XMAL DEUTSCHLAND – Interview

Foto-© Kevin Cummins

Lange draußen, jetzt wieder mittendrin – das gilt für Anja Huwe unbedingt. Vor einem Jahr ist ihr erstes Soloalbum Codes bei Sacred Bones erschienen. Es war das erste Lebenszeichen nach einer langen Abstinenz im Musikbereich. Kennen tut man sie aus einem anderen Kontext, der Dekaden zurück liegt. Zwischen 1980 und 1991 war sie Sängerin von Xmal Deutschland. Die Gruppe entstand in Hamburg zu einer Zeit, als es eine Punk-Szene gab und man vom DIY-Geist geflasht war. Sie bestand zunächst aus fünf Frauen, mit Anja als Sängerin. Ihre ersten Singles erschienen ursprünglich auf dem Indie Zickzack, im Vorjahr gab es sie noch mal als Re-Release gesammelt auf einer Compilation, auch bei Sacred Bones. Ein Label aus New York – irgendwie ist das typisch. In Deutschland ist die Band Insidern ein Begriff, international genießt sie Heldenstatus. Nicht zuletzt liegt das an den beiden Alben Fetisch und Tocsin, die 1983 und 1984 beim englischen Label 4AD erschienen. Der Sehnsucht danach trägt man nun mit der Bündel-Veröffentlichung Gift: The 4AD Years Rechnung. Aus diesem Grund nutzten wir die Gelegenheit, mit Anja über das Damals und Heute zu sprechen. Dafür sind wir sehr dankbar. Die Frau ist im nicht mehr ganz jungen Alter schwer in Action – als Solokünstlerin, Bandmitglied und Malerin.

Fangen wir ganz vorne an, mit der Gründerzeit um 1980 in Hamburg. Damals noch mit der Frauenkonstellation mit fünf Frauen. Was schwebte euch da vor, wer kickte und animierte euch, eine Band zu werden?
Eigentlich kickte uns diese ganze Szene damals. Ich war relativ früh in London, habe da meine ersten Punk-Konzerte gesehen und traf dann meine Freundinnen zum ersten Mal in Hamburg. Man lernte sich damals in der Markthalle und den ganzen Läden kennen, wo diese Konzerte stattfanden. Wir hatten Freunde, die spielten in Bands wie Front oder Coroners. Es gab damals diese Aufbruchstimmung. Diese Philosophie, dass jeder das machen kann, was er oder sie will. Auf dieser Basis haben wir angefangen.

Welche Punkbands waren das, die du in London gesehen hast?
Meine erste Bands waren The Clash und The Slits im Lyceum. Das war so ein altes Theater gewesen, du kamst da irgendwie rein. Ich wurde mit reingezogen. hatte gar keine Karte. Da waren diese Punks, diese Jungs mit ihren Haaren, die zogen ihre Lederjacken aus, sind nach vorne gegangen und haben getanzt, gepogt. Das hat mich unheimlich beeindruckt. Überall lagen Lederjacken. Keiner hat was gemacht, keiner hat sie weggenommen. Alle waren glücklich und haben ihren Spaß gehabt. Das war meine Generation. Nicht alte Säcke, die mir irgendwas von Festivals erzählen, wo ich nie war.

The Slits sind als Beispiel interessant. Eine Frauenband mit einer Deutschen als Sängerin. Damals war so etwas selten, war so eine Konstellation ein richtiges Statement. Wie war das etwas für euch? Fühltet ihr euch als feministische Vorläuferinnen?
Nee, das war eigentlich Zufall, hatte sich so ergeben. Es gab recht wenige, die so aussahen zu der Zeit. Wir trugen dieselben Klamotten und hatten ähnliche Attitüden, was Style und Optik betraf. Ein feministischer Ansatz war das für uns nicht. Man muss auch sagen, zu der Zeit war Feminismus irgendwie ein sehr unschön (lacht). Das war überhaupt nicht unsere Welt.

