THE CROW – Filmkritik


Foto-© Larry Horricks for Lionsgate

When someone dies, a crow carries their soul to the land of the dead. But sometimes, something so bad happens, that the soul cannot rest… until you out the wrong things right.

(Kronos – The Crow)

Die Fußstapfen, in die Rupert Sanders (Snow White and the Huntsman) mit seiner Neuverfilmung der Graphic Novel The Crow von James O’Barr treten will, sind groß: Die Version von 1994 mit Brandon Lee in der Hauptrolle ist ein Goth-Klassiker und für manche sogar eine Art Vorläufer des späteren Trends zu düsteren, knallharten Superheldenfilmen. Und wie das bei Klassikern so ist, wird das Werk am Original gemessen – obwohl Sanders betonte, er habe keine Neuauflage des Films im Sinne gehabt, sondern eher eine zweite, moderne Adaption des Comics. An den teilweise vernichtenden Kritiken aus den USA lässt sich ablesen, dass der Film einen empfindlichen Nerv trifft und vielen Fans des Originals wie ein Sakrileg vorkommt, unter anderem weil Brandon Lee beim Dreh unter tragischen Umständen mit 28 Jahren starb und in den letzten Szenen durch ein Double und CGI-Effekte ersetzt werden musste. Diesem Vermächtnis gerecht zu werden, ist keine leichte Aufgabe, besonders wenn Schauspieler*innen wie Rochelle Davis, die im Film von 1994 die Rolle der Sarah spielte, zum Boykott aufrufen.

Die Handlung ist schnell erzählt: Eric Draven (Bill Skarsgård) und Shelly Webster (FKA twigs) lernen sich in einer Entzugsklinik kennen, verlieben sich ineinander und fliehen. Dabei werden sie bald von ominösen, kriminellen Figuren aus Shellys Vergangenheit eingeholt und ermordet, doch Eric wird nach seinem Tod von einer Krähe wiederbelebt, jetzt mit übernatürlichen Fähigkeiten und Unverwundbarkeit ausgestattet, um seine Geliebte zu rächen und ihre Seele zu retten.

Visuell ist The Crow 2024 solide gemacht, und die Action – besonders der Shootout in der Oper – wird vor allem Fans von ähnlichen Rache-Thrillern wie John Wick gefallen. Danny Huston ist ein eleganter und bedrohlicher Endboss, und während Bill Skarsgård wirklich das Beste aus dem macht, was ihm vorgegeben wurde, ist der Aufbau der Figur des Eric Draven hier einfach misslungen. In der ersten Hälfte des Films wirkt er wie ein unter Drogen stehender Teenager, der passiv durch die Story schlafwandelt, wodurch seine Entwicklung zum Rächer-Helden nicht überzeugt. Er scheint anfangs überhaupt keine Agency und kein Ziel zu haben; Shelly ist die aktive Person, die alle Entscheidungen trifft. FKA twigs macht ihre Sache zwar verhältnismäßig gut, aber beide schaffen es nicht, ihre Figuren wirklich sympathisch wirken zu lassen. Einige Nebencharaktere, zum Beispiel Freunde von Shelly, die sich in Not befinden, werden von den beiden – und vom Skript – scheinbar einfach vergessen, sobald sie eine Beziehung eingehen und eine gute Zeit im Drogenrausch verleben, wodurch sie nicht gerade liebenswert wirken, sondern eher wie hedonistische, impulsive und egozentrische Teenager.

Gleichzeitig werden die Bösewichte wenig in (sadistischer) Aktion gezeigt, ihre Gräueltaten und Motivationen bleiben abstrakt. Dadurch sind sie nicht so hassenswert wie die Gangster im Original, weswegen Erics Rachefeldzug auch keinen wirklichen emotionalen Payoff bringt, sondern sich nur oberflächlich und stilisiert anfühlt. Auch dass viele Nebenfiguren aus dem Original entfernt wurden, wie zum Beispiel Sarah, das junge Mädchen, mit dem Eric befreundet war, ist keine gute Entscheidung. Es gibt keine „normale“ Person, mit der sich das Publikum identifizieren kann, und keinen anderen emotionalen Ankerpunkt für Eric außer Shelly, wodurch er weniger romantisch, sondern vielmehr co-abhängig wirkt.

Wo das Original eine sehr spezifische Zeit in der Alternative- und Goth-Szene der 90er Jahre einfängt, wirkt The Crow 2024 einfach wie ein generischer, bemüht düsterer Superhelden-Thriller, der nicht mal versucht, über die einzigartige Ästhetik des Originals Nostalgie zu generieren und dadurch Geld einzuheimsen. Die teilweise vernichtenden Urteile aus den USA mögen übertrieben sein, der Film ist durchaus unterhaltsam, gut choreografiert und schön anzuschauen. The Crow 2024 bietet letzten Endes austauschbares Halloween-Popcornkino und verbaut sich viel potenzielle emotionale Schagkraft durch Plot Holes, unausgereifte Figuren, unklare Motivationen und fehlendes World-Building.

The Crow (USA 2024)
Regie: Rupert Sanders
Darsteller: Bill Skarsgard, FKA Twigs, Danny Huston
Kinostart: 12. September 2024, LEONINE

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Tamara Plempe

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