Foto-© Paula Hornickel
Der Veranstaltungsort Scheeßel, wo im Normalfall nur um die 13 000 Menschen leben, wurde über das Festivalwochenende ordentlich aufgewühlt. Damit meine ich nicht nur den Staub, der spätestens nach einigen Stunden auch die letzte Person auf dem Gelände erreicht hat. Auf vier Bühnen: der Forest Stage, River Stage, Mountain Stage & Wild Coast Stage gab es ein vielversprechendes Line-up mit über 80 Acts zu sehen.
Von Hip-Hop über Indie bis hin zu Punkrock wurden Musikliebhaber:innen von jung bis alt glücklich gemacht. Das von 2020 nachgeholte Line-up brachte viele alte Hasen des Musikbusiness wie Rise Against, The Killers oder LP auf die Bühne, aber auch einige (gar nicht mehr ganz so) Newcomer:innen wie Holly Humberstone, Schmyd oder Tones and I.
Insgesamt jedoch ein sehr bekanntes Repertoire an Künstler:innen, bei dem das „name-dropping“ gar kein Ende mehr nimmt und man oft schweren Herzens entscheiden musste, zu welcher Stage man nun lieber gehen möchte. Mein Festivalaufenthalt startete am Freitag mit einer erstaunlich entspannten Anfahrt via Auto. Kurz noch in die Polizeikontrolle gerutscht, ging es auch schon auf Platzsuche bei einem bereits gut ausgelasteten Campingbereich. Das erklärt auch die angenehme Anreise, da die meisten wohl schon seit Donnerstag zum Aufwärmprogramm bei Alex Mofa Gang, Milliarden, Sonderschule & Megaloh Vorort waren. Nachdem endlich ein freies Örtchen mit netten & auch schon gut angetrunkenen Nachbar:innen gefunden wurde, geht es auch direkt zur Forest Stage zu Giant Rooks.
Mit einem breiten Grinsen und sichtlich berührt begrüßt uns Leadsänger Frederik Rabe und läutet hiermit ein Wochenende voller guter Musik ein. Mit Ukulele und poppigen Indie-Rock Tunes geht es weiter zu der US-amerikanischen Sängerin und Songwriterin LP. Ein persönliches Highlight war für mich die irische Post-Punk-Band Fontaines D.C., die vor Allem mit poetisch-politischen Texten und einer Menge Rock’n Roll überzeugt.
Abschließend heizten Seeed mit einer Vielzahl an Instrumenten und Akteur:innen auf der Bühne ordentlich ein und ließen das Publikum bei Songs wie Ding oder Augenblick das Tanzbein schwingen. Auch ich erwischte mich dabei, den ein oder anderen Text doch überraschend textsicher mitträllern zu können.
Tag 2 startete mit der britischen Pop-Sängerin Holly Humberstone, die mit erst 19 Jahren die letzten zwei Jahre eine steile Karrierelaufbahn hingelegt hat und mit ihren einfühlsamen Songs definitiv nennenswert in der aktuellen Popszene ist. Melancholisch ging es mit einer Portion Herzweh und Fernschmerz weiter bei Provinz. Auch die deutschsprachigen Kollegen Jeremias ließen bei ihrem Auftritt mit funky Beats und gefühlvollen Texten einige Herzen höher schlagen.
Eher rockig ging es dann zu den Foals und der schwedischen Band Mando Diao. Das Entrée des Frontmanns Björn Dixgård aus einer riesigen Orgel ist ein echter Hingucker in puncto Bühnenbild und Dance with somebody ist definitiv Programm.
Eine sehr authentische und herzliche Show lieferten Von Wegen Lisbeth mit ihrer selbstironischen Popkultur Poesie ab. Voller Vorfreude ging es an dem Tag auch zu einem meiner persönlichen Favoriten im Line-up, und zwar zu der aus Bristol stammenden Post-Punk Band Idles, die sich vor Allem mit ihren provokanten Texten, einer wilde Bühnenshow und richtig gutem Krach über die Jahre einen Namen gemacht hat. Sowohl Gitarrist Lee Kieran als auch Mark Bowen verabschiedeten sich zwischenzeitlich von der Bühne auf einen kleinen Stage-Dive-Ausflug und tauchen ein, in das wütende Menschenmeer.
