HEIMSPIEL KNYPHAUSEN – von Wein, Musik & Stagedives


Foto-© Kalleknipst

Das schöne kleine Festival Heimspiel Knyphausen findet auf dem Draiser Hof, genauer gesagt dem Weingut der Familie Knyphausen statt. Seit 900 Jahren existiert dieser Hof schon und seit 200 Jahren ist er in Familienbesitz. Das erzählt uns Knyphausen Senior als Begrüßung auf der Festivalbühne. Seine Zwei Söhne, der eine hat sich dem Wein verschrieben, der andere, Gisbert zu Knyphausen, der Musik, informieren uns über das Organisatorische. Dank Gisbert findet seit 2009 das Heimspiel Knyphausen statt. Der Liedermacher performte damals anlässlich einer Kunstausstellung auf dem Weingut der Familie mit seiner damaligen Band Kid Kopphausen. Heute ist daraus ein dreitägiges, gemütliches Festival geworden, das für ca. 2500 Menschen Platz bietet. Daran, wie schnell es dieses Jahr ausverkauft war erkennt man, dass es zu einem beliebten Indie-Festival geworden ist, das aus dem ganzen Bundesgebiet Fans anlockt. In den vergangenen Jahren waren schon Musikgrößen wie Kettcar, Element Of Crime, Sophie Hunger, The Notwist und AnnenMayKantereit zu Gast.

Das idyllische Gelände mit ein paar schattenspendenden Bäumen und schwer behängten Weinreben bietet angenehm viel Platz für die Besuchermengen. Von Regendusche bis Kaffee und Kuchen ist für alles gesorgt. Am Eingang holt man sich sein Weinglas ab, das die Namen der Künstler für den jeweiligen Tag auf sich trägt. Die Getränkestände bieten Wasser, Softdrinks und natürlich den hauseigenen Wein an. An verschiedenen Streetfoodständen kann man sich zwischen Burger, Asiasalat oder verschiedenen Mediterranen Gerichten entscheiden. Genug Geld muss man jedoch dabei haben. Für ein Gericht zahlt man zwischen 5 € und 10 € und ein volles Glas Wein kostet zwischen 5 € und 8 €. Am Besten bringt man ein paar Snacks von Zuhause mit. Wer von weiter weg kommt und alle drei Tage auf dem Festival verbringen möchte, sollte frühzeitig für eine Unterkunft sorgen. Es sind nämlich Sommerferien und viele Campingplätze von Urlaubern besetzt. Das hauseigene Hotel und auch umliegende sind vom Veranstalter schon für Künstler, Techniker und Angestellte ausgebucht. Wer jedoch früh genug guckt, sollte Übernachtungsmöglichkeiten finden. Die Regionalbahn bietet immerhin einen guten Anschluss an den Bahnhof Erbach, von dem aus man in ungefähr 15 Minuten an der Location ist.

Natürlich darf der Merchstand nicht fehlen. Tut er auch nicht, aber habt ihr schonmal einen gesehen an dem man Strampler kaufen kann? Auch die Weingut Fanartikel stehen hier zum Kauf bereit. Das Publikum ist bunt gemischt und es rennen überdurchschnittlich viele Kinder zwischen den Picknickdecken umher. Nicht nur einmal wird in den nächsten drei Tagen die Show unterbrochen werden, weil Kinder gefunden oder gesucht werden. Irgendwie stört das aber nicht, hier ist das normal und bringt eine angenehme frische mit sich. Es gibt also doch Eltern, die alles richtig machen und ihre Kinder zu kleinen Festivals mitschleppen und ihnen Geräuschhemmende Kopfhörer aufsetzen.

Als nächstes erstmal ein Appell an alle, die behaupten aus Deutschland käme ja keine gute Musik. Das liebevoll zusammengestellte Lineup des diesjährigen Heimspiels beweist auf ein Neues das Gegenteil. Den Anfang machen Ilgen-Nur aus Hamburg. Ohne großes Tamtam schleicht die Band auf die Bühne und stimmt mit nahtlosem Übergang ihren ersten Song an. Zurückhaltender und mitreißender Indie-Rock ertönt. Ein treibender Beat und die dunkle und kräftige Stimme der Frontfrau, die mit gewohnt monotoner Tonlage über ihre Eigenarten singt „I like wearing black because it makes me feel more mysterious“, ertönt. Zwischen den Liedern haucht sie ein tiefes „Dankeschön“ ins Mikrofon und fordert die Menge auf mehr zu trinken und sich einzucremen. Es ist heiß, aber zum Glück haben sich ein paar Wolken entschieden, die Zuhörer vor dem Hitzetod zu bewahren.

