JOHANNA ADORJÁN – Ciao

„Johanna Adorján hat unsere Gegenwart in einen Roman gegossen“, heißt es auf der Verlags-Seite zu Ciao, dem Nachfolger zu Eine exklusive Liebe (2009), Meine 500 besten Freunde (2013), Geteiltes Vergnügen (2016) und Männer (2019) der Wahl-Berlinerin. Johanna Adorján muss es wissen, arbeitet sie doch seit 1994 als Journalistin, ab 2001 fürs Feuilleton der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung, heute für die Süddeutsche Zeitung – und genau in diesem Milieu beschreibt Ciao den Abgesang der lange auf Händen hofierten Meinungsmachern, den großen Stimmen der Kunst und Kultur, die auch heute noch zumeist älteren weißen Männern gehören.

Hans Benedek sieht sich als DIE Stimme von Die Zeitung: sein Wort hat Gewicht, sein Name öffnet ihm alle Türen und seine Bewertung sorgt für Erfolge oder Misserfolge – zumindest, wenn es nach ihm geht. Und doch nagt der Zahn der Zeit auch an ihm, denn irgendetwas verändert sich gerade. Seine Hotel-Wünsche für ausladende Reportagen werden nicht mehr einfach durchgewunken, seine tagtäglichen Mittagsessen mit dem Who is Who der Szene gelten plötzlich nicht mehr als Geschäftsessen und auch die Affäre mit der neuen Praktikantin erfüllt ihn nicht mehr so wie früher. Obendrauf ist er auch noch ein Mörder für seine Tochter, weil er sich morgens Bacon brät. Als seine Frau ihn auf die Idee bringt, ein Portrait über eine gefragte junge Feministin zu bringen, wittert Hans seine Chance – doch die Begegnung soll ihn komplett in die Tiefe stürzen.

Alle Neuerungen sind schwer – umso mehr, wenn man lange gefeiert wurde und dann die Zeichen der Zeit nicht erkannt hat. Adorján berichtet in ihrem neuen Roman über den Niedergang des alten weißen Mannes in der Feuilleton-Presse. Einer ganz besonderen Spezies, die obwohl sie eigentlich am Zeitgeschehen leben und die Änderungen im Hier und Jetzt wahrnehmen müssten, vor lauter (Selbst-)Beweihräucherung nicht erkennen, dass die Gegenwart mittlerweile anders tickt. Dass ein Maler eine 13-Jährige am ersten Tag des Kennenlernen heiratet – da muss man abstrahieren und sich nur mit den Werken beschäftigen, aber klar, bei seiner eigenen Tochter würde er das nicht wollen. Einer alten Fernsehikone sieht er beim Niedergang durch ein Interview mit der Feministin Zandi Lochner aus der ersten Reihe zu – ohne die Gefahr auch für sich zu sehen. Adorján schildert all das mit viel Feingefühl und ohne die große Schwere der Themen die Handlung zu sehr lähmen zu lassen. Vielmehr reißt sie alle Themen szenisch an und erstellt dadurch ein verheerendes Bild für die Charaktere – mal humorvoll, mal böse, immer aber mit viel Mitgefühl.

Johanna Adorján – Ciao
VÖ: 8. Juli 2021, Kiepenheuer & Witsch
Gebundene Ausgabe, 272 Seiten
ISBN: 978-3462001716
20,00 €

Dominik

Bedroomdisco-Gründer, Redaktions-Chef, Hans in allen Gassen, Golden Leaves Festival Booker, Sammler, Fanboy, Exil-Darmstädter Wahl-Hamburger & happy kid, stuck with the heart of a sad punk - spreading love for great music since '08!

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