Foto-© Leopold Skupin
Heute ist Ding im Brustkorb, die zweite EP der Berliner Newcomerin Ronja erschienen. Ein Jahr nach ihrer Debüt-EP ist sie zurück mit einem neuen, rockigeren Sound. Während die erste EP – auf der sich auch Ronjas viraler Song Blumengarten findet – noch ein Ausprobieren war, hat sie nun eine klare Vision davon, wo sie hingehört. Auf den sieben Songs erlaubt sie den Zuhörer*innen einen ganz persönlichen Einblick in ihre Innenwelt.
Wir hatten vor ein paar Wochen die Gelegenheit, sie über Zoom zum Interview zu treffen. Dabei ging es um ihren neuen Sound, ihren Songwriting-Prozess aber auch um ihre persönliche Erfahrung als Trennungskind, die sie im Song Eine Familie verarbeitet hat.
Vielen Dank, dass du dir die Zeit nimmst mit mir zu sprechen! Es geht immer mehr auf den Release von deiner zweiten EP Ding im Brustkorb zu. Wie geht es dir damit, jetzt wo der Release immer näher kommt?
Tatsächlich wird es bei mir immer entspannter, umso näher der Release kommt. In den letzten Wochen bzw. Monaten war ich immer sehr beschäftigt, wir hatten alle Songs und alle Visuals schon fertig, bevor der erste Song rausgekommen ist. Jetzt ging es vor den Releases vor allem um Promo, was für mich immer relativ stressig ist, weil man wirklich sehr viel Screentime hat, viele Videos aufnimmt, viel schneidet und dann auch gleich Reaktionen sieht, die einen dazu motivieren, direkt noch ein Video zu machen.
Ansonsten kommen jetzt die ersten Liveshows auf mich zu, darauf freue ich mich natürlich total! Eigentlich gibt es jetzt nur noch so allerletzte kreative Entscheidungen, die getroffen werden müssen, und dann kann ich die Songs irgendwie loslassen.
Letzten Sommer kam deine Debüt-EP heraus. Würdest du sagen, es hat sich jetzt bei der zweiten EP etwas an deiner Herangehensweise geändert?
Ja, total. Ich hatte bei der ersten EP noch das Gefühl, dass ich nicht so ganz weiß, wo ich genre-mäßig hingehöre, aber auch, was ich mit meiner Musik sagen will. Die meisten Songs auf der EP waren mitunter die ersten Songs, die ich überhaupt jemals geschrieben habe. Der Rahmen von, man probiert sich aus und man wird sich darüber bewusst, wer man mit seinem Projekt überhaupt sein möchte, war da natürlich sehr klein. Das war jetzt anders. Ich habe mir viel mehr Zeit gelassen, um einfach zu experimentieren, mein eigener Musikgeschmack hat sich natürlich auch verändert, ich bin älter geworden und damit gibt es auch neue Themen und Gefühle, über die ich schreiben will.
Auch die Herangehensweise an die Sessions ist eine neue. Ich hatte Sessions, die waren viel weniger Sessions, weil sie offener waren und es weniger Druck gab, am Ende des Tages einen fertigen Song zu haben. Dadurch war es für mich entspannter, es gab einen Safe Space und ich konnte über Themen reden, über die ich mich vielleicht vorher noch nicht zu sprechen getraut hätte.
Auch was die kreativen Visionen angeht, bin ich jetzt viel klarer. Für mich ist es natürlich stilistisch eine andere Ära, aber auch für meine Herangehensweise: Wie will ich die Songs machen? Wie finden die Sessions statt? Wie sollen die Musikvideos geplant werden? In welchem Zeitraum und mit wie viel Vorlauf soll das stattfinden?
Jetzt waren alle Songs fertig, bevor überhaupt einer rausgekommen ist. Bei meiner ersten EP war das Song nach Song. Als der Erste für die EP rausgekommen ist, wusste ich noch nicht einmal, dass ich eine EP machen werde. Da war der gesamte Entstehungsprozess zerfetzter. Jetzt war es viel konkreter und viel zusammenhängender, was aber auch meinem eigenen kreativen Anspruch viel mehr gerecht geworden ist.
Wie bist du am Ende darauf gekommen, genau diese Songs für die EP auszuwählen?
Es gab so zehn Songs, die zur Auswahl standen, das heißt also nicht wahnsinnig viele. Ich glaube, die erste Idee von: Ich möchte, dass die EP Ding im Brustkorb heißt und dass sich das inhaltlich durch die Songs zieht, hatte ich kurz vor Jahresende. Da habe ich das erste Mal gedacht, okay, ich mache jetzt eine EP und diese Songs könnte ich mir darauf vorstellen.