Nach einem gelungenen Start ist es Zeit für den Bühnenumbau. Aha, riesige Neonleuchtbuchstaben kündigen den nächsten Act an, GURR. Da scheint etwas auf uns zuzukommen. Immer mehr Menschen erheben sich von ihren Picknickdecken. Drei junge Frauen betreten die Bühne, der Schlagzeuger hält sich eher bedeckt im Hintergrund. Was dann kommt ist eine Show, die vor Kraft und Freude an Rock kaum zu übertreffen ist. Was erst an Neue Deutsche Welle erinnert, wird etwas später zu ausgewachsenem Garage Punkrock. Mit kreischenden Gitarren und kratzenden Lautsprechern ziehen die zwei Frontfrauen die Zuhörer in ihren Bann. Der Gastgeber wird zum Crowdsurfen aufgefordert und wie kann man den beiden diesen Wunsch nur ausschlagen. Kurze Zeit später tragen mehrere Hände Gisbert über ihren Köpfen im Halbkreis hinweg. Ilgen- Nur wird zur Unterstützung auf die Bühne geholt, die kaum hörbar ihren Kolleginnen zuflüstert „ich bin total besoffen“. Kein Wunder, auch GURR sind nach eigenen Angaben schon seit 11 Uhr am Wein trinken. Auf Nachfrage wird der Rosé als Weinempfehlung festgelegt. Beim großen musikalischen Finale klettert Andreya Casablanca in ihrem rosafarbenen, durchsichtigen Kimono auf der Bühne herum und in einer Spannungspause haucht sie „ich muss aufs Klo“ ins Mikrofon. Noch eine Zugabe und die Zuhörer sinken erschöpft auf ihre Decken zurück. Nach diesem Erlebnis muss erstmal Weinnachschub geholt werden.

Es herrscht eine ausgelassene Stimmung. Ein kleiner Junge läuft mit Wasserpistole durch die schwitzende Menge und verursacht einen angenehmen Regenschauer. Bald kommen Tocotronic auf die Bühne. Man bemerkt die Fans, die wegen der alteingesessenen Band aus Hamburg schon ganz aufgeregt in den Startlöchern stehen. Untermalt von Prokofiev kommen Tocotronic dramatisch auf die Bühne geschritten und legen sogleich mit ihrem Programm los. Souverän performen sie ihre gesellschaftskritischen und tiefgründigen Lieder und die Hälfte des Publikums singt jedes Wort mit. Ein würdiges Finale für den ersten Festivaltag.

Auch am nächsten Tag kommen vom Himmel nur ein paar Tropfen statt strömender Regen. Dieses Jahr bieten die Knyphausens das erste Mal ein erweitertes Programm an. Man kann sich für einen Lunch anmelden, an Weinseminaren teilnehmen und die Kinder bei einer kleinen Zirkusvorführung abliefern. Aber die meisten warten nur gespannt darauf, dass das Musikprogramm losgeht. Heute startet es mit Nullmillimeter. Die Band feiert mit uns den ersten Auftritt in der aktuellen Zusammensetzung und die Frontfrau wirkt etwas aufgeregt. Es ertönt Indie-Pop mit frechen Synthesizer-Spuren und poetischen, zugänglichen Lyrics. Es wird wenig geredet aber die neue EP beworben, die leider noch nicht am Merchstand erhältlich ist. Als nächstes kommen Theodor Shitstorm auf die Bühne. Das Heimspiel-Publikum ist das bislang größte Publikum, vor dem sie auftreten. Die tiefgründigen, witzigen und intelligenten Lyrics der Band sind einmalig und es macht allen sichtbar Spaß ihnen zuzuhören. Auch ClickClickDecker, die mit kleiner Verspätung danach auftreten, überzeugen mit ihren harmonisierenden Stimmen. Die gemütlich herumstehenden Zuschauer fangen etwas zu tanzen an und die zwei Stargäste der Band, die Kinder des Schlagzeugers, verdienen sich mit ihren schönen Stimmen einen tosenden Applaus.

