BLONDSHELL – If You Asked For A Picture


Foto-© Hannah Bon

You thought you married somebody’s friend
But I stay at home, unless I feel like giving you hell
Falling in love, a slut
An uppercut at all of the parts
I tried and can’t, Romance
It’s not my fault it’s who I am
When I feel bad I bring it back and leave it all at your door
A parting gift, kiss me back
I’m sorry for changing

(Blondshell – Change)

Die besten neuen Geschichten lassen einen rastlos zurück, sobald sie ausgelesen sind. Fortsetzung, sofort, bitte. Im Gegensatz zu so mancher geschriebenen Geschichte ist das Schöne an musikalischen Debüts, dass sie meist eine Fortsetzung bekommen, und das häufig relativ zackig – kommerziellem Druck nach dem Durchbruch sei Dank. Seit Sabrina Teitelbaum 2023 als Blondshell debütierte, haben Fans auf die Fortsetzung gewartet, wie so häufig mit der unerfüllbaren doppelten Erwartung an das sophomore Album: Es soll bitte genauso sein wie das Debüt, und trotzdem eine künstlerische Weiterentwicklung zeigen.

If You Asked For A Picture, zwei Jahre später, schafft das erstaunlich gut. Mit viel Wut auf sich und die Welt, ohne Filter, mit großen Fragen aber ohne viel Pomp und Schleifchen, liefert Blondshell eine brutale Tour durch toxische Beziehungen und Identitätsfragen einer Ende-zwanzig-Jährigen. Dabei geht sie im Vergleich zu Album Nummer eins einen Hauch weniger auf Konfrontation mit den Männern, dafür umso mehr mit sich selbst und ihrer Mutter. Heraus kommen fantastisch getextete, schmerzhaft reflektierte 46 Minuten vor einer sauber modernisierten 2000er-Rock-Kulisse.

Teitelbaum hat sich damit ganz ihrem Songwriting verschrieben, wie sie auch im Interview mit Bedroomdisco klarmachte: „The recording should be true to the song…There are a lot of acoustic songs on this album that I would have liked to be big rock songs. Ideally, I would have chosen twelve huge rock songs and one acoustic song. But that’s not the record that I got.”

Die Nuancen, die sich daraus ergeben haben, zeigt bereits der erste Track Thumbtack, ein gefühlvoller Opener mit ausdrucksstarken Lyrics über eine zerstörerische Liebe. Stimmlich sanfter und melodischer als vieles auf dem Debüt, geht doch nichts von der emotionalen Kraft verloren. Die Refrainzeile „Keep fucking with my head, ‘cause it’s not as bad as what I do to myself” bleibt wie eine Reißzwecke brennend stecken.

Auf Thumbtack folgt die spektakuläre erste Hälfte bestehend aus größtenteils bereits als Singles veröffentlichten Songs. Sie überbieten sich gegenseitig in Dramatik und Pop-Punk-Ästhetik. T&A erzählt in voller Härte von einer Freundschaft, die nur halb freiwillig und aus niedrigem Selbstwertgefühl heraus zu einer (schlechten) Beziehung wird, Two Times hingegen handelt von einer eigentlich viel gesünderen Partnerschaft, die ohne Manipulation und Schmerz aber kaum real scheint: „How bad does it have to hurt to count, does it have to hurt at all?” ist ein Schlüsselsatz für das Album, das auch „Love Songs without love“ heißen könnte. Oder, ein weiterer plakativer Titelvorschlag und gleichzeitig das zweite große Thema für Teitelbaum: Mutterkomplexe.

Schon mit dem starken Track Arms geht die Auseinandersetzung mit Mutterrollen indirekt los, in What’s Fair – im Refrain mit der besten Avril Lavigne Impression auf dem Album – nimmt Teitelbaum dann keine Umwege mehr. Mit Zorn und doch auch Mitgefühl fragt sie sich, wie sie nur jemals fair bewerten kann, ob ihre Mutter einen guten Job gemacht hat, und ist dabei so ehrlich, dass es wehtut: „I know there’s nothing less perfect to a girl than a mom“ oder, falls es noch nicht klar wurde: „I didn’t choose you, you chose me.“

Im selben Stil (und auch mit demselben Ohrwurmfaktor) kommt 23’s A Baby daher, die letzte Single, die vor dem Albumrelease kam. Vor simplen Akkorden und gängiger Struktur findet Teitelbaum die richtigen Worte für die Selbstzweifel in einem Alter, in dem man weder Erwachsene noch Kind ist. Darin steckt auch wieder eine schonungslose – und, vielleicht ist das noch schlimmer, hoffnungslose – Anklage an die eigene Mutter, in der es immer wieder um die Sorge geht, deren Fehler zu wiederholen.

„No two songs sound alike“ wurde mal über Blondshell (das Album) geschrieben – das stimmt ab der zweiten Hälfte von If You Asked for a Picture definitiv nicht mehr, dieselben zwei-drei Akkorde tauchen mit nur leichten Abwandlungen auf der ganzen Tracklist auf. Aber es ist eben ein Singer-Songwriter-Album, das Geheimnis von Blondshell liegt nicht in eklektischen Konzepten, es liegt in Teitelbaums Stimmfarbe in Kombination mit ihrer Fähigkeit, auf kleinem Raum eine sehr authentische Sprache zu finden. Die Songs bleiben kurz und direkt. Wenn sie sich aber mal etwas Zeit nehmen, so wie Change, einer der besten Deep Cuts der Platte, zahl es sich doppelt aus. Mit seinem spannungsvollen Verlauf, spielerischen Elementen im Refrain und kleinen Soli ist der Song besonders intensiv.

Nach diesem Highlight breitet der Rest des Albums den Blondshell-Sound und die oben beschriebenen Themen weiter aus, vom Radiorock über Kontrolle und Kontrollverlust auf Toy bis zum getragen-düsteren Man, in dem wie an einigen anderen Songs Parallelen zu frühen Paramore-Songs und zu Girlpool, durchrscheinen, die ebenfalls mit Produzent Yves Rothman zusammengearbeitet haben. Man zeigt neben starken Gitarrenparts auch die beste Lage für Teitelbaums Stimme, die den Song trägt.

Mit Model Rockets schließt Blondshell dann den Kreis durch eine ruhige, innere Identitätssuche. Gesang und Melodie im Chorus sind berührend, die Lyrics wieder entwaffnend ehrlich: „The problem is I don’t know what I want anymore, Glued a rose to the top of the door but it fell, Life may have been happening elsewhere.”

Bei all der Dissoziation ist es ein Geschenk, dass dieses Album so aktuell, so unmittelbar klingt. Blondshell etabliert sich mit If You Asked for a Picture ganz oben in der kleinen, feinen Indierock-Riege, die ernsthaft das Erbe von Paramore und co. beanspruchen kann. Und dabei klingt sie trotzdem weiter vor allem wie sie selbst.

Blondshell – If You Asked for a Picture
VÖ: 2, Mai 2025, Partisan Records
www.blondshellmusic.com
www.instagram.com/blondshell

Blondshell Tour:
20.09.25 Hamburg, Reeperbahn Festival
23.09.25 Berlin, Hole44
25.09.25 Köln, Helios37

YouTube Video

Phillip Kaeding

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