Dabei gab es zwei Soundwelten, die Hälfte der Songs waren sehr akustisch, sehr hell und atmosphärisch. Dann gab es die andere Hälfte der Songs, die waren sehr düster, sehr edgy und leicht urban. Am Anfang war ich mir nicht ganz sicher, ob ich diese zwei Welten kombiniert haben will oder nur eine Welt und welche von beiden es sein soll.
Ich finde, jetzt im Nachhinein ist es doch sehr edgy und sehr beat-lastig geworden, aber sehr viele unterschiedliche, spannende Beats. Das finde ich irgendwie schön als Metapher für Ding im Brustkorb, als Herzschlag.
In deinem Song Eine Familie gehst du ja sehr offen mit deiner persönlichen Geschichte um, mit deiner Erfahrung, als Trennungskind aufzuwachsen. Hattest du besonders Respekt davor, so einen persönlichen Einblick in dein Leben zu teilen?
Tatsächlich gar nicht. Als ich diesen Song geschrieben habe, hatten wir in der Session schon so fünf, sechs Ideen festgehalten und Max, mein Produzent, hatte einfach ein bisschen an Synthesizern rumgeschraubt und hat einen Drum Loop zusammengestellt.
Ein paar Tage davor hatte ich ein Telefonat mit meiner Mama und da ist mir das erste Mal aufgefallen, dass ich mich zwar noch sehr gut an die Zeit erinnern kann, als meine Eltern noch zusammen waren, aber nur an die negativen Momente, also an große Konflikte. Nicht etwa an positive Ereignisse, beispielsweise wie wir zusammen am Wochenende im Garten waren oder so was. Ich kann mich an sehr viel von meiner Kindheit erinnern, nur an diese spezifischen Dinge nicht. Es hat sich ein bisschen angefühlt, als hätte da jemand Erinnerungen aus meinem Gehirn rausgelöscht, was ich sehr schade finde. Ich glaube, dass es einem manchmal Stärke und Hoffnung gibt, wenn man weiß, dass man doch von zwei Menschen kommt, die sich mal geliebt haben und man mal eine heile Familie war. Ich wusste, ich will irgendwann mal einen Song darüber schreiben, dass ich ein Trennungskind bin — Aber wie macht man das und was hat man tatsächlich zu sagen, was besonders ist, was emotional ist und was noch mal eine bestimmte Facette aufzeigt?
Ich habe dann zu diesem Drum Loop und den Synthesizern, die im Hintergrund liefen, einfach angefangen zu improvisieren und in mein Handy reingesungen. Und da ist dann dieser Song entstanden. Ich habe gar nicht überlegt, ist mir das jetzt zu intim oder ist mir das zu verletzlich. Das ist generell eine Sache, die ich mich nie frage, mir geht es eher darum: ist es verletzlich genug?
Mir war relativ schnell klar, dass dieser Song rauskommen wird. Einfach, weil ich ihn vielen Menschen gezeigt habe und die meinten: „Ronja, der Song ist so gut, er ist so ehrlich. Es gibt wenige Leute, die darüber sprechen. Der muss auf jeden Fall raus“. Es ist natürlich sehr intim das so zu teilen und auch zuzugeben „Hey, ich bin Trennungskind und meine Eltern haben nicht dafür gesorgt, dass es immer so schön für mich war“. Aber letztendlich ist es meine Geschichte, die Gehör verdient hat. Andere Menschen sollen sich dadurch gesehen fühlen.
Jetzt im Nachhinein bereue ich es auch gar nicht, dass der Song draußen ist. Gerade wenn mir viele Menschen schreiben: „Ronja, ich bin selbst Trennungskind. Meine Familie ist alles andere als heil und es gibt zu wenig Songs darüber, aber bei diesem Song fühle ich mich irgendwie gesehen“, oder jemand der schreibt „Ich fühle mich berührt und irgendwie macht das etwas mit mir“ oder „Ich konnte dazu weinen“. Wenn mir Leute so etwas im Vertrauen erzählen, dann weiß ich, ich habe alles erreicht, was dieser Song hätte erreichen sollen.

Hast du das besonders bei diesem Song erlebt, dass dir viele Leute geschrieben haben?
Zum Inhalt, ja. Zu Sorgenkind habe ich auch viele Rückmeldungen bekommen, das war für mich ein Song, der ein bisschen aufschreit und sagt: „Ronja klingt jetzt anders. Ronja ist jetzt edgy, Ronja ist jetzt rockig“, da gab es auch schon viel Feedback. Viele, die meinten, sie finden cool, dass mein Projekt in diese Richtung geht. Aber so inhaltlich war das Feedback bei Eine Familie natürlich viel größer und auch viel ehrlicher. Anstatt zu sagen: „Oh ja, einen Song über Herzschmerz fühle ich irgendwie“ war es so: „Danke, dass du darüber sprichst, weil das kaum jemand macht“.