Jetzt eine kleine Pause. Als nächstes kommen Gäste von etwas weiter weg. Das rein deutsche Programm wird von der jungen Londoner Band Another Sky erweitert. Epischer Dark-Rock mit toller Klanggewalt ertönt aus den Lautsprechern. Das Publikum ist sofort hellwach und steht wie angewurzelt, den Blick fest auf die Bühne geheftet, da. Die Stimme der Frontfrau und Multiinstrumentalistin Catrin Vincent versetzt alle in Staunen. Die opernartige, kehlige, kräftige und eher androgyn klingende Stimme ist wohl eine der interessantesten Stimmen der letzten Jahre. Tosender Applaus und begeistertes Rufen ertönt nach dem Ende jedes Stückes. Trotz Klatschen gibt es leider keine Zugabe, die junge Band hat trotzdem ganz schön Eindruck hinterlassen.

Den Abschluss des zweiten Festivaltages machen Brandt Brauer Frick. Heute kommen also auch die Liebhaber elektronischer Musik auf ihre Kosten. Alle rücken etwas näher an die Bühne und die vom Licht der Scheinwerfer angestrahlten Köpfe bewegen sich wie ein Fischschwarm zu der Musik. Von lateinamerikanischen Klängen bis Industrial Techno zeigen die drei Musiker was in ihnen steckt. Auch heute können alle Besucher zufrieden nach Hause trotten und sich auf den letzten Tag des Festivals freuen.

Der letzte Tag beginnt schon um 11 Uhr und passend zu der Uhrzeit kann man an einer Runde Sektyoga teilnehmen und sich ein Frühstückspaket kaufen. Oder man sucht sich schon mal einen schönen Platz vor der Bühne und kauft sich eine Flasche Sekt. Der sympathische Frontmann von Fortuna Ehrenfeld setzt sich für den Soundcheck auf einen Lautsprecher, guckt in Richtung Zuhörer und singt Bob Marleys Redemption Song. Wie immer hat er pünktlich zum Auftritt seinen hellblauen Pyjama an und seine zwei jungen Bandmitglieder und er scheinen richtig Spaß auf der Bühne zu haben. Im Nu hat er alle um den Finger gewickelt und seine raue, herzliche Stimme erzählt zwischen den Liedern kleine Anekdoten. Unterbrechen lässt er sich nur, wenn er einen ordentlichen Schluck aus einer Weinflasche nimmt: „Das Zeug ballert ganz schön um diese Uhrzeit“ Nach tosendem Applaus, trotz Regen kurz bemerkt, sind jetzt alle gespannt Niels Frevert und Band zu erleben.

Der zurückhaltende Sänger hatte eine längere Auszeit von der Musik genommen, am 6. September kommt jetzt endlich sein neues Album Putzlicht auf den Markt. Heute gibt er uns schon mal ein paar kleine Kostproben. Gerade losgelegt gibt es plötzlich einen Totalausfall und alles verstummt. Das Publikum grölt trotzdem weiter und feuert die Techniker an, den Fehler so schnell wie möglich zu beheben. Das geschieht auch und während der Regen langsam nachlässt, fängt Niels Frevert nochmal von vorne an. Seine schöne, sanfte Stimme singt bedeutungsschwere Lieder, die meist mit seiner akustischen Gitarre beginnen. Ein entspannter Abschluss eines Festivals, das durchgehend gute Qualität bewiesen hat.

Ist das Heimspiel ein Familienfestival oder doch ein ausgeweitetes Hoffest? Zwar können einen die Preise hier und da mal zum Staunen bringen, aber die Qualität der angebotenen Sachen ist super und so ist auch alles sein Geld wert. Die Stimmung ist gemütlich und ungezwungen und auch, wenn manche Besucher nur da zu seien scheinen, weil es solche Veranstaltungen im Rheingau wenig gibt, schadet es der Atmosphäre kein bisschen. Die paar Securities, die hier und da positioniert sind, kommen einem bei der friedlichen Wohnzimmeratmosphäre sehr fehl am Platz vor. Alles in allem ist das Heimspiel Knyphausen jedem Musikliebhaber wärmstens zu empfehlen und nach einem gelungenen Wochenende sind wir gespannt, was uns nächstes Jahr Geschmackvolles erwartet.

Lea Kleisinger

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