SOPHIA BLENDA – Heiterkeit als Kampfansage

Foto-© Sophia Löw

Sophie Löw aka Sophia Blenda kannten wir bislang als Frontfrau der Wiener Formation CULK und damit vor allem mit lauten Tönen. Am Freitag erscheint ihr Solodebüt Die Neue Heiterkeit bei PIAS und untermauert, welche herausragende Songwriterin und Texterin sie ist. Auf ihrem minimalistischen Album tummeln sich große Themen wie Angst, Gewalt, Selbstbestimmung, Frausein und Schwesternschaft. Ihre poetischen Texte betten sich nun in Kammerpop statt Indierock und kommen mit einer Wucht daher, die schnell auf die Repeat-Taste drücken lässt.

Wir haben Anfang Juli mit Löw über ihr Album gesprochen. Im Interview erzählt sie, dass Aldous Harding einen großen Anteil am Entstehen der Platte hat und warum sie vor allem das Klavier statt der großen Instrumentierung gewählt hat. Wir sprechen über persönliche, aber auch generationsübergreifende Ängste, wie sie das Frausein im Privaten und als Musikerin erfährt und warum das Bekenntnis zur Heiterkeit vor all den Problemen eine Kampfansage ist.

Herzlichen Glückwunsch zur ersten Soloplatte. Wie kam es dazu, dass du beschlossen hast, als Solokünstlerin zu arbeiten?
Nach den Aufnahmen des zweiten Albums meiner Band CULK war ich auf der Suche nach Referenzen für den Mix. Ich bin dann auf Aldous Harding und ihr Album Party gestoßen. Ihre Haltung zur Musik hat mich sehr beeindruckt und inspiriert. Gleichzeitig fand ich den Prozess im Studio schön und wollte nicht, dass es aufhört. Aldous Hardings Album habe ich zwei Tage lang durchgehört und währenddessen schon angefangen zu schreiben. In den Tagen danach habe ich das weitergeführt und bin ziemlich schnell ziemlich weit gekommen. Bei den Texten habe ich gleich intuitiv gespürt, dass sie nur mir gehören.

Wie würdest du diese Haltung beschreiben, mit der Aldous Harding dich inspiriert hat?
Einerseits diese extreme Intimität, die gleichzeitig sehr viel offenlässt. Aber auch ihr Zugang, Dinge auszusprechen und zu artikulieren. Die Instrumentalisierung ist teilweise sehr minimalistisch. Bei mir ist es meistens so, dass das Klavier der Ursprung der Instrumentalisierung eines Liedes ist. Es hat etwas Intimes, aber ich hatte oft das Gefühl, dass es nicht gut genug ist, nicht besonders genug…Dann habe ich mir gedacht, dass genau das das Coole an ihrem Album ist. Das hat mir einen Boost an Selbstbewusstsein gegeben, es auch zu machen.

Du sprichst von einer Intimität, die viel offen lässt. Aldous Harding ist auch eine Künstlerin, über deren Leben man wenig weiß.
Ja. Wenn man etwas sanft ansprechen will oder einem eigenen Weg hat, etwas zu betrachten und dem Raum gibt, hat das im Alltag oft keinen Platz. Das ist etwas sehr Schönes, das man mit Musik machen kann.

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Das Album heißt Die Neue Heiterkeit. Wofür steht für dich der Titel?
Für mich persönlich vereint das Album viele Ängste, die sich an die Zukunft richten, aber auch viel Hoffnung. Gleichzeitig existieren Dinge, die passiert sind und die man nicht mehr ändern kann, die man in der Vergangenheit lassen will. Das Zwischendrinsein und das Anerkennen, dass man auch für das „eigene Glück“ selbst verantwortlich ist. Die Neue Heiterkeit ist eine Adaption vom Glücklichsein. Es ist viel Arbeit, dass man – auch wenn es platt klingt – glücklich sein kann. Nicht nur für mich gesehen, kann er auch für etwas Anderes stehen. Es gibt Zukunftsängste, die meine Generation und jüngere Generationen oft erschlagen. Man muss also einen Umgang mit Ängsten lernen. Es ist eine Kampfansage, dass man sich das nicht nehmen lassen soll.

Ist die Musik für dich am Anfang eines Prozesses, der dazu führt, auch im Alltagsleben Dinge anders zu machen oder ist sie eher das Ergebnis einer Entwicklung?
Bei mir kommen viele Themen intuitiv. Ich habe dann das Gefühl, ich denke an eine andere Person, und merke später, dass es mich auch betrifft oder dass manche Dinge größer in einem stecken als man es glaubt. Es ist ein Prozess und ein Privileg als Musiker:in und Künstler:in viel Zeit und Ressourcen zu haben, alles passieren zu lassen und es nach und nach alles bearbeiten kann.

