
Foto-© Tim Cavadini
Meine Liebe ist groß
Sie kommt schwer wie Beton
Bewerf Dich mit meinem Klavier
Ich nenn‘ es Deinen Song
Ich fütter Dich mit Steinen
Edel-, Kiesel-, große, kleine
Du versuchst, sie zu zermalmen
Das klappt nicht – ich sehe es ja ein
Und mein Therapeut stimmt zu
Und mein bester Freund stimmt zu
All die andern Leute, sogar Du
Für diе Liebe in Maßen hab ich kеin Talent
Für die Liebe in Maßen hab ich kein Talent
(Tristan Brusch – Die Liebe in Maßen)
Wild, (an)mutig, melancholisch, poetisch, unheimlich – so wird die Musik von Tristan Brusch gern beschrieben. Und irgendwie stimmt das ja auch alles, ob dieser Singer-Songwriter mit Geburtsort Gelsenkirchen und Wohnsitz Berlin nun seine intensiven, oft tragischen Liebeslieder anstimmt oder manisch-düstere Mörderballaden oder vertonte Nostalgie – bis hin zu den allerletzten Dingen in der zu Tränen rührenden Abschieds-Elegie Baggersee. Tatsächlich kann derzeit wohl kein anderer Liedermacher in Deutschland so virtuos mit Gefühlen (den eigenen und denen seiner Zuhörer) spielen, ohne die Kitsch-Grenze zu überschreiten. Er macht manchmal allerdings erst sehr kurz davor Halt – das sollte man wissen.
Mit dem neuen Album Am Anfang bringt Brusch nun seine „dunkelromantische Trilogie“ zu Ende – wobei er sich darin inhaltlich rückwärts bewegt hat, von den eher gegenwärtigen Texten des Durchbruch-Werks Am Rest (2021) über die sinistren, zum Glück oft fiktiven Erinnerungen von Am Wahn (2023) hin zu den aktuellen Reflexionen über Kindheit, Jugend, Jungmänner-Zeit und alles, was damit zu tun hat – vor allem immer wieder: die Liebe, auch die toxische und die scheiternde, Sehnsucht, Selbstbezichtigung, Romantik, Herzschmerz.
„Wir sind geboren, um zu sterben/Und es gibt auf dieser Erde/Genau zwei Dinge zu lernen/Lieben und geliebt zu werden“ (aus Geboren um zu sterben vom neuen Album): Das ist typische Brusch-Lyrik, mit der dieser bereits 37 Jahre alte Pop-Spätstarter in die Fußstapfen eines Udo Jürgens tritt und, wenn man auf die jüngere deutsche Songschreiber-Szene blickt, sich längst auf Augenhöhe mit einem Niels Frevert, Gisbert zu Knyphausen und Jochen Distelmeyer befindet. Und was für fabelhafte Lieder hat Tristan Brusch da für Am Anfang wieder geschrieben und eingespielt!
Der Opener Grundsolider Schläger über verdrängte Suchtgefahren („Mach Dir um mich bloß keine Sorgen, Tristan…“) und das abschließende, traurige Tristan und Elise bilden die durch den Vornamen des Musikers vorgegebene Klammer eines zwölfteiligen Meisterwerks, das wieder alles aufbietet, was ein Brusch-Album der Am…-Reihe ausmacht: atemberaubende Streicher-Opulenz (jeder einzelne Track ist produktions- und arrangementtechnisch großes Kino), Gefühlstiefe, Sentimentalität, schockierende Ehrlichkeit („Ich weiß, Du hast das nicht verdient/Es tut mir leid, dass Du so liebst/Nein, wirklich nicht jemand wie mich/Jemand wie mich, der Dich zerbricht….“, aus dem zentralen Stück Danke, dass Du nicht aufhörst mich zu lieben).
Man kann beim Durchhören von Am Anfang, wie bei den Vorgängerplatten auch, immer wieder neue Lieblingslieder finden. Derzeit sind es für mich der treibende Gitarrenpop von Vierzehn sowie anschließend Wasser und Licht und Am Ende – direkt hintereinander drei Deutschpop-Songs für die Ewigkeit, so berauschend schön wie niederschmetternd.
Hatte ich schon erwähnt, dass Tristan Brusch zu allem Überfluss auch noch eine wunderbare Singstimme besitzt, einen warmen, variablen Bariton-Gesang, der mich an Chris Isaak (Grundsolider Schläger ist quasi eine Hommage an den etwas in Vergessenheit geratenen US-Kollegen), Neil Hannon (The Divine Comedy), Paddy McAloon (Prefab Sprout) oder Benjamin Biolay erinnert? Dass der Wahl-Berliner ein toller Gitarrist und Pianist ist? Dass Am Anfang durch die Produktion von Olaf O.P.A.L. und Gastauftritte von Arnim Teutoburg-Weiß, Veronika Hahn und Ariel Oehl zusätzlich punkten kann? Und dass Brusch selbstverständlich auch ein herausragender Live-Performer ist, wie er gerade erst beim Release- und Radio-Konzert im Berliner rbb-Sendesaal wieder mal bewies?
„In dieser Platte steckt viel Liebe, von vielen Menschen. Danke, dass du sie gekauft hast! Du hast damit mehr als ein Stück Musik gekauft: die Behauptung, dass Musik auch 2025 noch etwas wert ist“ – diese handgeschriebenen Worte von Tristan Brusch sind der Vinyl-Ausgabe beigefügt. Dem kann man nur zustimmen. Kein Zweifel – der Titel für das beste deutschsprachige Album des Jahres ist vergeben.

Tristan Brusch – Am Anfang
VÖ: 24. Oktober 2025, Wasser & Licht
www.tristanbrusch.de
www.facebook.com/tristanbrusch
Tristan Brusch Tour:
10.03.26 Göttingen, MUSA
11.03.26 Köln, Club Bahnhof Ehrenfeld
12.03.26 Essen, Zeche Carl
13.03.26 Bremen, Lagerhaus
14.03.26 Hamburg, Mojo Club
18.03.26 Dresden, Beatpol
19.03.26 Erlangen, E-Werk
20.03.26 München, Ampere
21.03.26 Stuttgart, Im Wizemann
22.03.26 Wiesbaden, Schlachthof
26.03.26 Magdeburg, Moritzhof
27.03.26 Leipzig, UT Connewitz
28.03.26 Berlin, Huxleys

