NEUZEITLICHE BODENBELÄGE – Der große Preis

„Was ist die Nacht für ein zartes Tier
Dass sie uns noch einen Tag gebiert“

(Gelb’s Groove)

Foto © Fabian Kretz

Es gibt Orte, die aus ihrer einstigen Normalität in den Rang kurioser Relikte abgeglitten sind. Das können Eckkneipen (allein der Name ein Mythos) sein, Autohäuser, aber auch Wohnzimmer (Stichwort Schrankwand) und Imbissbuden. Sie stemmen sich nicht gegen die Zeit – das haben sie nach ihrem Selbstverständnis auch gar nicht nötig. Sie sind ganz einfach da, ungetrübt wie Plastik-Begonien im Zigarettenqualm. Auf ihrem Debüt-Album Der große Preis singen Joshua Gottmanns und Niklas Wandt aka Neuzeitliche Bodenbeläge diesen Orten, nein, keine Hymne, ein Ständchen, und die Zeche begleichen die beiden Berliner selbstredend mit D-Mark.

Wer jetzt denkt, sich nostalgisch im bunten Lichtschein wärmen zu können, den belehren die bloß getönten Lampen der Lichtanlage eines Besseren. Kühl und synthetisch geben sich die Tracks, verbergen nicht ihr Sperrholzfurnier, sondern führen es uns stolz vor. House-Pianos und der unter Tropical firmierende Beat der Drum-Machine verbreiten den balearischen Charme alter Hotelprospekte (Gelb’s Groove); Dub trifft verhaltene Acid-Bässe. Der Grat zwischen höherer Weisheit und Nonsens verläuft angenehm schmal, wenn romantische (Tresen-)Fantasien sich im Dunst mit den großen Dramen der Nacht vermischen: „Hier sind zwei Fünfer, falls ich heute mein Leben lasse / Schließ meine Lider, leg die Silberlinge drauf und leg mich auf den Karren“ (Keramik & Konflikte).

Der kleine Kosmos ist fest abgesteckt, Männer von Welt (s.o. unter „kuriose Relikte“) treffen sich zu blubberndem Schampus-Pop auf dem Marktplatz. Wofür unter der Persiflage genau die diffuse Bewunderung schlummert, ist nicht ganz klar. Verglichen mit der glattgebügelten Authentizitätshatz des Heute sind die Schein-oder-Sein-Fragen des runtergekommenen Gestern doch beinahe putzig, und, darum geht’s ja, urig und unverstellt. Die Zitate stimmen jedenfalls: schluffiges DAF (Haare) oder Kraftwerks Spiegelsaal klingen durch, wenn Gottmanns und Wandt auf „Sogar die größten Stars / Leben ihr Leben im Spiegelglas“ entgegnen „Ist der Spiegel blind / Oder die Maske zu authentisch?“

Am Ende gleiten wir mit breiter Brust den Pfad von Klaus Johann Grobe und den Düsseldorf Düsterboys entlang Richtung Ausgang. Schließlich könnte, ja, man sollte morgen mal Rausfahr’n – aber ach: „Islandhopping, Wasser-Mobilität“, wozu? Hier, im Gestern, gibt es ihn doch, süffigen Synthpop ohne Kater.

Neuzeitliche Bodenbeläge – Der große Preis
VÖ: 13. November 2020, Bureau B / Indigo
https://www.facebook.com/neuzeitlicheb
http://www.soundcloud.com/neuzeitlicheb

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