Als du deine Single Sorgenkind veröffentlicht hast, hast du auch ein bisschen was zu dem Prozess, wie sie entstanden ist, auf Instagram geteilt. Du hast geschrieben, dass sich der Song an dem Abend der Writing Session ein bisschen rebellischer und edgier angefühlt hat, als das, was du sonst gemacht hast. Wie hast du den Song zu „deinem“, zu einem richtigen „Ronja-Song“ gemacht?
Das war so, dass ich am Abend aus der Session rausgegangen bin und ich fand den Song cool, denn es hat mir wahnsinnig viel Spaß gemacht, den zu schreiben. Und trotzdem hat er sich erstmal gar nicht nach mir angefühlt, weil er eben so anders klingt. Die Vocals, die Akkorde und der Chorus haben sich erst mal gar nicht nach Songs angefühlt, wie ich sie schreiben würde. Und trotzdem habe ich da irgendwas Besonderes gespürt. Ich habe ihn meiner Managerin geschickt, meinem Freund gezeigt und dann auch meinem Team vorgespielt. Die waren erstmal alle so: „Okay, interessant, aber gar nicht so ‚Ronja‘. Der Song klingt gar nicht nach dir“. Und dann waren sie aber so: „Können wir ihn nochmal hören?“ – als ob sie Blut geleckt hätten.
Parallel hatte ich mir über die Visuals und den generellen Vibe der zweiten EP Gedanken gemacht und ich wollte, dass alles ein bisschen kühler, ein bisschen dunkler, ein bisschen mehr edgy aussieht. Und Sorgenkind war dann eher als Orientierung für die anderen Songs da und hat bestimmt, dass meine EP soundlich in die Richtung gehen soll. Er ist natürlich immer noch der rockigste von den Songs auf der EP, aber er war auch die finale Bestätigung für mich, in die Nische zu gehen, die ich für mein Projekt ohnehin spannend fand.
Gab es Artists, die dich und deinen Sound besonders geprägt haben?
In meinen allerersten Sessions überhaupt klang jeder Song, den wir geschrieben haben, komplett anders. Einer war aber ein bisschen mehr HipHop, ein anderer ein bisschen mehr balladig, dann gab’s wieder einen der ein bisschen mehr edgy war. Ich fand alles ganz cool, aber ich wusste nicht so ganz, was ich am liebsten mag. Ende 2022 hatte ich dann eine Session mit Bruckner, die mich eingeladen hatten nach München zu fahren, und da haben wir übers Wochenende zusammen geschrieben. Wir haben in den Tagen, an denen ich da war, viel Holly Humberstone gehört und irgendwann war ich dann so: „Ich würde mal gerne von der Produktion her einen Holly Humberstone Song machen“.
Ich hatte Tempelhof schon mitgebracht, ich hatte den zu Hause vor ein paar Monaten geschrieben und zusammen haben wir uns dann nochmal rangesetzt, manches umgeschrieben und den Song das erste Mal aufgenommen. Das war auch der erste Moment, in dem ich dachte, hier sehe ich mich irgendwie, das könnte mein Sound sein. Holly ist bis heute auf jeden Fall meine Nummer Eins Referenz in Sessions, was die Produktion angeht. Auch was die visuelle Ästhetik angeht, finde ich ihr Projekt sehr inspirierend.
Ansonsten bediene ich mich für Inspiration auch gerne an anderen Songs und Artists, das ändert sich aber immer von Ära zu Ära. EP 2 war ein bisschen grungiger mit ein bisschen experimentelleren Drums. Mk.gee war dabei in den Referenzen, kleinere Indie Artists wie Ayleen Valentine oder Erin LeCount, auch Lorde war teilweise sehr inspirierend. Mal schauen, was es jetzt für das nächste Projekt wird. Ich denke tatsächlich gerne in Äras, probiere von Song zu Song mutiger zu werden und etwas zu schaffen, was es so vielleicht noch nicht gibt.
Du hast mal darüber gesprochen, dass es bei Newcomer Artists oft ein bisschen so ist, als würden sie ein Hannah Montana-Leben führen, weil sie das mit der Musik erstmal nebenbei machen. Wie ist das bei dir, du studierst ja gerade auch, wie bekommst du das hin, beides miteinander zu vereinen? Und wie erlebst du den Kontrast, den einen Tag auf einer Bühne vor ganz vielen Menschen zu stehen und den nächsten Tag im Seminar oder in der Vorlesung zu sitzen?
Bei mir ist der Kontrast ja gerade noch nicht so extrem, als wenn ich jetzt voll viel unterwegs wäre und auf riesigen Bühnen stehe. Ich denke, bei mir ist es gerade noch voll am Anfang, aber natürlich hoffe ich, dass der Alltag als Musikerin irgendwann umfangreicher wird.
