Bedroomdisco Alben Top 50 – 2021

30 - 21

30. The Killers – Pressure Machine

Es soll ja Leute geben, die auf Bescheidenheit und Sparsamkeit stehen. Zu ihnen gehören The Killers nicht. Sie klotzen, wo es nur geht, ignorieren Produktionskosten, rochieren zwischen Classic- und Prog-Rock, Post-Disco, Synthpop und Grunge-Extrakten, lassen sich (wie auf Imploding The Mirage) von k.d. lang, Lindsey Buckingham, Adam Granduciel und Natalie Mering begleiten und gestatten Sänger Brandon Flowers den Auftritt des großen Zampanos. The Killers lieben das Leben auf der Überholspur, Gigantomanie ist ihr Ding. Doch nun waren auch sie gezwungen, auf die Bremse zu treten. Keine großen Tourneen mehr, nur noch home sweet home. So hatte Flowers Zeit, an seine Jugend zu denken, als er in Nephi im Bundesstaat Utah lebte. Scheinbar war das nicht immer angenehm: Drogengeschichten, Blutvergießen, Besuche vom Sheriff, puh! Das alles bei The Killers, echt wahr. Flowers lebt jetzt wieder nicht weit weg von Nephi, dort sieht er alles bodenständiger. Weit weg von bombastischen Fantasien, in die er sich sonst verstrickt. So fällt Schlacke ab, wird Substanz gewahr. Interessant ist auch die Hinwendung zum Storytelling, sie ist in dieser ausgedehnten Form neu. The Killers waren immer auch eine Band mit britischen Einflüssen. Jetzt klingt es vollamerikanisch, bepackt mit Verwunderung über Gegensätze und Gefahren, die in diesem Land stecken. Allein schon der Stacheldraht und die Totenkreuze auf dem Cover! Es ist Druck auf dem Kessel, das spürt man an Ecken und Enden. Auf dieser Basis ist der Band das beste Album seit langem gelungen. Gespenstisch, intensiv, echt, komplett packend. So bitte immer.

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29. Steiner & Madlaina – Wünsch mir Glück

Zweite Alben sind eine Wissenschaft für sich: mehr Druck, weniger Zeit, aber auch mehr Erfahrung und Selbstbewusstsein. Aus dieser Mischung entstand das Zweitwerk der Schweizerinnen Nora Steiner und Madlaina Pollina aka Steiner & Madlaina. Und was für eins! Die beiden Schulfreundinnen veröffentlichten nach einer EP 2015 (Ready To Climb) 2018 ihr Debüt Cheers und spielten unglaublich viele Konzerte – als Vorband für Faber und Element of Crime oder auf großer Festivaltour. Mit der Routine kam auch die Vision für die neue Platte: Band statt zweistimmiges Duo, der Sprachmix verschwand zugunsten von Deutsch, die Texte wurden persönlicher, frecher und auch kritischer. Der etwas rotzige Charme der beiden Frauen blieb. Der Sound ist dicker geworden, genau wie die Ansagen. Trotz aller Power beleuchten die beiden auch verletzliche Seiten, die schonungslos ehrlich und durchaus selbstkritisch hergezeigt werden. Wünsch mir Glück ist ein mutiges Album.

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28. Shannon Lay – Geist

Das mittlerweile vierte Soloalbum der in LA lebenden Songwriterin Shannon Lay ist von zarter Intensität, ortlos und ätherisch. Es existiert in den Abgründen der Gegenwart – eine Welt, die von Schattenselbst, spirituellem Erwachen, Déjà-Vu und vergangenen Leben bevölkert ist. Geist fühlt sich an wie ein Fenster – oder ein Spiegel – zu den Möglichkeiten des Selbst und darüber hinaus. Die Songs daraus fühlen sich seltsam vertraut an, vielschichtig klingen sie noch lange nach dem Hören nach, lassen einen nicht mehr los, verfolgen einen. Und der Titeltrack Geist ist ein Lied über die Kraft, die in uns allen lebt, ist ein Liebeslied an die Möglichkeit der Heilung, eine Ode an das Hineinfallen in die Arme dessen, was man wird. Was will man mehr?

