MAKAYA MCCRAVEN – Off The Record


Foto-© Shannon Marks

Der US-amerikanische Musiker Makaya McCraven ist inzwischen längst auch außerhalb des Jazz-Genres kein Geheimtipp mehr — er ist einer der wenigen zeitgenössischen Jazz-Künstler, die Pop-Kultur, Clubästhetik und improvisatorische Jazztradition wirklich organisch zusammenführen. Sein Weg von den frühen DIY-Aufnahmen bis zu gefeierten Longplayern wie In These Times (2022) und den diversen Remix-/Reimaginings-Projekten hat ihn zu einem Schlagzeuger-Produzenten gemacht, dessen Markenzeichen das Collagieren von Live-Aufnahmen mit studiohybriden Beats ist. Das ergibt Musik, die sich zugleich nach Konzertsaal, nach Mixtape und nach Nachtclub anfühlt — eine fließende Grenze zwischen dokumentierter Performance und Studiobotanik. Diese methodische Verwurzelung in Live-Material und das anschließende Schneiden/Montieren sind für McCraven kein Trick, sondern ein konzeptuelles Statement: Jazz als offenes, prozessuales Medium.

So auch das neuste Werk Off The Record, das jedoch keine völlig neue Studioplatte im klassischen Sinne, sondern eine Zusammenstellung von vier miteinander verwobenen EPs (Techno Logic, The People’s Mixtape, Hidden Out! und PopUp Shop) ist, die McCraven im dieser Tage als 2xLP/2xCD-Package veröffentlicht hat. Die Einzelstücke stammen größtenteils aus Live-Sets aus verschiedenen Jahren und Städten, anschließend wurden sie von McCraven produziert, geschnitten und poliert, so dass sie gleichzeitig roh und geschliffen klingen. Das ist wichtig, weil das resultierende Album nicht einfach live dokumentiert, sondern die Energie von Off-the-cuff-Momenten in eine studioaffine Erzählung überführt.

Organisch-digital, retro-hiphop trifft psychedelischen Post-Jazz – musikalisch knüpft Off The Record an McCravens Signatur an: grooveorientierte, mit Hip-Hop-Beats verwobene Trommelbilder, große, oft kinematische Bläser- und Gitarrenflächen (wenn Jeff Parker und Co. mitspielen, hört man das beispielsweise sofort), und ein Produktionsanspruch, der Samples und Live-Material gleichberechtigt behandelt. Gegenüber einem reinen Jazz-Album steht hier die Idee des „Mixtape als Performance-Archiv“ im Vordergrund — Sounds sind geschichtet, manche Passagen repetitiv im besten Sinne, andere explodieren in freien Improvisationen. Das Ergebnis ist ein Album, das man sowohl auf dem Sofa als auch im Club hören kann: aufmerksam und körperlich zugleich.


Boom Bapped (eine der frühen Vorab-Hörproben, von jeder EP erschienen jeweils zwei „Singles“ vorab) ist eigentlich eine Liebeserklärung an das klassische Boom-Bap-Feeling, aber durch McCravens Linse: live eingespielführende Drums und Keys, danach geschnitten, gestretcht und mit knappen, punktgenauen Beats unterlegt. Was hier spannend ist: McCraven lässt das Live-Moment immer wieder ungeschönt durchscheinen — Zuschauerrauschen, Atmung, kleine Verhänger werden nicht wegretuschiert, sondern zu dramaturgischen Elementen. Das Resultat ist ein Track, der sich zwischen Nostalgie und futuristischer Hybridsoundästhetik bewegt. Die Produktion macht aus einem Konzertausschnitt fast ein instrumentales Rap-Track-Zitat, ohne den Jazz-Kern zu verlieren.


Prime von The People’s Mixtape ist ein gutes Beispiel für McCravens Arbeitsweise mit kompletten Live-Takes als Ausgangsmaterial: die Basis ist ein Brooklyn-Set aus Januar 2025, darauf baut er mit zusätzlichen Gästen (u. a. Ben LaMar Gay, Theon Cross) eine dichte Textur. Der Song atmet durch flächige Bläser, einen pushenden Bass und ein Schlagzeug, das zugleich mechanisch und atmend wirkt. Besonders gelungen ist die Balance zwischen dichter Ensemble-Improvisation und punktgenauer Post-Production: McCraven nimmt einen lebendigen Moment, stutzt ihn, legt Loops, setzt Breaks — und schafft so einen Track, der im Hören mehrfach umkippt, ohne seine Kohärenz zu verlieren.

McCraven selbst spricht bezüglich der Entstehung von Off The Record vom Phänomen gemeinsamer „underground“ Momente — er will die Magie von Live-Nächten konservieren, aber nicht einfrieren: „…there’s something special where we come together and share space… I want to create an energy that amplifies the magic in the underground moments where we come together and we experience something wild, different, off the cuff, human.“

Als Compilation-Projekt wirkt Off The Record an manchen Stellen etwas episodisch — die vier EP-Kontexte sind zwar inhaltlich verbunden, aber stellenweise fehlt der eine, durchgängige rote Pfaden, den ein klassisches Longplayer-Konzept liefern würde. Manche Stücke kommen sehr kurz, andere dehnen sich; das ist Absicht, kann aber beim Hören im Stückfluss gelegentlich den Eindruck von Sprüngen hinterlassen. Wer reine Song-Konsistenz sucht, wird vielleicht rumpeln — wer jedoch die Abrisskante zwischen Live-Rausch und Studiokunst liebt und das Album als überarbeitetes Zeitdokument erkennt, wird jubeln.

Off The Record ist kein Rückschritt, sondern eine Bestandsaufname der Arbeitsweise, die Makaya McCraven in den letzten Jahren definiert hat: Live-Energie, kollaborative Improvisation und ein kreatives Produktionsethos, das Club, Jazz und Mixtape verbindet. Für Fans seiner früheren Alben ist es eine willkommene Erweiterung; für Neugierige ein ziemlich guter Einstieg in die Idee eines Jazz, der immer schon mixtapes, streams und Konzertmomente im Hinterkopf hat. Wenn das Ziel war, die Flüchtigkeit guter Live-Nächte einzufangen und in versiegelte, wiederholbare Kunst zu verwandeln, dann ist McCraven mit Off The Record wieder einmal ziemlich nah dran.

Makaya McCraven – Off The Record
VÖ: 17. Oktober 2025, XL Recordings
www.makayamccraven.com
www.instagram.com/makayamccraven

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