Drei Männer waren sehr wichtig in der Entwicklung bis 1983 für die Band und für dich. Alfred Hilsberg hat die ersten Singles von Xmal Deutschland veröffentlicht. Er war so ein bisschen der Vater der Punk- und Indie-Szene in Hamburg mit dem Zickzack-Label. Wie kam er auf euch zu, warum wollte er euch haben?
Der kam gar nicht auf uns zu, wir kamen auf ihn zu (lacht). Wir hatten Freunde, die alle bei ihm veröffentlichten. Alle waren in so einer Gruppe von Leuten, diese ganzen Hamburger. Frank Ziegert von Abwärts gehörte auch dazu. Sie hatten alle irgendwie mit Alfred zu tun. Eines Tages wollten wir auch eine Platte machen, dann sind wir zu Alfred in die Glashüttenstraße gefahren. Er wohnte in einer Altbauwohnung mit seinen Kanarienvögeln. Da haben wir uns auf sein Bett mitten im Raum geworfen und haben gesagt: Alfred, hör mal zu, wir haben hier jetzt drei Songs geschrieben, die möchten wir gerne aufnehmen. Wir würden gerne eine Platte bei dir machen. Ich glaube, das war zu viel für ihn – sonst nur die Kanarienvögel, dann auf einmal diese fünf Mädchen. Irgendwann hat er Ja gesagt. So fing das alles an…(lacht)…das ist die Wahrheit.

Foto-© Jan Riephoff
Foto-© Jan Riephoff

Die Bindung zu Alfred hielt am Ende zwei Singles lang. Dann tauchte plötzlich Ivo Watts-Russell von 4AD Records auf. Er hat euer erstes Album Fetisch produziert. Wie kam der Kontakt zustande?
Nach der zweiten Single Incubus Sucubus kam bei uns alles mehr ins Laufen, wir hatten mehr Songs. Da fragten wir uns, was wir jetzt machen. In unserer WG wohnte auch Alex Borsig, er war in den Neubauten. Er sagte irgendwann in einem Nebensatz, ihr klingt ja so englisch, da könnt ihr ja gleich nach England gehen. Was wollt ihr denn hier? Da gibt es ein Label, das heißt 4AD, da ist so eine Band, die heißt Bauhaus. Die sind echt ganz gut. Da dachten wir, ja, wieso eigentlich nicht? So haben wir einfach mal einen Brief an Ivo geschrieben, den hab ich sogar noch in Kopie. Wir hatten damals das Glück, das John Peel uns schon öfter spielte. Der hat dann irgendwie Wolfgang (Ellerbrock, für Rita Simonsen ab 1981 am Bass) und Manuela (Rickers, Gitarre) nach London zur Session eingeladen. Wir haben dann die Aufnahmen mitgenommen, die wir hatten, und sie Ivo vorgespielt. Er kam dann nach Hamburg, war bei uns im Übungsraum und hat gesagt: Spitze, dann kommt mal schön nach London und macht mal’n Album bei mir.

So einfach ist das. Dann macht ihr mal’n Album.
Ja, genau. Das Lustige ist, ich hab’ hier gerade Fotos, die zeige ich dir mal ganz kurz. Das ist das Studio, wie es jetzt aussieht. Ich hab’ davon noch Original-Fotos, weil wir so einen Erinnerungsabend machen. Das ist jetzt dicht das Ding, da war das Blackwing-Studio drin. Das war in der Nähe von Elephant & Castle, da probten diese ganzen Bands, die wir irgendwie kannten und gut fanden: Yazoo, Modern English, Fad Gadget. Da haben wir tagsüber das Album Fetisch für 4AD aufgenommen. Nachts war da so eine Teenie-Band, da mussten wir mal erstmal alles abbauen, die ganzen Sichtdinger, die Barrieren und so weiter. Das waren Depeche Mode…(lacht)… die fanden wir voll doof (lacht).

