Das war sie nun also, die große Jubiläumsveranstaltung, 25 Jahre Nippon Connection und somit zum 25. Mal Nippon Connection. 20.000 Besucher, über 100 Kurz und Langfilme, mehr als 200 japanische und internationale Filmemacher*innen und Künstler*innen, wieder einmal das größte Festival des japanischen Films weltweit. Das Timing hätte dabei besser kaum sein können, ist Japan als Reiseziel und vor allem kulinarisch beliebter denn je. Das Wetter spielte ebenfalls mit und so war es, bis auf einen etwas verregneten Samstag, weder zu heiß um drinnen das Filmprogramm zu genießen noch zu nass oder kalt um draußen die vielen Open Air-Veranstaltungen und Essensstände zu frequentieren. Wobei, selbst wenn man nur für das Kinoprogramm vor Ort war, musste man immer mal wieder raus, denn neben den zwei üblichen Festivalveranstaltungsorten, dem Künstler*innenhaus Mousonturm und dem Produktionshaus NAXOS, wurden dieses Mal drei weitere Kinos bespielt (das Mal Seh’n Kino, Cinéma Arthouse Kino und das Kino des DFF) und für drei ganz besonders nostalgische Vorstellung die Pupille – Kino in der Uni, in dem das Festival vor 25 Jahren seinen Anfang gemacht hatte.
Daneben gab es alles, was es gibt und nicht gibt aus Japan zu essen und zu trinken, Onigiri, japanische Pizza, Taiyaki, Sushi, japanisches Eis, Kakigori (ja das ist technisch gesehen auch japanisches Eis), Matcha, Wagashi, Edamame, Korokke, Ramen, Yakitori, Takoyaki, Karaage, Dangos, Sake-Verkostung, Sake-Kurse, Sake einfach so zum Trinken, Kirin Bier, Ramune, japanischen Whiskey und und und. Bento-Kochkurse, Miso-Kochkurse, Fesselkurse, Vorträge über Film und Kultur, mehrere Konzerte und sogar einen echten Sumo-Ringer konnte man herausfordern. Gocchanko, mit bürgerlichem Namen Kodai Ota, ist aber nicht nur Sumo-Ringer, sondern auch noch Straßenkünstler und lies es sich nicht nehmen bei der Eröffnungsveranstaltung, nachdem das traditionell Sake Fass angeschlagen worden ist, einen krachenden Rap-Song auf die Nippon Connection zum Besten zu geben. Und dann, dann starteten endlich die Filme, fangen wir also am Anfang an. Nach Sake und Rap gab es die üblichen Eröffnungsreden, wobei dieses Jahr viel Zeit gespart wurde, da alle nicht spontanen Reden nicht live übersetzt wurden, sondern per QR Code auf dem Handy mitgelesen werden konnten. Auch da sich die Danksagungen immer ein wenig ziehen, sind die Reden dennoch ein toller Einstieg in das Festival. Nicht zuletzt, weil hier immer auf das aktuelle Festivalmotto (2025: Obesseions – From Passion to Madness) eingegangen und das Festival und der damit einhergehende interkulturelle Austausch politisch bewertet wird. Wo dieses Jahr, wenig überraschend, die Wichtigkeit von Offenheit, Demokratie und Toleranz im Mittelpunkt standen. Überraschend leicht war dann jedoch der erst Film 90 Years Old – So What? (2024).