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27. Charlotte Day Wilson – Alpha

Anfang 2018 schrieben wir schon über Charlotte Day Wilson: „Es ist ja bekanntlich nicht alles Gold was glänzt. Und nicht alles, was zäh und klebrig ist, ist Honig. Allerdings scheint alles, was Charlotte Day Wilson ist und macht wie süßes, flüssiges Edelmetall zu sein. Die Kanadierin hat eine dieser warmen, weisen Stimmen, die für die großen Kompositionen gemacht ist. Ihre Melodien produziert sie in den eigenen vier Wänden und ist somit eine dieser „Bedroom Producer“ – wie man neumusikalisch auch sagt. So sichert sich die Kanadierin maximale künstlerische Freiheit und bastelt mit elegantem R’n’B und Elektro einen Sound zusammen, der ihre Stimme herrlich untermalt. Somit ist es wirklich kein Wunder, dass Charlotte Day Wilson als das nächste große Ding aus Kanada gehandelt wird.“ So viel des Rückblicks und der Vorschusslorbeeren – das in 2021 endlich erschienene Debütalbum der Kanadierin enttäuschte all unserer Erwartungen nicht. Denn Alpha ist eine elf Songs umfassende Reise voller Metaphern und ernsthafter Erklärungen, die Charlottes innere Kämpfe um Liebe, Wachsen und Zerbrechen widerspiegeln, die sie nun endlich in einer größeren Form anspricht.

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26. Spellling – The Turning Wheel

Schluss mit dem Klein-Klein der ersten beiden DIY-Werke – mit dem Nachfolger zu Mazy Fly (2019) stellte sich die in der Bay Area lebende kalifornische Künstlerin Chrystia Cabral der ehrgeizigen Aufgabe, ein Album mit einem 31-köpfigen Ensemble aus Musikern zu orchestrieren und selbst zu produzieren. The Turning Wheel dreht sich um Themen wie menschliche Einheit, die Zukunft, göttliche Liebe und die rätselhaften Höhen und Tiefen des Karnevals namens Leben. Und das in zwei Hälften (Above + Below) aufgeteilte Ergebnis begeistert mit einer großen Bandbreite an akustischen Klängen, die ihre Arbeit in eine neue, lebendige Dimension überführen.

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25. Lana Del Rey – Blue Banisters

Lana Del Rey war 2021 im Release-Modus: Nach Chemtrails Over The Country Club war Blue Banisters das zweite Album, das sie innerhalb von wenigen Monaten veröffentlichte. Und wahrscheinlich ist es das persönlichste Werk, das sie bisher geschrieben hat. Vor dem Release machte die Sängerin schon deutlich, dass sie auf der Platte ihrer eigene Geschichte erzählt. Kurze Zeit danach löschte Del Rey ihre gesamten Social-Media-Auftritte. Wenn Künstler sehr viel Musik produzieren, kann Masse oft die Qualität beeinflussen. Nicht so bei Lana Del Rey. Blue Banisters ist kein Album für den Hintergrund, man muss schon genau zuhören, was die 36-Jährige bewegt. Doch das macht es wieder zu einem besonderen Werk in Lana Del Reys Musikkatalog.

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24. Orla Gartland – Woman on the Internet

Nach 5 EPs erschien 2021 endlich Orla Garlands Debütalbum, das zeigte, dass man der irischen Songwriterin schon vorher noch mehr Gehör hätte geben sollen. Denn Woman on the Internet ist ein schlagkräftiges und vor allem persönliches Album geworden, das sich mit Themen beschäftigt wie Unsicherheit, Identität und Selbsterkenntnis in Zeiten von Social Media, Influencern und vermarkteter Authentizität. Gartland, mittlerweile 25, erklärt, dass sie mit dem Album das Chaosgefühl ihrer Zwanziger einfangen wollte. Unsicherheiten werden dabei gebündelt auf die „Frau aus dem Internet“ projiziert: Eine Art Selbsthilfe-Guru-Karikatur, die auf Instagram oder ihrem Blog glücklich aussieht und nebulöse Lebensweisheiten generiert, wie eat better, laugh more oder love yourself – Ratschläge, die plakativ gut klingen, aber sich doch letztlich schnell als hohl und hauptsächlich Image- und Markt-wirksam erweisen können, während man sich verloren fühlt und nach Halt sucht. Einfache Antworten erklären selten wirklich viel – deshalb dreht sich das Album auch darum, mit Unvollkommenheit(en) leben zu lernen. Musikalisch ist die Platte gut produziert, abwechslungsreich und bietet genug Stoff für Indie-HörerInnen, Baroque Pop-LiebhaberInnen und Folk-Fans – und die Themen rund ums Erwachsenwerden, Image, Identität, Unsicherheit und die Fragen, wer man eigentlich ist und wer man sein will, regen zum Nachdenken an. Jede/r fühlt sich doch irgendwie ein bisschen allein und fragt sich, was eigentlich in der Ära von Twitter und Instagram noch echt und ehrlich ist – aber alles kein Grund zum Verzweifeln, den Anderen geht’s ja auch nicht anders.