Bei Wikipedia werdet ihr unter Neuer Deutscher Welle geführt. Wie war eure Einstellung dazu? Als Fetisch entstand, war dieser Begriff in Deutschland ja das große Thema.
Deswegen sind wir ja auch in England gegangen. Wir wollten mit der Neuen Deutschen Welle überhaupt nichts zu tun haben. Wir wussten auch, wenn wir in Deutschland geblieben wären, hätten wir mit Phonogram oder so irgendeinen Deal gemacht. Die hätten uns gnadenlos verbraten als Mädchen mit den bunten Haaren, das war uns total klar. Das wollten wir gar nicht. Es war unsere Optik, klar, aber wir wollten damit gar nichts erreichen, nicht in die Bravo kommen oder so. Wir wollten einfach ernst genommen werden für das, was wir sagten und was wir waren. So kam es für uns super gelegen, dass wir nach England gehen konnten. Da waren wir raus aus diesem Sumpf von Neuer Deutscher Welle, in den sehr viele Leute reingeraten sind, ohne dass sie es wollten. Vielleicht haben sie so Geld verdient, aber es war natürlich schon so ein Label. Und Labeln ist etwas, was ich hasse. War schon immer so.

Ihr habt mit den Cocteau Twins live gespielt. Wie war die Beziehung zu ihnen und den anderen Bands des Labels, zu Modern English oder Dead Can Dance?
Man kannte sich und ist auch mal zu den Konzerten gegangen. Aber es war so, dass wir – außer Fiona, die Schottin ist – nicht so gut Englisch sprechen konnten. Die Cocteau Twins sind aus Schottland, da habe ich kein Wort verstanden (lacht). Es war schon schwierig. Und wir waren natürlich auch so ein bisschen Aliens. Das muss man auch sagen, es gab ja nicht so viele Deutsche, die in London herumliefen.

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Du hast schon von John Peel gesprochen, ein war ein weiterer Motor der Band. Was ist bei euch als Musiker*innen innerlich abgelaufen, wenn ihr auf Einladung von ihm bei der BBC im Studio wart?
Das war eine ganz harte Schule. Da hattest du diese Producer, drei Typen, richtige Macker. Einer von Mott The Hoople, das weiß ich noch. Die sagten, jetzt gucken wir mal, was die hier so abliefern. Du hast nur acht Stunden, davon geht noch die Pause ab, die die haben wollen. Dann hast du ruckzuck vier Stücke abzuliefern. Die sind so knallhart gewesen, das ging bis zu den Tränen. Heute würde man ganz anders damit umgehen, würde man sagen: Jungs, bleibt mal locker. Das mussten sie eigentlich wissen. Wir waren doch komplette Neulinge in so einem Riesenstudio, wo normalerweise Orchester sind. Da stehst du als arme kleine Wurst und versuchst, das irgendwie zu handlen. Manchmal haben die uns auch unterbrochen und sagten, wir müssten das jetzt mal so machen. John Peel hat keiner getroffen, er hat seine Bands nicht treffen wollen. Er hatte uns alle in seinen Sendungen gespielt und war glücklich, wenn man separat Sessions gemacht hat. Das reichte ihm. Und es half uns unter dem Strich natürlich total.

Warum ging es für euch nach dem zweiten Album Tocsin nicht mehr bei 4AD weiter?
Das war eine ganz natürliche Entwicklung. Irgendwann waren wir in der Lage, Songs zu schreiben. Vorher kam alles aus dem Bauch raus. Ich hatte früher keine Ahnung, was ein Chorus ist, was eine Bridge ist. Mit der Zeit hatten wir uns das alles angeeignet. Das war nicht unbedingt, was Ivo erwartete. Er wollte es eher so, dass wir auf einem arty Status bleiben. So ging die Schere zwischen uns irgendwie auseinander. Uns haben auch alle eingeredet, wir können ja nicht ewig indie bleiben. Wir müssen auch mal gucken, dass sich da was weiterentwickelt. Dann sind wir halt den Schritt gegangen und auf einen Major gekommen. Das war auch okay, aber das ist natürlich eine ganz andere Liga. Da spielt man mit ganz anderen Karten.

