Bedroomdisco Top Alben – August

Foto-© Hella Wittenberg

Huch war nicht gerade noch Juni, äh Juli? Na gut, dann halt schon wieder August – zum Glück wird der Monats-Trennungsschmerz gleich mit guter, anstehender Musik versüßt, nämlich mit unseren Top-Alben im August!

1. Stella Donnelly – Flood (VÖ: 26.08.22)

Was haben wir Stella Donnelly aufgrund ihres 2019er Albums Beware of the Dogs und der charmant-charismatischen Auftritte der Australierin ins Herz geschlossen – dementsprechend ist die Freude dieser Tage groß, erscheint doch nun endlich das Zweitwerk der Songwriterin. Dieses ist das Produkt monatelanger Experimente, schwieriger Momente der Introspektion und einer Menge Übergangsphasen. Wie die vielen Banded Stilt (zu Deutsch Stelzenläufer), die sich über das Cover verteilen, watet Donnelly in unbekanntem Terrain, lernt, wer sie als Künstlerin ist und wie umfassend ein Individuum sein kann. Während ihrer Zeit in den australischen Regenwäldern von Bellingen, entdeckte Donnelly ihre Liebe zur Vogelbeobachtung. Indem sie der Natur um sie herum mehr Aufmerksamkeit schenkte, konnte sie „das Gefühl verlieren, dass irgendjemand auf mich reagiert. Ich vergaß, wer ich als Musikerin war und es war eine überwältigende Erfahrung, einfach nur zu sein, mein kleines Ich zu sein.“ Das Ergebnis wirkt dichter, bisweilen introvertierter, aber auch durchdachter und nicht weniger charmant als das Debüt.

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2. Sylvan Esso – No Rules Sandy (VÖ: 12.08.22)

Nachdem Abschluss der vom US-amerikanischen Duo Sylvan Esso als Trilogie empfundenen ersten drei Alben machte sich Leichtigkeit bei Amelia Meath und Nick Sanborn breit. Ohne Regeln, Anknüpfungspunkte oder Pflichten begannen die beiden sich einfach gegenseitig im Songwriting zu überraschen. Das Ergebnis ist No Rules Sandy, das neue Album des mehrfach Grammy-nominierten Duos, das am 12. August via Loma Vista Recordings digital erscheint. Es ist das wohl bisher furchtloseste, frenetischste, intimste und rätselhafteste Album von Sylvan Esso geworden – Meath sagt, No Rules Sandy sei geprägt von einer Mentalität der Direktheit und der Missachtung von Vorurteilen: „Es fühlt sich an wie das, was wir wirklich sind. Es fühlt sich einfach wie wir an. Wir versuchen nicht, in eine bestimmte Form zu passen, sondern sind einfach glücklich, unsere Freaks zu sein“. „Ich glaube, der Effekt unserer letzten Platte und der Pandemie war das Gefühl: ‚Scheiß drauf, ich weiß, was ich will‘,“ fügt Sanborn hinzu. „Und es heißt jetzt oder nie. Also lasst uns da rausgehen und es tun.“ 

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3. Julia Jacklin – Pre Pleasure (VÖ: 19.08.22)

Die nächste australische Songwriterin, die zu unseren liebsten überhaupt gehört und uns im August mit einem neuen Album verzaubert: Julia Jacklin! Im Vergleich zu ihrem gefeierten 2019er Vorgängeralbum Crushing nahm sie dabei einige Änderungen im Schreibprozess vor und verabschiedete sich von der Gitarre als ihrem ersten Instrument: “I blu-tacked reams of butcher paper to the walls, covered in lyrics and ideas, praying to the music gods that my brain would arrange everything in time.” Weiter sagt sie über die Hintergründe des neuen Albums: “A lot of the time I feel like I need to do all the work before I can enjoy my life. Whether that’s work on songs or sex, friendships, or my relationship with my family – I think if I work on them long and hard enough, eventually I’ll get to sit around and really enjoy them. But that’s not how anything works is it. It’s all an ongoing process.”