Auch bei K.I.Z wurde ordentlich gemosht und die Secus hatten allerhand zu tun sich einerseits gegen die Absperrung zu lehnen, damit diese nicht kippt und andererseits eine Person nach der anderen, aufgrund diverser Verletzungen, über die Absperrung zu heben. Dennoch war die Stimmung ausgelassen und die Leute konnten sich vor Adrenalin wortwörtlich kaum halten. Den Tag beendeten Twenty One Pilots, die eine durchaus vielfältige Bühnenshow abliefern. Von Saltos bis zu einem Schlagzeug-Jam, getragen vom Publikum, war alles dabei.
Geschafft aber sehr erfüllt von der Fülle an Bands, die ich an diesem Tag gesehen habe, verabschiedete ich mich in mein Zelt. Obwohl ich im Hurricane Park campte, welcher auf der Website mit eine ruhigeren Übernachtung beworben wird, war die Musik in der Buzz Beat Boutique nebenan nicht zu überhören. Erst früh um fünf kehrte dann Ruhe ein. Also nichts für Leute, die Wert auf ihren Schönheitsschlaf legen.
Dennoch startete ich gut gelaunt und voller Vorfreude in den letzten Tag auf dem Hurricane Festival, welcher viele Gesichter der Deutschrap Szene, aber auch Rocklegenden wie Bring me the Horizon, The Hives oder Kings of Leon versprach.
Erster Act am Sonntag und eine Neuentdeckung für mich war definitiv Sänger und Rapper Schmyd. Tiefenentspannt, trotz fehlendem Equipment (der Band Blond sei Dank fürs geliehene Schlagzeug), entführt Schmyd, bürgerlich Julian Paul Schmit, das Publikum in seine Welt. Besonders Angetan haben es mir die melancholischen Tracks und chilligen Beats, die er mit einer bestimmten Leichtigkeit performte.
Auch der Auftritt von Rapper Kummer war ein purer Genuss. Vor allem mit dem Wissen, dass das wohl einer der letzten Auftritte von Kraftklub-Sänger Felix als Solo-Künstler war. Mit viel Herzblut rappte er Songs wie Der Rest meines Lebens oder Wie viel ist dein Outfit wert. Mit dabei waren auch Gäste wie seine Schwestern und gleichzeitig Mitglieder der Band Blond sowie Nura, die auch beide selbst auf dem Hurricane performten.
Last but not least hieß es dann auch schon Abschied nehmen für mich, bei der Show von Ferdinand aka Left Boy. Mit einer Vielfalt an deutsch- und englischsprachigen Texten, konnte man schon fast meinen, das sei nicht ein und die selbe Person auf der Bühne, was vielleicht auch an den zwei Namen liegt. Mit einer ordentlichen Portion Energie bescherte mir die Truppe noch ein letztes Highlight auf dem Hurricane 2022.
Schlussfolgernd war das Festival gefüllt mit guter Laune, einem bombastischen Publikum und tollen Acts und laut Veranstalter:innen und Einsatzkräften wohl eines der entspanntesten Hurricane Festivals mit vergleichsweise wenig medizinischen Notfällen und Straftaten.
Zudem hat das Wetter dieses Jahr überraschend gut mitgemacht, da das Hurricane ja ansonsten eher dafür bekannt ist aus dem Namen Programm zu machen und schon das ein oder andere Mal im Regenchaos versunken ist. Aufgrund der recht hohen Temperaturen kam es dann eher zu Hitzewallungen, wobei man mit Trinkwasserstationen und den von Security befüllten Wasserballons gut vorgesorgt wurde. Zudem gab es ein vielfältiges Angebot an Essens- und Getränkeständen, wobei ich vor allem den köstlichen veganen Gulasch Stand hervorheben möchte.
Mit 6€ Bierkosten sind die Getränkepreise dann doch ganz schön happig. Aber, für alle Pfandjäger:innen unter euch, mit 2€ Becherpfand hat man das Geld auch Ruck Zuck wieder drin. Kritik gibt es für den Platzmangel beim Wechsel der Bühnen, insbesondere zur Prime Time. Dadurch kam es bei Deichkind sogar zu einer kurzen Unterbrechung, da aufgrund des Ansturms fast eine Massenpanik ausgebrochen wäre.
Von mehreren Seiten wurde sich auch ein noch diverseres und geschlechtlich ausgeglicheneres Line-up gewünscht. Dieses Manko wurde bei der Presseversammlung mit dem bereits 2019 gebuchten Line-up und der Verfügbarkeit der Bands argumentiert. Laut Veranstalter soll beim nächsten Mal noch mehr darauf geachtet werden. Wir sind gespannt und voller Vorfreude auf das Hurricane Festival 2023, welches vom 16.-18.06. stattfinden soll.