Foto-© LEONINE
„One touch, without a rope on is all it takes.“
(Momma – Never Let Go)
Abgeschieden vom Rest der Welt, wenn nicht sogar als die letzten Überlebenden eben dieser, lebt eine Mutter (Halle Berry) mit ihren beiden Söhnen Nolan (Percy Daggs IV) und Samuel (Anthony B. Jenkins) tief in den Wäldern Amerikas. Die nähere Umgebung ihres Hauses können sie nur so weit erkunden, wie die mit dem Fundament verbundenen, im Zitat erwähnten Seile reichen. Denn von diesem getrennt, wären sie den im Wald lebenden Dämonen hilflos ausgeliefert. Da jedoch nur die Mutter diese wahrnimmt, keimen in Nolan Zweifel, ob sie tatsächlich existieren.
Nicht nur Horrorveteranen ahnen was der Dreh- und Angelpunkt des Dramas in und der Geschichte selbst ist. Existieren die Dämonen oder sind sie eine Metapher für irgendwie geartetes nicht bewältigtes Trauma der Mutter? Wer dies beantwortet haben möchte, muss den Film sehen, wir verraten natürlich weder die Antwort noch ob es eine eindeutige Antwort gibt. Am Anfang fühlt sich der Film dadurch ein wenig nach M. Night Shyamalans Filmen an, die leider oft, aber manchmal auch zu Unrecht auf diese eine Frage reduziert werden, die Frage, was denn nun dahintersteckt. In diese Falle tappt der Film jedoch nicht. Zunächst hat Regisseur Alexandre Aja mehr als genug Horror-Erfahrung, um euch mit der gesamten Klaviatur des Genres so sehr zu schockieren, zu gruseln und schlicht zu unterhalten, dass ihr kaum Zeit zum Nachdenken habt. Schließlich verantwortet er unter anderem den französischen, ultraharten Klassiker High Tension, campy Krokodilhorror Crawl, das sehr gute 2006er Remake von The Hills Have Eyes sowie den klaustrophobischen Netflix Horror Oxygen und den nachdenklichen Daniel Radcliffe Horns. Ob einem die Auflösung am Ende überrascht oder gefällt, gerät dabei fast zur Nebensache. Schön auch, dass sowohl das Haus als auch der Wald nicht nur gruselig und dunkel dargestellt werden, obwohl es derer ebenfalls genug Szenen gibt. Das Haus sieht verlebt, aber durchaus gemütlich und lebendig aus, ebenso wie die teils wunderschönen dicht begrünten, Moos überwucherten Waldlandschaften. Umso drastischer stechen dann die Dämonen in Form entstellter, blutüberströmter Menschen hervor. Zuletzt seien auch noch die Darsteller gelobt, Halle Berry gibt sich glaubwürdig ambivalent von liebevoll bis wahnsinnig und euch die beiden jungen Darsteller Percy Daggs IV und Anthony B. Jenkins lassen kaum Zweifel aufkommen, dass sowohl die Liebe zueinander als auch der Horror real sind.
Ein wenig zu unrecht hat Never Let Go bisher nicht so richtig sein Zielpublikum gefunden. Wahrscheinlich weil er eben weder Achterbahnhorror mit unzähligen Jumpscares noch die ganz tiefe Arthouse Elevated Horror-Erfahrung bietet. Wer den Film jedoch einlegt, dem wird es leicht fallen, sich von der dichten Atmosphäre in die Tiefen des Waldes ziehen zu lassen. Ob ihr dabei so geistesgegenwärtig seid, ob dem Ursprung des Bösen zu rätseln oder euch auf eine Perspektive festlegt, ihr werdet absolut angespannt, um das Überleben der Familie fiebern und bis zuletzt auf ein gutes Ende hoffen, einen guten Film bekommt ihr auf jeden Fall.
Never Let Go (USA CAN FRA 2024)
Regie: Alexandre Aja
Darsteller: Halle Berry, Percy Daggs IV, Anthony B. Jenkins, William Catlett
Heimkino-VÖ: 10. Januar 2025, LEONINE