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4. Hot Chip – Freakout/Release (VÖ: 19.08.22)

Wenn man eine Genre-formende Band ist und einem immer der Ruf vorauseilt den Sound der Zukunft zu definieren, kann das auch schon mal lähmen und für zwischendurch schlechteren Alben-Output sorgen – nicht so bei Hot Chip! Seit über 20 Jahren sorgt das Londoner Quintett um die Masterminds Joe Goddard und Alexis Taylor immer wieder für Aufregung und neue Energie auf dem Dancefloor und auch ihr mittlerweile achtes Album wirkt als weiterer schwindelerregender Höhepunkt im Schaffen von Hot Chip. “Als wir wieder zusammenkamen, haben wir den Hahn aufgedreht und eine Menge Ideen fließen lassen”, erklärt Taylor, während Goddard den kreativen Angriffsplan so beschreibt: “Auf natürliche Weise, ohne große Diskussionen oder einen großen Plan.” Herausgekommen ist ein mitreißendes Album, das aufregend vielschichtig klingt und das Live-Gefühl der Band einfängt wie wenige andere zuvor. Dabei schöpft Freakout/Release aus dem Persönlichen und dem Politischen, um die Art und Weise zu beschreiben, wie Menschen selbst angesichts unerbittlicher Widerstände überleben. “Wir lebten in einer Zeit, in der man leicht das Gefühl hatte, dass die Menschen auf verschiedene Weise die Kontrolle über ihr Leben verlieren”, erklärt Goddard. “Es gibt eine Dunkelheit, die sich durch viele dieser Tracks zieht.”

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5. Ezra Furman – All Of Us Flames (VÖ: 26.08.22)

“It’s a queer album for the stage of life when you start to understand that you are not a lone wolf, but depend on finding your family, your people, how you work as part of a larger whole”, erklärt Ezra Furman zum neuen Album. “I wanted to make songs for use by threatened communities, and particularly the ones I belong to: trans people and Jews.” Produziert von John Congleton, entfesselt das Album mit zwölf Songs Furmans Songwriting in einem offenen, lebendigen Sound, der zugleich auch sehr intim ist. In der Welt von All of Us Flames scheint das Ende des patriarchalischen kapitalistischen Imperiums unmittelbar bevorzustehen und auch unausweichlich zu sein. “My world has already ended plenty of times before, and we queers know what to do: we take care of each other, we help each other out, we have a network of support for the crises we know will hit us from time to time.”

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Newcomer:

1. Sophia Blenda – Die neue Heiterkeit (VÖ: 19.08.22)

Die 26-jährige Songwriterin Sophia Blenda, Sophie Löw mit bürgerlichem Namen, ansonsten als Frontfrau der Wiener Band Culk bekannt, befasst sich mit ihrem am 19. August erscheinenden Solodebüt Die Neue Heiterkeit mit den Themenkomplexen Angst, Selbstbestimmung, Gewalt und Schwesternschaft. Im musikalischen Zentrum des eindringlichen Kammerpop-Entwurf, steht das Klavier, das mal düster, mal glamourös-melodiös durch die Songs trägt und Sophia Blendas Erzählung zugleich um- wie enthüllt. Manchmal steht da nur ihr Wort, minimalistisch umweht von fernen Klängen, die sich im nächsten Moment zu einem Sturm aus elektronisch-verzerrten, nervös-knarzenden Elementen und filmischen Streichern verdichten und einen musikalischen Rückhalt entwerfen für das ambivalente Empfinden zwischen Verletzlichkeit und Mut, Abhängigkeit und Selbstermächtigung. Immer, wirklich immer, vermittelt sich ein innerliches Luftholen, ein Moment, in dem sie alles von oben betrachtet. Sophia Blenda ist die Vertreterin einer Generation, deren Frauen sich zugleich mutig und resigniert, abgekanzelt und gesehen fühlen. Einer Generation deren Ängste immer lauter werden, aber ungehört bleiben. Die Angst ist da, aber die Sehnsucht nach ihrer Überwindung bleibt bis zuletzt größer…

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2. Twin Tooth – Cusp (VÖ: 26.08.22)