Basierend auf einer wahren Begebenheit erzählt Regisseur Tetsu Maeda hier die Geschichte der 90-jährigen Schriftstellerin Aiko (Mitsuko Kusabue), der ihr Ruhestand nicht so wirklich bekommt. Auf ihrem Weg zurück ins aktive (Arbeits-)Leben springt die Geschichte zwischen Slapstick-Komödie und ersteren, melancholischen Tönen. Begleitet wird Aiko dabei von ihrem wesentlich jüngeren aber mit seinen 50 Jahren ebenfalls bereits aus der Zeit gefallenem Redakteur. Anhand ihrer Kolumne über die Sicht einer älteren Dame auf die heutige Gesellschaft kommt man um den einen oder anderen Lacher ebenso wenig wie um das Reflektieren herum. Ein sehr herzerwärmender Film, der vielleicht niemanden wachrüttelt, aber durchaus in eine positivere Richtung stupsen kann, ebenso wie es den Figuren im Film geht. Bonuspunkte gibt es für alle die kleinen Geschichten aus Aikos Vergangenheit, die im Rahmen ihrer Kolumnen erzählt werden, vor allem die um den wohl süßesten Akita Inu seit Hachiko (nachdem er auch noch benannt wurde).
Für Samurai Fans gab es gleich zwei unkonventionelle, aber sehr empfehlenswerte Filme. Zunächst der passend zu seiner Machart schlicht Bushido (2024) betitelte Film. Wunderschön inszeniert und ruhig erzählt. Fast ohne klassische Samurai-Kämpfe, aber mit tiefem Einblick in ihre Kultur und das Brettspiel Go. Bushido überrascht zwar durch den unkonventionellen Fokus auf Go, der Plot hingegen verläuft genauso wie man ihn von einem Genrefilm um einen Ronin, der früher oder später eben auf Rache gehen muss, erwarten würde. Einziger wirklicher Kritikpunkt dabei ist, dass ebenfalls für das Genre typisch die weiblichen Figuren sehr eindimensional auf ihre Funktion (Tochter / Love Interest / Bordell-Leiterin) innerhalb der Handlung reduziert werden. Für Einsteiger in das Genre wie auch versierte Fans und alle mit Faible rund um „das alte Japan“ uneingeschränkt zu empfehlen.
Ganz am anderen Ende und eher laut und bunt war dann hingegen A Samurai in Time aus 2023. Wenn in anderen Ländern Menschen aus der Vergangenheit in die Gegenwart geschleudert werden, ist dies eigentlich immer der Anlass für komödiantische „Fish out of Water“-Szenen, in denen wahlweise die Absurdität des Jetzt oder der Vergangenheit auf die harte Realität der anderen Ebene trifft. Bei den Japanern hingegen entspringt ein Film, in dem der titelgebende Samurai fast ab Szene Eins versucht, sich in die Konformität des Japans der Jetztzeit einzureihen, sich anzupassen. Viel Witz gibt es dabei dennoch und dazu noch den einen oder anderen Twist und natürlich auch etwas wehmütige Erkenntnis über das, was zwischen Damals und Heute passiert ist. Besonders viel Spaß werden an dem Film alle die haben, die sich mit dem Tropes und der Machart japansicher Samurai-Filme auskennen, noch mehr, wenn man zusätzlich in der japanischen Geschichte bewandert ist. Aber machen wir uns nichts vor, dass sind eh die gleichen Leute. Aber auch ohne irgendwelche Vorkenntnisse ist es einfach ein wahnsinnig charmant inszenierter Film, der es sicher noch zum Mainstream Release in Deutschland schafft. Was umso beachtlicher ist, wenn man bedenkt, dass der Film keine große Studioproduktion war, sondern ein kleines Indie-Projekt. Dies sieht man dem Film jedoch in keiner Szene an, im Gegenteil, gerade die Actionszenen sind wesentlich besser als man es von einer Komödie erwarten durfte. So gut, dass manch einer sich vielleicht eine geradlinige Samurai-Geschichte von Regisseur und Autor Jun’ichi Yasuda wünschen würde. Wer weiß, vielleicht kriegen wir ja bei entsprechendem Erfolg eine Fortsetzung, der Film hält sich diese Tür jedenfalls offen.
