SEED TO TREE – Viva la Langeweile!

Foto-© Sebastian Madej

Auf meinem imaginären Shirt prangt “Seed to Tree Tour 2022. Ich war dabei!” – und mit mir im Oktober und November ein paar hundert weitere Indie Folk-Pop begeisterte Menschen. Die gefütterten Stiefel wurden durch Tanzschuhe ausgetauscht, die Jacke im Club in die Ecke geworfen und sich von der Energie der Band mitreißen gelassen.

Mit Rip-Off Game konnten sie außerdem ihre neu erschienene Single dem Publikum präsentieren. Hier könnt ihr euch das anhören und hier unten könnt ihr lesen, was die Idee dahinter war. Viva la Langeweile!

Gerade befindet ihr euch noch auf eurer kleinen Deutschlandtour. Was ist eure schlimmste und schönste Bühnenerfahrung?
Benjamin: Gestern war einer der schönsten Erfahrungen, glaub ich. (Anm. der Redakteurin: Da spielten sie ein Konzert in Hamburg). Gestern war einfach gut, weil viele Leute da waren, die Bock hatten. Also diese Stimmung nach Corona, endlich geht es wieder weiter mit Club-Shows. Wir haben neue Lieder gespielt, die sich richtig gut anfühlen…es rollt einfach.
Michi: Generell das positivste ist immer, wenn man irgendwo in der Venue ankommt und die Vorverkaufszahlen so sind, dass das schon mal den ganzen Druck wegnimmt vom Abend selbst. Wenn die Zahlen schon stimmen, sodass man nicht noch auf Abendkasse hoffen muss. Das war bis jetzt eigentlich ganz cool.
Benjamin: Wir kommen jetzt durch den Monat.
Michi: Das schlimmste ist, wenn du nur zwei Getränkemarken bekommst und nicht mal der Sound Tech überhaupt welche bekommt.
Georges: Das geht nicht, wenn der Sound Techniker keine Getränkemarken bekommt. Da werden wir richtig aggro.
Benjamin: Es kann es ja auch sein, dass wir was Schlimmes gemacht haben. Die schlimmste Erfahrung auf Tour war wahrscheinlich, als wir am Anfang unserer Bandexistenz auch einfach manchmal scheiße gespielt haben.
Georges: Das stimmt nicht.
Benjamin: Wir waren mal nicht so gut.
Georges: Das stimmt. (lacht)

Ihr kommt aus Luxemburg. Wie beschreibt ihr die dortige Musikszene?
Georges: Das ist eine Szene, die sich gerade gut entwickelt. Ich glaube aber, was Luxemburg teilweise noch fehlt ist eine Band, die wirklich die Tür öffnet. Man merkt das manchmal auf Showcase Festivals, dass es eine Nation gibt, die dann wirklich vorgestellt wird. Und Luxemburg ist da oft unter dem Radar. Wir haben ein paar richtig gute Bands im Moment. Francis of Delirium ist so eine Indie Rock-Band, die wir sehr mögen. In der Szene gibt es sehr viele junge, talentierte Frauen, die tolle Musik machen. Wir freuen uns, Teil einer solch vielfältigen, progressiven Musikszene zu sein. Ich glaube, man findet dort gespielte Musik auch einfach cool. So Leute, die im Proberaum jammen, Songs schreiben und die eine gute Energie auf der Bühne haben. So haben wir auch angefangen. Wir haben unser eigenes Soundsystem angeschleppt. Am Anfang war man einfach alles: Man war Promoter, Sound Techniker, Musiker und ich find das immer noch eine geile Schule. Und ich finde das geht so ein bisschen verloren. Vielleicht fehlt mir diese DIY-Szene in Luxemburg. Das gibt es, aber ist auch nicht so mega präsent.

Ihr habt gerade erst eure neue Single Rip-Off Game herausgebracht, indem es um den Leistungsdruck in Gesellschaften geht. Was waren die Hintergründe das zu thematisieren?
Georges: Das kommt aus einer Beobachtung der Welt. Wieso gerade jetzt nochmal speziell: Weil man während Covid gesehen hat, dass die Welt trotzdem noch funktioniert, auch wenn alles lahmgelegt wird. Es ist ja einfach eine existentielle Angst, mit der die Politik, die Wirtschaft spielt à la “Das ist ganz schlimm, wenn es kein Wachstum mehr gibt. Das bricht alles zusammen.” Und dann ist alles lahmgelegt und es scheint trotzdem alles zu funktionieren. Prinzipiell hätte ich die gleiche Kritik schon vor fünf Jahren gemacht. Alles muss schneller, alles muss effizient sein. Es gibt keine Rückzugsräume mehr, das Private muss auch noch auf Instagram überall stattfinden. Also ich will jetzt nicht alles mega abhaten, aber ich finde das macht schon etwas mit einem. Es gibt ganz neue Begriffe, wie zum Beispiel “Selbstoptimierungsstrategien”, what the fuck does that mean? Für mich sind das eigentlich nur durchkapitalisierte Begriffe. Ich glaube, eine wahre Entschleunigung ist es, einen Bezug zur Welt zu finden, indem man manchmal innehält und sich überlegt: Was würde mir oder der Menschheit eigentlich guttun und wieder mehr nach dieser Maxime zu handeln. Mic drop.