Ich bin sehr dankbar dafür, dass ich das alles so dual erleben darf. Ich gehe in die Uni, da habe ich Unifreunde, einen Uni-Alltag. Ich stehe zu einer gewissen Uhrzeit auf und habe Veranstaltungen, die jede Woche zur selben Zeit stattfinden. Ich gehe mit meinen Uni-Freunden in die Mensa und wir diskutieren in den Seminaren über irgendwelche wissenschaftlichen Theorien zu Erziehung. Das ist etwas, was mich auf jeden Fall wahnsinnig interessiert. Ich habe Schule auch immer richtig gemocht, ich war sehr gut in den meisten Fächern und mir hat der intellektuelle Austausch sehr gefallen. Irgendwie fordert es mich genug heraus und Uni ist eine Welt, in der es nicht um die Musikindustrie und Zahlen, Aufrufe und Aufmerksamkeit oder so geht.
Ich studiere Erziehungswissenschaften und Gender Studies und in den meisten Seminaren sitzt man dann mit anderen zusammen und beschäftigt sich mit tatsächlich akuten und relevanten Krisen, die gerade in der Welt stattfinden. Ich möchte den Beruf von Musikern nicht unterschätzen, denn was die teilweise für eine Relevanz für unsere Gesellschaft haben, ist den meisten nicht bewusst, aber das Themenfeld von meinem Studiengang ist nochmal ganz anders und hat einen anderen, zeitlosen bzw. immer höher werdenden Stellenwert.
Ansonsten lässt sich beides für mich gerade gut vereinen. Jetzt habe ich noch Semesterferien und meistens kann ich die größten Arbeitsphasen in Zeiten legen, in denen ich gerade nicht so viel in der Uni sein muss. Prüfungsphasen clashen dann leider immer mit Kampagnen, aber ich habe es bis jetzt irgendwie immer ganz gut hinbekommen.
Ich habe nicht das Gefühl, ich persönlich habe jetzt einen Hannah-Montana-Lifestyle. Was ich schade finde ist nur, dass so selten transparent darüber gesprochen wird, was man eigentlich noch macht. Gerade, weil ich viele Newcomer kenne, so in meiner Größe oder noch größer. Man sieht als Außenstehende auf deren Social Media, dass sie die ganze Zeit auf Tour oder im Studio sind, dabei haben sie nebenbei entweder einen Fulltime-Job oder sie studieren in Vollzeit. Das sieht für Fans und auch für Leute, die selbst gerne Musik machen würden, so aus, als würden sie den ganzen Tag nur Musik machen und als könnte man von Anfang an einfach so davon leben, was nicht stimmt. Deswegen finde ich es einfach ein bisschen schade, dass es so intransparent ist und der Alltag so romantisch aussieht. Zumal es auch krass bewundernswert ist, sich überhaupt so in die Musik reinzuhängen und dann nebenbei noch in Vollzeit etwas zu machen, um sich sein Leben zu finanzieren.
Du spielst jetzt im Oktober auch ein paar Support-Shows. Was macht das mit dir, wenn du live spielst und dabei direkt die Reaktionen vom Publikum auf deine Musik bekommst?
Live spielen fühlt sich für mich immer richtig gut an, ich bin nie aufgeregt vor Shows und emotional ganz erfüllt, wenn ich einen Show-Tag habe. Ich freue mich einfach wahnsinnig doll darauf, zur Venue zu fahren, Soundcheck zu haben, dann gemeinsam etwas vor der Show zu essen – diese ganz besonderen Routine, die man hat. Weil ich selbst auch eine passionierte Konzertgängerin bin, jetzt auf der Seite hinter und auf der Bühne zu stehen und zu erleben, wie alles abläuft und die Magie dahinter zu spüren, das ist für mich ganz besonders.
Aber natürlich auch die Songs zu spielen, die vielleicht noch niemand zuvor gehört hat, entweder weil sie noch nicht draußen sind oder weil man vor einem Publikum steht, das dich noch nicht kennt. Das ist für mich auch immer ganz besonders. Natürlich kann man versuchen, so authentisch wie möglich hinter einem Bildschirm zu sein. Aber wenn du tatsächlich vor den Leuten stehst, mit ihnen redest, die Geschichten zu den Songs erzählst und du merkst, sie hören dir zu oder sie fühlen sich irgendwie berührt davon, dann gibt dir das nochmal etwas ganz Anderes. Weil es eben nicht nur Zahlen, sondern tatsächlich Gesichter sind. Ich habe auch das Gefühl, die Menschen, die du live bewegen kannst, die bleiben dann auch an deiner Musik kleben.
Ronja live:
29.10.25 Köln, Yuca (Support für error)
30.10.25 Hamburg, Hebebühne (Support für error)
01.11.25 Berlin, Badehaus (Support für error)
08.11.25 Berlin, Badehaus (Support für Charlotte Kudella)