Aber abseits der Samurai kamen Genre-Fans auf ihre Kosten. Auch wenn der Film sogar dem Studio etwas peinlich war (Zitat gegenüber der Festivalprogramm-Planung: Wir haben keinen Film für euch, aber wir hätten den hier!), kam Hot Spring Shark Attack (2024) wahnsinnig gut an. Nachdem die Japaner uns auf der Nippon Connection 2012 mit Thermae Romae über japanische Onsen in das alte Römische Reich reisen ließen und uns 2022 in Yudo: The Way of the Bath die Kunst des Badens als solche näher gebracht haben, greifen in 2024 in Hotspring Shark Attack Haifische ahnungslose Besucher des Badeorts Atsumi (das Macau Japans laut Hotspring Shark Attack) an. Die Opfer der Haifische verschwinden jedoch nicht während sie Schwimmen im offenen Meer schwimmen, nein, nein, sie verschwinden aus Onsen, sprich heißen Quellen fernab des Strandes, aus Spas, aus Badewannen. Daher auch der Originaltitel Onsen Shark. Wer es nicht schon beim Konzept merkt, dem wird spätestens ab der ersten Szene klar, dass dieser Film nicht ernst genommen werden möchte. Ich würde so weit gehen, dass Haifische noch nie unechter ausgesehen haben als hier, dabei fährt der Film einiges an Effekten auf. Es gibt nämlich sowohl schlechte handgemachte Effekte als auch schlechte digitale Effekte, die aber alle immer sehr liebevoll wirken. Daneben gibt es noch eine hanebüchene Story über einen aus der Zeit gefallenen Kommissar, eine junge Meeresbiologin, einen geldgierigen Bürgermeister und einen Bodybuilder, der Haie verprügelt. Auch wenn später mit einem U-Boot in die Tiefsee getaucht wird, charakterlich kommt hier natürlich keine Tiefe auf und dennoch muss man dem Film zugutehalten, dass die Figuren durchaus überraschen und mit manchem (Jaws) Klischee gebrochen wird. Mit nur 77 Minuten ist der Film auch noch knackig kurz und hat keine Längen, einzig Blood & Gore-Fans werden enttäuscht, denn der große Spaß kommt recht blutarm daher.
Blutarm waren im nächsten Film, der im Rahmen des Nippon Heimkino mit Live-Kommentar von Marcus Stiglegger und Kai Naumann lief, nur die Opfer vom titelgebenden Goke. Halb Katastrophenfilm, halb Vampirfilm, durch und durch psychedelischer proto The Thing/Alieninvasion-Hysterie-Horror. All das und noch viel mehr ist der 1968er Film, der damals in Westdeutschland als Goke – Vampir aus dem Weltall erschienen ist. Ein bisschen Liebe zum Trash sollte man schon mitbringen, auch wenn Plot und Effekte an sich durchaus wegweisend sind. Optisch wird hier viel von späteren Alienfilmen vorweggenommen und der feuerrote Himmel, durch den der zum Absturz verdammte Lienenflug mit den wunderbaren Protagonisten zum Auftakt fliegt, wird nicht umsonst von Tarantino in Kill Bill zitiert, es ist eben das Land der aufgehenden Sonne. Auch wenn das Setting danach auf das eher unspektakuläre Flugzeugwrack und einen Steinbruch reduziert ist, der Plot und die Charaktere sind alles andere als das. Waffenhändler, Bombenleger, Politiker, alle beschuldigen sich gegenseitig „infiziert zu sein“, schmieden Allianzen und sinnieren dabei über Kapitalismus und das Nachkriegsjapan. Einige fantastische Effekte, etwas Gore und ein mehr als überraschendes Ende gibt es noch obendrauf. Nicht alles davon muss man ernst nehmen und ob man nun mit oder über den Film lacht oder sich doch vom spannenden Plot mitreißen lässt, eine gute Zeit wird jeder mit dem Film haben.