Andere Motive neben Angst und Zukunft sind Schwesternschaft und Frausein. Wie erlebst du die heutige Welt als Frau und auch die Arbeit als Künstlerin in dieser Beziehung?
Ich finde es schön, dass du das Wort Schwesternschaft benutzt hast. Meine Mama hat fünf Schwestern und diese Schwesternschaft ist ganz prägend für mich gewesen, weil alle extrem stark sind. Ich habe schon als Kind Dynamiken gespürt, von wem sie alle in unterschiedlichen Situationen unterdrückt und bevormundet wurden. Ich habe sofort gecheckt, dass sie tausendmal besser sind als alle anderen. Das hat mich sehr geprägt, denn ich habe gespürt, dass sie von vielen Leuten nicht als das wahrgenommen werden. Das zum Privaten. Zur Musik: In Wien tauchen in den letzten Jahren sehr viele Musikerinnen auf. Es ist schon eine Szene, in der es ur-schön ist, sich dazugehörig zu fühlen. Aber es ist trotzdem so, dass alle immer wieder schlechte Erfahrungen machen. Mit CULK haben wir zum Beispiel bei einem Festival gespielt und hatten eine Bassistin dabei. Wir saßen Backstage in einem Whirlpool. Es ist dann jemand von einer anderen Band dazu gekommen und hat gefragt, ob wir das Empfangskomitee sind, weil wir eben im Bikini in einem Whirlpool waren. Selbst bei Interviews zum neuen Album wurde ich vor nicht allzu langer Zeit von einem Mann gefragt, wer die Instrumente eingespielt hat. Dann habe ich gesagt, dass ich das war. Er fragte dann: „Okay, und wer ist jetzt der Produzent?“ und als ich dann gesagt habe, dass auch ich das zum großen Teil gemacht habe, hat er einfach nicht verstanden, dass ich das auch noch kann. Oder ich wurde nach einem CULK-Konzert gefragt, ob der andere Gitarrist neben mir, mir Gitarre spielen beigebracht hat. Bei den Konzerten sind fast immer nur Männer, die dort arbeiten.

Ich finde das interessant, da es in den letzten Jahren immer wieder Thema war, dass die Szene im Umbruch sei und sich Dinge verändern. Es wirkt, als könnte man da viel behaupten, aber im Alltag ist dieser Umbruch einfach nicht da. Der Weg ist offener, aber trotzdem noch gesäumt von solchen Situationen, an denen du vorbei musst.
Ja, zu 100%.

Deine Texte sind in dieser Hinsicht auch explizit. Ich denke da an Songs wie Ties oder BH. Wie gehen Männer damit um? Welche Reaktionen bekommst du?
In Bezug auf das Soloalbum habe ich von Männern keine Reaktionen bekommen. Da habe ich eher das Gefühl, dass manche das dann gar nicht lesen wollen. Bei Konzerten spürt man ja immer auch, ob die Menschen das fühlen – gerade auch den Text – oder ob es da eher um die Musik geht. Da spüre ich oft einen Unterschied, wenn das Publikum mehr aus weiblich gelesenen Personen besteht.

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Ich mir habe in Vorbereitung des Interviews viele Gedanken über Gefühle gemacht, die dein Album in mir als Hörerin auslöst. Welche Gefühle löst es in dir als Künstlerin aus?
Ich habe es schon länger nicht gehört, weil ich es mir für den Release aufheben wollte. Damit ich es wieder auf eine andere Art und Weise höre. Ich fühle mich stark und empowered.

Sind das die Gefühle, die du deinen Zuhörer:innen auch wünscht?
Ja. Ich weiß nicht, ob es das kann. Was ich mir wünschen würde, wäre zumindest, dass sich manche Personen mit etwas nicht alleine fühlen. Durch gemeinsames Leid – was ja eigentlich etwas sehr Negatives ist – kann man auch ein Gemeinschaftsgefühl erzeugen, das man vielleicht in etwas Positives umlenken kann.

Die Beschreibung deines Schreibprozesses wirkt sehr konzentriert, fast wie in einem Tunnel. Ist das immer so bei dir oder war das eine neue Erfahrung?
Es gibt immer Tunnel-Phasen, die sich auch über Tage ziehen können. Sonst ist es auch oft ein Sammeln von Worten, Phrasen und Gedanken, bei dem ich am Ende ein Puzzle zusammensetze.

Für Die Neue Heiterkeit war das Aldous Harding Album der Auslöser eines aktiven und intensiven Schreibprozesses. Gibt es das öfter, dass du sammelst und eine Inspiration dann die Arbeit des Zusammensetzens auslöst?
Ja, ich brauche schon Auslöser. Es gibt dann immer Abschnitte, in denen ich süchtig nach einer bestimmten Musik bin. Ich finde das so toll, dass Menschen das erschaffen können. Das treibt mich dann an, es selbst zu probieren.

War es dir von Anfang klar, dass du selbst produzieren möchtest?
Das war überhaupt nicht klar und so sehr mich das ärgert, wenn mir Männer das nicht zutrauen, so muss ich auch ehrlich sein, dass ich es mir selber nicht zugetraut habe. Ich habe einfach mit Garage Band Dinge ausprobiert. Das habe ich vorher noch nie gemacht. Dann sind Songs daraus geworden. Ich habe mir gedacht, dass ich mit irgendwem alles neu machen muss, weil ich es nicht gescheit gemacht habe und eben kein Pro bin. Als die Songs dann mehr oder weniger fertig waren, bin ich mit einem Freund, der das professionell macht, noch einmal drüber gegangen. Er hat dann gesagt: „Das können wir alles genau so nehmen, das ist voll cool und das passt.“ Bei manchen Songs haben wir die Vocals dann auch nicht mehr neu aufgenommen, weil eben der Vibe von der unperfekten Aufnahme perfekt war. Teilweise habe ich mit dem Mikro und dem Laptop auf der Couch gelegen und irgendetwas eingesungen. Wir haben dann probiert, es noch einmal aufzunehmen und es war einfach nicht besser.

Vielen Dank für das Interview! Wir freuen uns auf den Release.

Sophia Blenda Tour:
11.10.22 Jena, Trafo
12.10.22 Hamburg, Nachtasyl
13.10.22 Berlin, Berghain Kantine
14.10.22 Darmstadt, Bedroomdisco
15.10.22 München, Heppel & Ettlich
19.10.22 Dortmund, Kino im U
20.10.22 Köln, Die Wohngemeinschaft
21.10.22 Reutlingen, franz.K

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