Am Ende funktionierte der Wechsel in die andere Welt nicht. Vor einem Jahr sagtest Du einem Kollegen vom Record Collector: „I decided i didn’t want to be in the music industry anymore“. Was war das für ein Anlass, weshalb du dich verabschiedet hast? Was hat dich abgestoßen?
Ich habe mit der Zeit verstanden, wie die agieren. Wie sie angefangen haben, mich zu benutzen. Sie wollten, dass ich irgendwann in eine Solo-Karriere gehe. Ich habe mich aber immer als Bandmitglied gesehen, nie als Frontperson. Ich hatte mir das auch nie zugetraut. Über die Jahre habe ich diverse Dinge erlebt. Mit Leuten, mit denen man gearbeitet hat. Produzenten und Leute, die sich eingemischt haben. Irgendwann dachte ich: Nee Leute, wenn ich das hier so weitermache, dann bin ich der Preis. Ich habe oft genug gesehen, was mit den Leuten passiert. Ich wollte das nicht. Dann habe ich mich da komplett als Künstlerin aus der ganzen Szene rausgezogen. Ich habe mit Musik immer zu tun gehabt, auch später in Köln, als ich diese Techno-Sachen gemacht habe. Aber es wusste keiner, dass ich Musikerin war. Ich konnte so nicht mehr funktionieren. Ich wollte mit der ganzen Scheiße nichts mehr zu tun haben. Es hat mich irgendwann fertig gemacht.

Foto-© Mick Mercer
Foto-© Mick Mercer

Kannst du ein Beispiel dafür geben, was dich genau fertig gemacht hat?
Übergriffiges Verhalten. Respektlosigkeit mir gegenüber. Leute haben mir gesagt, was ich machen soll. Ich habe mich in meinem Leben nie lenken lassen. Ich bin ein komplett freier Mensch, bin das immer noch. Ich lasse mich nicht an die Leine nehmen, das haben die natürlich versucht. Ob das jetzt die Optik war oder ob das der Stil war, in dem man was gemacht hat. Es gab später diese Billy Bragg-Coverversion, das wollte mein Verlag. Die sahen mich in so einer Solokarriere-Position. Sie hatten auch mit Björk gearbeitet und meinten, so kannst du das auch machen. Ich wusste aber ganz genau, wenn ich mich auf so was einlasse, war es das mit mir. Denn passiert mir genau das, was andere Leute auch erlebten. Du hältst das lange durch, aber irgendwann kannst du das mehr, auch von der Energie her. Dann machst du Dinge, die vielleicht auch nicht gut sind.

Ich möchte auch auf Manuela Rickers zu sprechen kommen. Für mich ist sie ein fundamentaler Bestandteil von Xmal Deutschland. Ich habe mir noch einmal die Version von Incubus Sucubus bei Peel angehört. Dieser beißend-stechende Charakter in ihrem Spiel liegt für mich nahe an dem von Geordie bei Killing Joke. Ich kenne sonst keine Frau, die so einem Typen an der Gitarre ähnelt. Manuela ist auch auf deinem Soloalbum Codes dabei. Warum wollest du, dass sie dabei ist?
Das war mit eine Bedingung. Als ich angefangen habe, an diesem Album zu arbeiten, habe ich gesagt, dass ich das nur mache, wenn Manuela dabei ist. Du sagst es: Die irre Art, wie sie spielt, ist ungewöhnlich. Ich brauche das als Inspiration und als Unterstützung.

Was kommt nach Codes von dir solo?
Ein Mash-Up aus einem Track von Codes und aus einem von Xmal Deutschland kommt jetzt Ende des Monats über Sacred Bones. Devils kommt raus, Viva kommt raus, die Peel-Sessions kommen raus. Wir hatten ja insgesamt vier Sessions gemacht und sie sind gerade alle im Abbey Road-Studio digitalisiert worden, die knallen richtig. Ich hab sie mir mal angehört, was ich eigentlich nie mache, aber das klingt echt super. Es erscheint jetzt alles irgendwie, die schießen alles hinterher. Was meinst du, was hier los ist. Schon irre.

Fun fact: Die im letzten Jahr veröffentlichte Mini-LP mit den frühen Singles von Xmal Deutschland brachte der Band den größten deutschen Chart-Erfolg der Karriere.
(lacht) Haha, ja, dann gibt es endlich mal Royalties….

Verprasse bloß nichts. Vielen Dank für das Gespräch.
Gut, ich passe auf (lacht). Vielen Dank für das Interview.

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