Etwas erster war dann auch unser Festivalhighlight River Returns (2024). Regisseur Masakazu Kaneko entwickelt hier konsequent sein Konzept des 2021 Films Ring Wandering mehrerer Zeit- und Erzähleben zu verweben weiter. Wobei die Filme inhaltlich keine Verbindung haben. Ein Gebirgsdorf im japanischen Hinterland der 1958er. Eine kleine Dreigenerationenfamilie, die in der generell harten Nachkriegszeit um ihre Existenz kämpft, aber auch noch im Speziellen die Mutter schwer krank ans Bett bzw. den Futon gefesselt ist. Die finanzielle Rettung sieht der Patriarch der Familie in der Rodung des reichhaltigen Waldes hoch in den Wipfeln des Gebirges. Doch aus der Vergangenheit und der Geisterwelt kommen warnende Worte und eine Sage um einen Holzfäller und ein Mädchen aus dem Dorf, die ihr Ende an einem See hoch oben in eben diesen Wipfeln gefunden haben. Über ein Kamishibai-Theater tauchen wir gemeinsam mit dem jungen Sohn der Familie in eben diese Geschichte ein, die vom Narrativ her gleichwertig neben dem Plot um die Familie in dem Film steht und von einem drohenden Taifun auf beiden Ebenen ihr gemeinsames Finale findet. Vielschichtig und elegant erzählt der Film zwei sehr klassische Geschichten um Naturverbundenheit, Achtsamkeit, junge Liebe, Familie und der Bitte weder das Träumen noch das Glauben aufzugeben.
Zum Abschluss der Nippon Connection 2025 haben wir uns dann noch einen sehr schönen, kleinen ruhigen Film angesehen. In My Sunshine erzählt der junge Regisseur und Drehbuchautor des Films eine Geschichte, die zu großen Teilen auf seinem eigenen Leben basiert. Die Geschichte des jungen Tagträumers Takuya (Keitatsu Koshiyama), der beim Baseballspiel lieber den ersten Schneeflocken zuschaut und beim Eishockey sehnsüchtig die Pirouetten der jungen Eiskunstläuferin Sakura (Kiara Takanashi) beobachtet. Wobei sein Interesse weniger Sakura, denn das Eiskunstlaufen zu sein scheint. Dies meint zumindest ihr Trainer Arakawa (Sôsuke Ikematsu) zu erkennen und nimmt sich des Jungen an. Was folgt ist eine dermaßen herzerwärmende Coming-of-Age-Geschichte, dass sie geradezu das Eis zum Schmelzen bringt. Dass eine Geschichte um einen jungen Eiskunstläufer in den 1990ern sich mit Klischees und Vorurteilen auseinandersetzen würde, überrascht kaum. Wie unverbittert und mit offenen Armen in Richtung Konservatismus anstatt dem erhobenen Zeigefinger der Film diesem gegenübertritt begeistert ebenso wie die Leistung der beiden zentralen Jungschauspieler. Wobei Sôsuke Ikematsu ihnen als einfühlsamer Trainer in nichts nachsteht. Während der ebenfalls auf der diesjährigen Nippon Connection laufende Hotspring Shark Attack (2024) das Publikum auf Haifischfestivals überzeugte, tat My Sunshine dies in Cannes. Während sich nun Haifisch-Horrorfans ersteren nicht entgehen lassen sollten, finden alle anderen hier den perfekten Film für einen ruhigen Abend, an dem man die eine oder andere Träne vergießen muss, weil am Ende bei allen Schwierigkeiten das große Ganze doch irgendwie sehr, sehr schön ist.
Ebenso wie eben die Nippon Connection. Es gäbe da noch viele weitere erwähnenswerte Highlights wie den psychedelischen Anschlag auf eure Sinne Transcending Dimension (2025), den im besten Sinne an Roman Polanskis Ekel (1969) erinnernden Teki Cometh (2025) oder den Rotoskopie-Anime Ghost Cat Anzu (2024), aber dies würde den Rahmen der Festivalnachlese endgültig sprengen. Von daher gilt wie jedes Jahr, der Termin steht (2. bis 7. Juni 2026) schaut auf jeden Fall nächstes Mal vorbei, wir werden wieder da sein und freuen uns auf euch, vor allem aber auf 2026, wenn es zum 26. Mal heißt „Nippon Connection, Japanisches Filmfestival, Frankfurt am Main“.
