfach hin und spielte. Ich finde das ganz toll. Sie hat mich genauso beeinflusst wie Nina Simone mit ihren Piano-Alben.

Weltmusik, wie sie weithin genannt wird, interessiert dich also, hilft dir auf die Sprünge?
Ich stehe besonders auf Bombino, Tinariwen, Mulatu Astatke und brasilianische Musik. Natürlich verstehe ich oft kein Wort und gibt es manchmal gar keine Texte. Das mag sich aus meinem Mund total absurd anhören, wenn man bedenkt, wie sehr mich Leonard Cohen oder Townes Van Zandt mit ihren Worten beeindruckt haben. Aber die sogenannte Weltmusik eröffnet andere Perspektiven. Eine Bedeutung erschließt sich über das Spiel der Instrumente und kann individuell interpretiert werden. Manchmal höre ich Stücke und denke mir, dass es dem Musiker um den Ausdruck eines Liebesgefühls geht. Aber ich weiß es nicht genau, das macht es spannend. Aus diesem Grund befindet sich auf meinem neuen Album auch ein Instrumentalstück.

Wir sollten auch ein paar Worte über ein ebenfalls auf Oh My God auftauchendes Instrument verlieren, das ähnlich wie das Piano unter Rock-Puristen als umstritten gilt. Du setzt auch gerne das Saxofon ein.
Das ist auch kein aus dem Moment kommendes taktisches Ding. Ich liebe auch dieses Instrument sehr. Es passt für mich wunderbar zu der spirituellen und beseelten Musik auf dieser Platte.

Du nennst jetzt bestimmt gleich den Namen Gétatchèw Mèkurya.
(lacht laut) Haha, sehr gut erkannt und auch sehr gut ausgesprochen, glaube ich. Ja, er hat zusammen mit Mulatu Astatke gespielt. Sein Sound ist sehr eigen. Einerseits hört sich bei ihm alles wie mit einem Reibeisen behandelt an. Manchmal hat man auch das Gefühl, es umsurren ihn Insekten und er spielt dazu. Dieser natürlich-instinktive Umgang mit dem Instrument ist überragend. Hört ihn euch an, Leute! Ich mag auch, wie Lou Reed oder Yoko Ono dieses Instrument eingesetzt haben. Es hört sich bei ihnen experimentell an. Auch die Rolling Stones muss ich nennen. Es steckt viel Soul in ihrem Saxofon-Sound. Und dann wäre da natürlich noch Clarence Clemons in der E-Street-Band von Bruce Springsteen. Ich war im letzten Jahr bei einem Auftritt von Bruce am Broadway, da hat er Clarence noch einmal richtig abgefeiert. Ich finde es übrigens erstaunlich, wie fit Bruce immer noch ist. Er ist ja nicht mehr der Jüngste. Er und Paul McCartney müssen auf besondere Ernährung setzen. Ihr Speiseplan würde mich schon interessieren…. (lacht).

Womit wir beim Thema Gesundheit angelangt wären. Wie oft hast du denn „Oh mein Gott!“ gerufen, als du vom Tod vieler bekannter Musiker in letzter Zeit gehört hast?
Die Reaktion kam ziemlich oft, das kannst du mir glauben. Das mit Tom Petty war bei mir sehr eigenartig. Ich saß mit Jim James von My Morning Jacket und einigen Freunden spät zusammen. Wir sprachen über dieses gesamte Thema und gingen durch, welches Ableben welcher Person uns am traurigsten machen würde. Es fielen die Namen von Paul und Bruce, aber auch der von Tom Petty. Ich war nie ein riesengroßer Fan von ihm, aber wir fanden alle, dass es wirklich fürchterlich wäre, wenn er von uns gehen würde. Und was geschah? Er starb am nächsten Tag. Das ist doch total verrückt! Da sitze ich mit ein paar Freunden in einer Bar in New York um 2 Uhr morgens und am nächsten Tag hören wir von einem Tod, den wir im Gespräch praktisch vorausgeahnt haben. Weißt du, das geht alles schon sehr nahe. Der Tod von Prominenten berührt die Menschen besonders. Man kennt die Personen nicht, aber es fühlt sich so an, als ob sie zum Leben dazugehören. Ohne sie fühlt sich unsere ganze Welt viel einsamer an.

Das gilt in deinem Fall auch für den Verlust von Richard Swift, der dein Album City Music produziert hat, oder?
Ohne ihn fühlt es sich wirklich einsamer an. Ich habe Richard geliebt, aber auch gespürt, welche dunklen Schatten und Schmerzen ihn belasteten. Das Leben war nur noch ein konstanter Kampf für ihn. Ich habe mit ihm wenige Monate vor seinem Tod gesprochen und er wirkte auf mich so, als hätte er sich von dieser Welt innerlich verabschiedet. Ich bin da kein Experte, aber wenn eine Person wie er alkoholkrank ist, kommt irgendwann der Punkt, an dem sie nicht mehr unter uns ist. Aber man muss das auch verstehen. Er machte nach dem Tod seiner Schwester und seiner Mutter eine harte Zeit durch. Ich glaube, er hat nach einem Ort gesucht, wo er wieder bei ihnen sein kann. Ich hoffe, er hat dort seinen Frieden gefunden. Er war ein sehr talentierter Mann. Er eröffnete mit seinem Gefühl für Klang und Atmosphäre neue Horizonte.

Es war eine bewegte Zeit, für dich und für uns alle. Inwieweit wird diese Erfahrung bei den kommenden Konzert zum Ausdruck kommen?
Ich werde zuerst mit einer achtköpfigen Band auftreten. Das wird ein ganz schöner Akt werden, darauf freue ich mich. Der zweite Teil der Tour wird minimaler ablaufen. Dann treten nur ich und ein Trompeter auf. Auf diese Weise kann ich sowohl die größeren als auch die minimaleren Aspekte der Musik auf die Bühne bringen. Man muss die Zeit einfach nutzen, die man hat. Ich probiere gerne etwas aus und hoffe, dass es funktioniert.

Kevin Morby Tour:
15.06. Festsaal Kreuzberg, Berlin – ausverkauft
16.06. Maifeld Derby Festival, Mannheim
22.06. Kunst, Hamburg