TAME IMPALA – The Slow Rush

Foto-© Neil Krug

We’re on the borderline
Caught between the tides of pain and rapture
Possibly a sign
I’m gonna have the strangest night on Sunday

There I go
Quite a show for a loner in L.A.
Askin’ how I managed to end up in this place
And I couldn’t get away

(Tame Impala – Borderline)

Ein halbes Jahrzehnt ist es her, dass Kevin Parker als Tame Impala mit Currents ein Meisterwerk schuf, das als eines der besten Alben der Dekade gehandelt wird. Seit dem Debütalbum Inner Speaker 2010 schaffte es der Australier, sich von einem spannenden psychedelischen 60s-Projekt zu einem der am meisten gefeierten und mit Lob überschütteten Rockstars der Gegenwart zu mausern. Es gelang ihm, einen Mythos um die ausgefeilten und gleichzeitig lässigen Shows mit Laserfeuerwerk und Partyhymnen wie Let It Happen zu schaffen ohne neues Material zu veröffentlichen. Der akribische Perfektionismus zeigt sich unter anderem darin, dass er die Veröffentlichung der neuen Platte The Slow Rush einfach um mehrere Monate verschoben hat – weil sie noch nicht fertig war. Für so etwas braucht man Status und Einfluss: Kevin Parker hat beides.

Seit 2015 hat er geheiratet, mit Lady Gaga und Kanye West gearbeitet, war Coachella-Headliner und wurde von Rihanna gecovert. Was soll jetzt noch kommen? Es war klar, dass sich der Sound weiterentwickeln musste. Nach so einem Erfolg – der von Brüchen, Wagnissen und Detailverliebtheit lebte – kann ein Künstler wie Parker nicht einfach weitermachen wie bisher. Gleichzeitig warten weltweit Fanscharen auf neues Material. Die Bürde des Genies: Die Latte liegt einfach höher als bei anderen. Vielleicht war auch das ein Grund, warum der Schreibprozess so lange gedauert hat. Jetzt hat er endlich nachgelegt: nun erscheint mit The Slow Rush das langerwartete vierte Album. Dass es anders klingen würde als die Vergangenheit, haben die Vorab-Veröffentlichungen Lost In Yesterday, Posthumour Forgiveness und It Might Be Time gezeigt. Auch in Interviews machte Parker immer wieder klar, dass er nicht der Retter des Psych-Rock-Genres sein möchte, sondern sich eher in  Popgefilden verortet, in einem Interview mit Billboard sagte er: „I want to be a Max Martin. Was bedeutet das für The Slow Rush? Tame Impala ist mit dem neuen Album endgültig im spacigen Pop angekommen. Hat Parker es geschafft, noch einmal eins draufzulegen? Nein. Hat sich das Warten gelohnt? Naja.

Die fast einstündige Platte umfasst 12 Tracks, den Rahmen bilden One More Year und One More Hour. Der Opener ist Parkers intimster Song, indem er nach einem typisch sphärischen Tame Impala-Intro über seine Verbindung mit der Welt außerhalb seines eigenen Kopfs sinniert. Überhaupt sagt er, dass The Slow Rush seine bisher persönlichste Platte ist. Und das spiegelt sich auch im Sound, der weniger abstrakt und konstruiert wirkt, sondern leichter dahinfließt als auf den Vorgängeralben. Das beste Beispiel für diese Entwicklung ist die Vorab-Single Posthumous Forgiveness, die sich im ersten Drittel der Platte wiederfindet. Parker reflektiert die Absurditäten des Lebens als Superstar im Gespräch mit seinem verstorbenen Vater: „Wanna tell you ’bout the time / I was in Abbey Road / Or the time that I had / Mick Jagger on the phone”. Hier finden sich die abstrakten Zwischenstücke, in denen sich Parkers Können zeigt, allerdings sind den Gitarren und der Lautstärke elektronische Popmelodien gewichen, ein sanfter Sound, ein harter Break mit der Vergangenheit. Der wird in Tomorrow’s Dust auch explizit thematisiert: „There’s no use tryin’ to relate to that old song”. Parkers Obsession mit dem Motiv der Zeit findet sich auch in It Might Be Time und Lost In Yesterday wieder – beides echte Highlights des Albums. Letzteres ist ein lässiger Elektropopsong ohne Kitsch, der gemeinsam mit Borderline und dem intensiven One More Hour aus dem Lauf der Platte heraussticht. Zwischendurch finden sich sehr tanzbare Nummern wie Glimmer oder Instant Destiny, einen bleibenden Eindruck hinterlassen diese aber nicht. Große Teile des Albums sind eine gelungene Mischung aus Space Rock, Elektropop mit Shoegaze-Elementen – man vergisst jedoch schnell, bei welchem Track man eigentlich ist.

Was geblieben ist, sind die transzendenten Melodien, das dichte Gewebe aus Klängen und die großartige Produktion des Albums. Trotzdem plätschert die Platte an vielen Stellen einfach so durch. Die künstlerische Nachdrücklichkeit fehlt, das Unerwartete und die Brüche, die vorherige Tame Impala-Alben so interessant gemacht haben. Man kann Kevin Parker nicht vorwerfen, die Melancholie von Currents hinter sich gelassen zu haben, aber seine positiveren, wenn auch oft nachdenklichen Popsongs haben einfach nicht die Wucht seiner vorherigen Werke. Kevin Parker hat im Interview mit Zane Lowe gesagt, dass ihm das Schreiben eines Tame Impala-Songs eine Befriedigung gibt, die nichts anderes erreichen kann. Bei einigen Stücken überträgt sich unmittelbar das auf die ZuhörerInnen. Auf The Slow Rush befindet sich davon leider kaum eins. Natürlich ist es verglichen mit anderen Popalben ein absolut künstlerisches Werk. Aber hier ist sie wieder, die unfaire Erwartungshaltung an das Genie – er kann eigentlich nur an sich selbst gemessen werden.

Tame Impala – The Slow Rush
VÖ: 14. Februar 2020, Caroline
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