HAIM – I quit


Foto-© Universal Music

It’s been a long day drivin‘
It’s been a hard couple years
And I left, I left myself blinded
From all of the tears
Now the halt comes grindin‘
And it’s mashed up all the gears
And I see, I see myself sidin‘
With my cynical fears

(Haim – The farm)

Wären HAIM Arbeitskolleginnen oder Mitschülerinnen – man würde sie ein wenig dafür hassen, wie leicht es ihnen zu fallen scheint. Der Erfolg, die Musik, auch noch eine Schauspielkarriere?! Und das alles effortlessly cool, als kämen sie nicht gerade aus ebenjener Musikerfamilie in Los Angeles, in der sie aufwuchsen.

Die Herkunft, das Aufwachsen und Erwachsenwerden in LA und der Musikwelt, das liegt in der Vergangenheit, genauer gesagt im berauschenden letzten Album Women in Music Pt. III. Grammy inklusive. In der Gegenwart, da ist alles ein wenig unordentlicher, weniger Konzeptalbum und mehr Mitte des Lebens. I quit, das vierte Studioalbum der Haim-Schwestern Danielle, Este und Alana, ist das Break-up-Album der Frontfrau. Danielle Haim hat gerade die Trennung vom langjährigen Co-Produzenten der Band, Ariel Rechtshaid, hinter sich. Was machen Haim daraus? Ein wildes, an einigen Stellen überragendes und doch ein wenig schiefes Album.

Für die knappe Stunde Trennungsschmerz und co. fugniert der dahingeschrammelte Opener Gone als inhaltliches und stilistisches Intro: „I’ll do whatever I want, I’ll see who I wanna see.” Das gesampelte “Freedom” von George Michael wirkt in einem Haim-Song erst einmal wie ein brutaler Fremdkörper, aber eben auch wie eine klare Ansage: Hier entwickelt sich etwas, etwas anderes, neues. Und dann kommt – als nächste Überraschung – ein bluesiges Gitarrensolo. Und als irgendwann ein Haim-typischer Schlagzeugrhythmus dazukommt, scheint sich doch noch alles zu fügen.

Allerdings werden auf I quit so manche Eindrücke direkt widerlegt. Nachdem der erste Song nämlich einen neuen Sound ankündigt, ist der zweite, All over me, ziemlich generischer Haim-Rock. Das heißt immer noch: Ein ziemlich guter Song. Aber mehr nicht. Ganz anders sieht es bei Relationships aus, Lead Single und Spitzenreiter in einer ersten Hälfte voller Hits. Triefend vor Groove, durchgezogen von einer catchy Baseline, wieder mit überraschenden kleinen Samples, bringt die ironische Reflexion Beziehungen den bittersüßen Stil des Albums auf die Spitze: Sommerleichte Melodien und stark zweifelnde bis verzweifelte Texte.

Passenderweise bekommt der Track direkt sein Gegenstück mit Down to be wrong, dem ersten richtigen (aber bei weitem nicht letzten) Trennungssong der Platte. Hier gibt es kein Augenzwinkern, sondern nur ehrliche Gefühle. Das rohe, emotionale führt zu ein paar Zeilen wie „But you’re the greatest pretender, So just keep pretending“, aber es ist dennoch ein gelungener Song.

Und er führt uns zu einem weiteren Glanzmoment des Albums, Take Me Back. Die einfache, aber Schicht um Schicht aufgebaute Melodie des Refrains wird immer wieder unterbrochen durch die tagebucheintraghaft vorgetragenen – man möchte fast sagen gerappten – Strophen. Vom Glockenspiel bis zum Saxophon, von der vielseitigen Performance Danielles bis zu Alana im Hintergrund haben hier alle ihre time to shine. Wer könnte da nein sagen zum wunderbar kitschig geschrienen Take me back?

Im Mittelteil des Albums bekommen die Themen der ersten Songs in verschiedenen Ausführungen noch mehr „Futter“, wie in den folkigen Balladen Love you right und The farm. Der Sound bei zweiterem ist – wie zu erwarten bei so einem Titel – warm und amerikanisch, dabei handelt es sich um einen ungeschönten Song über den Moment, in dem man nicht mehr weiter an der Beziehung arbeiten, sondern aufgeben will.

An diesem Punkt erinnert man sich beim Hören vielleicht an die Experimente zu Beginn der Platte und fragt sich, ob auf diese Ankündigung gar nichts mehr folgt. Die Antwort: Doch! Zunächst haut der wunderbar anachronistische Rock-Song Lucky stars rein, auf dem sich Produzent Rostam Batmanglij (Vampire Weekend u.a.) austobt – was erfolgreich von den etwas flachen Lyrics ablenkt.

Dann überspannt Million years bei 148 bpm und rein elektronischem Sound etwas, aber etwas Tempo ist eigentlich nicht verkehrt. Auch Try to feel my pain schafft es, den ganzen Herzschmerz tanzbar zu machen. Das Keyboard-Thema ist in diesem Arrangement nicht nur ein Ohrwurm, sondern macht den Song, der eigentlich wie ein Gespräch mit dem Ex ist, zu einem der lockersten, geschmeidigsten der ganzen Platte.

Zwischen diesen beiden Songs hat sich Everybody’s trying to figure me out versteckt, doch als Single ist dieser starken, selbstversichernden Nummer zum Glück schon viel Aufmerksamkeit zuteilgeworden. Und in der Tat steht der Song für sich, musikalisch und in der lyrischen Klarheit. Danielle Haim singt über Panik, die einen in einsamen Momenten überwältigen kann, und darüber, wie man diese Momente besiegt. Das Outro mit dem mantrahaft wiederholten „You think you’re gonna die, but you’re not gonna die“ wäre auch ein guter Schluss für das Album gewesen. Kein Wunder, dass dies nach eigener Aussage einer der Lieblingssongs von Danielle selbst ist.

Auch die beiden anderen Schwestern bekommen ausdrucksstarke Solo-Momente mit Spinning (Alana) und Cry (Este), die zwar daran erinnern, dass beide ebenfalls singen können, aber ansonsten eher wenig zu bieten haben. Insgesamt verliert sich hier etwas der Spannungsbogen, und er kehrt auch nicht zurück. Der Closer Now it’s time lässt einen etwas ratlos zurück. Die 2000s-Girl-Rock-Ästhetik, die mit leichter Zurückhaltung aufkommt, hätte sicher gut zu den Themen des Albums gepasst, aber nicht auf Track 15 und gemischt mit Vampire-Weekend-Klavier-Fingerspiel, dröhnenden Synthesizern und eher unmotiviertem Gesang. Nun ja.

Wie bei einer guten Trennung geht es bei I quit eben hin und her, es ist vieles dabei, was man vielleicht nicht noch einmal machen würde, aber daneben stehen eben brutal ehrliche und befreiende Momente. Dadurch strahlt dieses Album weniger als Women in Music, ist weniger verspielt – dafür wirken die Gefühle noch größer. Es ist ein Breakup-Album, ein Orientierungs-Album, irgendwie ein Gegenwartsalbum.

Haim – I quit
VÖ: 20. Juni 2025, Universal Music
www.haimofficial.com
www.facebook.com/haimtheband

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Phillip Kaeding

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