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23. Lorde — Solar Power

Ein bisschen überrascht war man schon, dass sich die neuseeländische Pop-Sängerin mit ihrem neuen Album gefühlt komplett dem Pop verweigerte und viel lieber den Sound und Geist der Sechziger heraufbeschwor. Mit Produzent Jack Antonoff (Clairo, Taylor Swift) fand sie auf jeden Fall den perfekten Partner für dieses Vorhaben und setzte auf blumige Grower, statt direkte Ohrwürmer – ein mutiger Schritt und ein klares Statement der Weiterentwicklung.

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22. Big Red Machine – How Long Do You Think It’s Gonna Last?

Nicht erst seit gestern sind Kollaborationen ein Aushängeschild für kreative Schaffenskraft, Innovation und das Überwinden von Genre-Grenzen. Aaron Dessner ist wohl einer der Künstler, der das schon früh verstanden hat und in der internationalen Indie/Pop-Welt als eine Art Godfather der Kollaboration gesehen werden darf. Zusammen mit Justin Vernon (Bon Iver) veröffentlichte der vielbeschäftigte Produzent und Musiker in 2021 ihr zweites Big Rad Machine-Album als Spielwiese für unzählige Features. Was die beiden US-Amerikaner besonders verbindet und was über alle 15 Stücke hinweg fast erschlägt, ist ihre einmalige Begabung Emotionen in Songs zu gießen wie kaum einer ihrer Kollegen:innen. Dazu nutzen sie alles was ihnen zur Verfügung steht: viel Klavier, Beat-Machines, Drums, Gitarren, Synthies, Streicher und auch Autotune in der Stimme wenn es mal wieder sein muss. Big Red Machines Zweitwerk ist alles, was Dessner und Vernon sind und waren. Und das ist eben auch The National und Bon Iver, aber gleichzeitig auch noch weit mehr als das. Big Red Machine ist eine Hit Maschine, so unromantisch das klingen mag. Sie beherrschen das Songwriting so gut, dass es weh tut und spenden mit ihrer Musik doch so viel Trost und Kraft, dass man nicht genug davon bekommt.

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21. Taylor Swift – Red (Taylor’s Version)

„Ich habe immer gesagt, dass die Welt  eine andere ist, wenn man ein gebrochenes Herz hat. Alles bewegt sich auf eine andere Art, mit einer anderen Geschwindigkeit. Man geht in der Zeit zurück, aber gleichzeitig vergeht sie wie im Flug. Die Liebeskranken durchleben täglich Tausende von Mikro-Emotionen, während sie gleichzeitig überlegen, wie sie das überstehen sollen ohne das Telefon in die Hand zu nehmen um die vertraute Stimme zu hören. Diese Welt ist ein Wechselbad der Gefühle, es gibt Momente der Stärke, Unabhängigkeit und dem ‚mir ist alles egal‘-Gefühl, die dann wieder übergehen in Gefühle der Traurigkeit, Verletzlichkeit und Hoffnungslosigkeit. Wenn man an die Zukunft denkt, denkt man gleichzeitig auch wieder an das Vergangene. Das alles erzähle ich, weil mein nächstes Album, das ich veröffentliche meine Version von Red sein wird.

Musikalisch und textlich geht es bei Red um eine Person mit Liebeskummer. Ein Mosaik der Gefühle, das sich am Ende dann zusammenfügt. Glücklich, frei, verwirrt, alleine, euphorisch, wild und von Erinnerungen der Vergangenheit gequält. Um die ersten Schritte in ein neues Leben zu machen, ging ich ins Studio und experimentierte mit unterschiedlichen Sounds und Kollaborateuren. Ich bin mir nicht sicher, ob ich einfach alle meine Gedanken in dieses Album eingebracht habe oder einfach alle Stimmen, die mit mir in leidenschaftlicher Solidarität gesungen haben, gehört habe – oder, ob es einfach die Tatsache war, dass der Prozess der Heilung begonnen hatte.

Manchmal muss man einfach immer wieder darüber sprechen – bis der Schmerz vorbei geht. Wie eine Freundin, die dich mitten in der Nacht anruft und immer wieder über ihren Ex redet, so konnte ich nicht aufhören zu schreiben. Das ist das erste Mal, dass man alle 30 Songs hört, die eigentlich für Red bestimmt waren – und einer davon ist sogar 10 Minuten lang.“ – so Taylor Swift selbst über Red via ihren sozialen Medien!

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Dominik

Bedroomdisco-Gründer, Redaktions-Chef, Hans in allen Gassen, Golden Leaves Festival Booker, Sammler, Fanboy, Exil-Darmstädter Wahl-Hamburger & happy kid, stuck with the heart of a sad punk - spreading love for great music since '08!

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