DOTA – Springbrunnen


Foto-© Annika Weinthal

Zum Lesen von literarischen Werken
Oder um dir zuzuhör’n
Um meine eigene Erschöpfung zu bemerken
Oder einfach, damit man mal was zu Ende denkt

Dafür bin ich einfach zu abgelenkt
Zu einfach abgelenkt

Es reicht grade noch für Fotos und Kommentare
Für die Empörung über irgendwessen Haare
Nicht mehr für große Utopien
Nur noch für einfache Kategorien
Diе verarmten Massen vеreinzelt und abgehängt

Und einfach zu abgelenkt
Zu einfach abgelenkt
Einfach zu abgelenkt

Zu abgelenkt für die Presseschau
Zu abgelenkt für den Klassenkampf
Zu abgelenkt für ein Gedicht
Wo ich nicht scrollen kann, langweil‘ ich mich
Wir streben nach maximaler Zerstreuung
Wie die Natur zum Chaos drängt
Immer ein neues Licht, das die Motten fängt

(Dota – Einfach zu abgelenkt)

Von wegen „Liedermacher“ (ein etwas altmodischer, betulicher Begriff, der für Künstler wie Dota immer noch verwendet wird). Nein, man sollte sich von ihrer sanften Ausstrahlung und den sprachlich so gepflegten Texten nicht täuschen lassen. Dorothea Kehr, als Berliner Straßenmusikerin einst die Kleingeldprinzessin und als Singer-Songwriterin mit Band nun seit Jahren schlicht Dota, kann auch eine Kämpferin sein, eine Aktivistin. Aber eben eine mit Florett, nicht Säbel.

Den Spagat zwischen feinen, oft melancholisch gefärbten Alltagsbeobachtungen, klischeefreien Liebesliedern, ganz unpeinlichen politischen Ansagen und gesellschaftsrelevanten Appellen bekommt die 45-jährige ausgebildete Ärztin auch auf ihrem neuen Album wieder fabelhaft hin. Vier Jahre nach Wir rufen dich, Galaktika (mit dem Klimawandel als einem Überthema) ist Springbrunnen die erste neue Dota-Platte mit eigenen deutschen Texten.

Davor und danach hatte die Musikerin zwei opulente Alben mit brillanten Vertonungen von Texten der fast vergessenen Neue-Sachlichkeit-Dichterin Mascha Kaléko (1907-1975) herausgebracht – und sich so bleibende große Verdienste um die Wiederentdeckung einer Verfolgten der Nazi-Barbarei erworben. Hinzu kamen 2024 eine tolle Best-of-Dota-Live-Scheibe und eine zweite Samba/Bossa-Nova-Kollaboration mit dem Brasilianer Danilo Guilherme im Duo Dan & Dota.

Als „neues Kapitel, das sich perfekt in die Reihe ihrer bisherigen Alben einreiht, aber eben doch neu, als wäre eine bisher unbekannte Zutat im Songlabor aufgetaucht“, beschreibt Dotas Album-PR die 13 Springbrunnen-Stücke (in den Bonus-Editionen mit zwei beziehungsweise drei Tonträgern sind es noch etliche Lieder mehr). Und tatsächlich wird jeder, der diese Musikerin schon seit langem schätzt und bewundert, bei Pop-Chansons wie dem Opener Der Frühling, beim wunderschönen Ich und er, dem sanft groovenden Kettenkarussell oder dem nachdenklichen Closer Ein gutes Versteck sofort wieder andocken können, ebenso bei der südamerikanisch angehauchten Beziehungsanalyse Das wogende Meer.

Dazwischen gibt es als neue „Zutat im Songlabor“ mehrfach Anklänge an die zunächst noch gute Neue Deutsche Welle vor 45 Jahren, damals mit der Berliner Punkpop-Band Ideal im Zentrum, oder an den frischen Deutschpop der Nuller-Jahre von Wir Sind Helden. Etwa mit Ein gutes Buch oder Im Springbrunnen baden mit nackten Milliardären – dem Song, der diesem Album den (gekürzten) Titel verleiht.

Hier zeigt sich wieder mal, wie lässig und clever, weil ohne platte Polemik auskommend, Dota über Politik singen kann. Denn natürlich denkt man bei den „reichen Greisen, die im öffentlichen Raum entgleisen“ (Textzeile), an die Trumps, und bei den „nackten Milliardären“ an die Musks dieser Welt. Auch der Springer-Konzern und Nestlé bekommen ihren verdienten Teil ab – aber eben mit feinem Humor, ohne erhobenen Zeigefinger, und deswegen umso eindringlicher.

Auch Einfach zu abgelenkt ist so ein Song: Wir driften durch soziale Medien weg von den wirklichen Problemen der wirklichen Welt, und das kann auf Dauer nicht gut gehen. Wenn dir das reicht, wieder im NDW-Uptempo-Modus, handelt von Greenwashing und dem Selbstbetrug der vermeintlich „Linken“ („Was ist aus der Rebellion geworden?“). Man mag manchen Satz im ersten Moment für recht leichtgewichtig, gar naiv halten, weil er so freundlich daherkommt – aber da die lebenskluge Dota sich und ihre eigene Welt immer ein Stückweit auch selbst in die Kritik mit einbezieht, wird es nie selbstgefällig oder wohlfeil.

Ihr Motto definiert der Musikerkollege Francesco Wilking (Die Höchste Eisenbahn) so: „Jedes Wort bedeutet mindestens auch sein Gegenteil, überall Frage-, kaum Ausrufezeichen.“ Die schon vorher vielfach ausgezeichnete Songschreiberin Kehr hat viel aus ihrer Beschäftigung mit der Lyrik Mascha Kalékos gelernt, das steht fest. Musikalisch ist Springbrunnen – wie oben angedeutet – sehr vielfältig geraten, dies ist eine ihre genreübergreifendsten Platten. Mit Gitarrist Jan Rohrbach, Schlagzeuger Janis Görlich, Keyboarder Patrick Reising und Bassist Alexander Binder hat Dota aber auch eine Klasse-Band zusammen.

Um zum Abschluss nochmal die Springbrunnen-Linernotes von Francesco Wilking zu zitieren: „Es brauchte schon immer nur wache Augen, eine Stimme, die die eigene ist, und ein Herz, in das mehr als die eigene Altersvorsorge reinpasst. Dota weiß, wer sie ist, und sieht die Dinge, die sie mit der Welt, in der sie lebt, verbinden und von ihr trennen. Dinge, die ihr Hoffnung geben und die sie abstoßen – denen sie in ihren Songs mit Ehrlichkeit oder beißender Ironie begegnet.“ Passt genau. Ein wunderbares Album der einstigen Kleingeldprinzessin – wieder mal.

Dota – Springbrunnen
VÖ: 27. Juni 2025, Kleingeldprinzessin
www.kleingeldprinzessin.de
www.facebook.com/dota.kehr

YouTube Video

Werner Herpell

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