DRY CLEANING – New Long Leg


Foto-© Steve Gullick

In the painting’s foreground, at the bottom is a famous anamorphic
Which when viewed sidelong is revealed to be a human skull
That seems like a lot of garlic
Long and lean and young and lovely
You just want to be liked
I like you, stay
It’s Europe

(Dry Cleaning – Strong Feelings)

Wenn um eine Band vor ihrem ersten Album schon Joy Division-Vergleiche schwirren, dann ist eigentlich erstmal Misstrauen angebracht. Allerdings belegen sie auch, dass die Aufmerksamkeit, die Dry Cleaning 2019 für ihre Debüt-Single Magic of Meghan bekamen, nicht nur an dem royalen Thema des Songs lag. Zwei eindrucksvolle EPs und einige lobende Kritiken später war für 2020 eine ausgedehnte Europa- und US-Tournee geplant, die aus den bekannten Gründen ausfallen musste. Immerhin hat es die Südlondoner Band noch ins Studio nach Wales geschafft, wo sie gemeinsam mit Produzent John Parish (PJ Harvey) New Long Leg aufnahmen.

Schon die Single-Auskopplung Strong Feelings lockt mit einer Spar-Kombination aus bollernden Drums und knurrendem Bass ein wenig auf die falsche Fährte: Denn statt wütender Working-Class-Rants, wie es sie gerade von Sleaford Mods und Co. zu hören gibt, setzt Sängerin Florence Shaw aus Gemälde-Beschreibungen und Satzfragmenten einen Liebe-in-Zeiten-des-Brexit-Song zusammen. Aufgeschnapptes, Festgehaltenes und obskure YouTube-Kommentare werden eins: „I just want to tell you I’ve got scabs on my head / It’s useless to live / I’ve been thinking about eating that hot dog for hours / Kiss me“

Dabei hat der Cut-Up-Wahnsinn Methode: Erst über Dry Cleaning fand Shaw, eigentlich Illustratorin und bildende Künstlerin, zum Songwriting. Mit Gitarrist Tom Dowse bereits von der Kunsthochschule bekannt, soll sie die restliche Band zwar bei einem Karaoke-Abend kennengelernt haben, entschied sich aber gegen ihre Singstimme. Stattdessen trägt Shaw ihre zwischen Melancholie und trockenen Humor wechselnden Lyrics im monotonen Laurie Anderson-Duktus vor: „Weak arms can’t open the door, kung fu cancel / It’ll be okay, I just need to be weird and hide for a bit and eat an old sandwich from my bag“

Was im ersten Moment furchtbar verkopft klingt, funktioniert vom Opener Scratchcard Lanyard bis zum stoischen Krautrock-Schlusspunkt Every Day Carry umso besser: Während Dowse mal fiebrig, mal breitbeinig schrammelt, kühlt Shaw im Verbund mit Bassist Lewis Maynard und Drummer Nick Buxton den aufgeregten Art-Rock zu eingängigen Grooves herunter. Dabei sind die Songs im Vergleich zu den Vorgänger-EPs komplexer geworden, ohne zu überfordern. Und auch die absurdesten Lyrics („I think of myself as a hardy banana with that waxy surface and the small delicate flowers“) fließen, eingebettet in psychedelisch angehauchte Riffs, in einen Strom – wenn auch beklemmender – Traumgebilde zusammen.

New Long Leg reiht sich damit zwischen mehreren frischen UK-Alben ein, die Stream-of-Consciousness-Texte und Musik unter dem ausgeleierten Postpunk-Label miteinander verbinden: So haben dieses Jahr bereits Black Country, New Road (Brixton) und LICE (Bristol) mit Kollektiv- und Konzeptalben gehörig Lob eingeheimst. Und selbst das kultig verehrte, seinerzeit aber eher unpopuläre Nuller-Jahre-Quartett Life Without Buildings wurde Anfang Januar von ungekanntem Ruhm ereilt, nachdem ihr Song The Leanover auf TikTok trendete. Dry Cleaning teilen mit ihnen übrigens nicht nur das experimentelle Songwriting, sondern auch den Entschluss, von der Kunsthochschule eine Exkursion in die Indierock-Szene angetreten zu haben. Na, riecht das nicht nach Hype? Wem die x-te Wiederauferstehung von artsy Gitarrenmusik nicht zu streng müffelt, darf von Dry Cleaning jedenfalls noch einiges erwarten.

Dry Cleaning – New Long Leg
VÖ: 2. April 2021, 4AD
www.facebook.com/drycleaningband
https://drycleaning.bandcamp.com

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