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Es ist krass, wie wir in diese Welt hineingeboren werden und uns als Kinder dem fügen müssen: Gute Noten in der Schule, sonst wird nichts aus dir und erstmal keine andere Wahl zu haben scheinen, oder?
Georges: Ich find schon, dass man das bei Kindern manchmal sieht, wie sie bereits unserer Leistungsgesellschaft verinnerlicht haben. Vielleicht ist das auch einfach etwas Urmenschliches. Es gibt Leader und es gibt die, die folgen. Es gibt bei kleinen Kindern auch denjenigen, der den Ton angibt und andere vielleicht weniger. Andererseits sehe ich bei Kindern aber auch Auswege aus dem Leistungsdruck: Dieses Sich-langweilen, ist etwas, was man bei Kindern beobachten kann, was ich eine Qualität finde. Für uns Erwachsene ist jede Minute, die du nicht arbeitest, verlorene Zeit. Was ist denn schon verlorene Zeit? Ist doch was Schönes, sich zu langweilen und dass man das vielleicht verlernt hat. Und darum geht es unter anderem in diesem Lied.

Was stört euch am Erwachsensein?
Michi: Für mich ist Kind-sein und was mich nervt am Erwachsensein, dass sogar Sachen, die Spaß machen immer einen Effizienz-Hintergedanken haben und als Kind hast du Sachen gemacht, die Spaß machen, aus dem einzigen Grund, weil es dir Spaß gemacht hat.

Es gibt diese Zeile in Rip-Off Game, die lautet: “I will try to hide my mediocrity”. Welche Mittelmäßigkeit sprichst du da an?
Georges: Worauf ich hinauswollte im Text ist, dass eine permanente Selbstdarstellung herrscht. Man zeigt immer nur seine guten Seiten und es wird gesellschaftlich als Schwäche angesehen, zum Beispiel gerade als Mann, eine Verletzlichkeit nach außen zu zeigen.

2019 kam euer letztes Album Proportions heraus, 2021 eine Single und nun Rip-Off Game. Wie habt ihr die letzten Monate verbracht?
Michi: Die Produktion der Single, die jetzt herauskommen ist, war ein Prozess, der sich die ganze Corona-Zeit über gestreckt hat. Im April waren wir im Studio, da haben wir ein paar Songs aufgenommen, unter anderem auch Rip-Off Game zum mittlerweile dritten Mal. Man hätte schon eine erste Version 2019 gehabt wahrscheinlich.

Hat das sehr anders geklungen? Hat sich eher Melodie oder Text geändert?
Michi: Es ging generell um den Vibe des Songs. Die Idee stand schon seit zwei, drei Jahren, aber wir haben mit einer technisch-ästhetischen Umsetzung gehadert. Wir waren zum Teil da selbst überfragt und auf andere angewiesen. Wir mussten dann verschiedene Partnerschaften testen und haben schlussendlich mit einem Produzenten zusammengearbeitet, der das, was wir schon die ganze Zeit gefühlt haben bei dem Song, geschafft hat umzusetzen.
Georges: Gut gesagt. Der Song hat eine lange Geschichte und musste durch viele Etappen gehen. Ich glaub jeder, der daran gearbeitet hat, hat seinen Anteil am Resultat. Wir haben einfach nach der Person gesucht, die vielleicht diese Ästhetik am besten einfängt. Das war im Endeffekt Thomas Harsem, ein deutscher Produzent, der in Schweden wohnt.

Wie seid ihr auf ihn gekommen?
Georges: Er hat schon Unconcerned und Proportions gemixed, das heißt wir kennen den schon sehr lange und mögen, was er macht. Er sitzt halt in Schweden und da war das logistisch nie so einfach mit ihm zusammenzuarbeiten.

Also kommt nächstes Jahr ein neues Album?
Georges: Nächstes Jahr kommt auf jeden Fall neue Musik, eine Platte und was es genau wird, das können wir gerade noch nicht sagen, was daran liegt, dass es noch so ein, zwei Baustellen gibt und wir nicht wissen, was wir nachher alles auf die CD packen.

Drei unkomplizierte Fragen zum Ende:
Was müsst ihr noch lernen?

Benjamin: Noten

Was könnt ihr richtig gut?
Georges: Koexistieren

Welchen Rat könnt ihr geben?
Georges: Man kann ohne Noten auch gute Musik machen.

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Sara Seemann

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