Die Anzahl der monatlichen Hörer bei Spotify sagt nicht wirklich etwas darüber aus, um welche Qualität es sich bei der dargebotenen Musik handelt – drum sehen wir uns eben bei Twin Tooth einfach als early adaptors an und hoffen, dass das Duo demnächst weitaus bessere Zahlen bei Spotify zu verzeichnen haben – verdient hätten sie es! Denn bei Twin Tooth treffen nicht nur Sängerin Anna Kohlweis (Paper Bird, Squalloscope) aus Wien und der Multi-Instrumentalist Jan Preißler (Wælder, Vögel die Erde essen, Dino Paris & der Chor der Finsternis) aus Berlin aufeinander – in ihrer Musik trifft The Postal Service auf The Notwist! Das Albums wurde von Kohlweiss und Preißler geschrieben und aufgenommen in den vergangenen Pandemiejahren. Erst am Ende der Produktion konnten sich die beiden daher zum ersten Mal persönlich treffen. Cusp ist Anna Kohlweis’ und Jan Preißlers Krisenmusik, entstanden zwischen zwei Metropolen; allein, und doch zusammen. Das Album entstand mit Leichtigkeit, weil beide Allrounder genau das taten, was sie am besten können. Deshalb sprechen bei allem Tiefgang und der die Texte durchziehenden Innerlichkeit weder Melancholie noch Resignation aus dieser Musik. Viel mehr sind Wandel und Aufbruch ihre Insignien. In zehn Songs trifft das Private auf das Universale, Tanzbares auf extreme Entschleunigung, und das Gefühl der immensen Isolation auf Verbundenheit im Schaffensprozess.

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3. Minoa – Forward, Backward, Start Again (VÖ: 19.08.22)

Es überrascht geradezu, dass es sich bei Minoa nicht etwa um eine gefeierte internationale Indie-Newcomerin handelt, sortieren sich doch die Songs ihres Debütalbums geschmacksicher zwischen den Songs von Genre-Größen wie Julia Jacklin, Big Thief, Angel Olsen, Soccer Mommy oder Snail Mail – doch bei der Wahl-Berlinerin handelt es sich um eine hiesige Newcomerin, von der man wohl noch einiges hören wird. Zwar wurde die Sängerin, Musikerin und Komponistin Ina Klos, die sich hinter dem Projekt verbirgt, in Houston, Texas geboren, aufgewachsen ist sie jedoch in einem kleinen Ort in der Nähe von Hannover. Dort studierte sie dann auch zwei Jahre lang Popularmusik, beendete das Studium jedoch frühzeitig, weil sie sich vom ständigen analytischen Hinterfragen in ihrem eigenen kreativen Schaffen ausgebremst fühlte. Sie ging nach Berlin – und erobert uns nun mit einem angenehm entspanntem Indie-Rock-Songwriter Entwurf, der den Größen der Szene huldigt, gleichzeitig aber auch mit eigener Note daherkommt. Der Titel ist dabei eine Metapher für den inneren Kampf mit sich selbst: Für die Ungeduld, endlich einen Schritt weiter zu kommen, mutig los zu sprinten und im nächsten Moment von der Angst eingeholt zu werden, weil man das sichere Terrain verlassen hat. Und es aufs Neue zu probieren. Und aufs Neue. Es ist dieser Zwiespalt, der sich auch in den Songs auf dem Album wiederfindet.

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Wiederkehrer: Obongjayar – Some Nights I Dream Of Doors (VÖ: 13.05.22)

Das hochgelobte, diesjährige Debütalbum des in London lebenden nigerianischen Künstlers Obongjayar ist der Höhepunkt jahrelanger Schreib- und Aufnahmearbeiten, Kollaborationen und Auftritte, die als echte Visitenkarte eines Künstlers dienen, der seinen eigenen, einzigartigen Musikstil gefunden hat – mit der Zeit als zentralem Thema reflektiert der Künstler über seine bisherige Reise und blickt in eine strahlende Zukunft. Seine musikalische Palette ist breit gefächert, mit einer Anspielung auf die reichhaltigen musikalischen Strukturen seiner nigerianischen Wurzeln fügt er eine Vielzahl von Einflüssen hinzu und auf Some Nights I Dream Of Doors ist sein Sound stärker denn je. In 12 Monaten Arbeit mit dem Produzenten Barney Lister hat er ein Album geschaffen, das über seinen Einfluss hinausgeht und ein innovatives und frisches Werk hervorbringt, das bereit ist, das Jahr 2022 zu definieren.

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Dominik

Bedroomdisco-Gründer, Redaktions-Chef, Hans in allen Gassen, Golden Leaves Festival Booker, Sammler, Fanboy, Exil-Darmstädter Wahl-Hamburger & happy kid, stuck with the heart of a sad punk - spreading love for great music since '08!

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