WILHELMINE – Interview

Foto-© Thania Rodriguez

2019 trafen wir Wilhelmine zuletzt. Meine Liebe war gerade veröffentlicht worden. Fünf Jahre später sitzen wir wieder zusammen, um über ihr neues Album zu sprechen, über Nervosität und Mut, ihren bevorstehenden Tournee Sommer und Konzertpläne mit Coldplay und Maggie Rogers. Es ist schon faszinierend zu beobachten, wie Wilhelmines Reise als Musikerin voranschreitet, wie sie wächst und neue Horizonte erreicht und auf ihrem Weg so viele Menschen berührt.

Hallo Wilhelmine, es ist wundervoll dich wieder zu treffen. 2019 sind wir uns schon mal begegnet, damals haben wir zusammen Fotos gemacht für dein Bedroomdisco Interview von damals.
Wie schön! 2019 fühlt sich auch schon an, als wäre das irgendwem in einem anderen Leben passiert.

Wie sieht ein aktueller Tag in deinem Leben aus? Jetzt, wo das Album bald rauskommt.
Ich wache auf, bin unendlich aufgeregt und versuche das erstmal wegzustrampeln indem ich zum Sport oder raus gehe. Dann komme ich wieder und stürze mich erstmal in Dinge, die mich ablenken. Ins Lernen oder Knoten zum Beispiel – am Donnerstag habe ich eine Bootsführerscheinprüfung. Alles, was diese ganze Album Vorbereitung angeht, ist auf jeden Fall schon mit einem schnellen Herzen verbunden. Wenn ich zum Beispiel, wie heute, das erste Mal den Refrain von meinem nächsten Lied teilen kann. Das ist für mich total groß. Ich weiß ja nie, wie so ein Lied überhaupt ankommt. Und das erste Mal einen Refrain zu zeigen, das fühlt sich riesig an.

Was meinst du, wo die Aufregung herkommt?
Ich glaube, die Aufregung kommt primär von meinem Gefühl, dass die erste Platte so unendlich erfolgreich war. Und ich finde das zweite Album sogar stärker und runder und die Produktionen sind alle mehr aufeinander abgestimmt. Ich habe einen einheitlichen Klang gefunden. Und eigentlich habe ich einfach nur Angst, dass das nicht so gesehen oder wahrgenommen wird. Auf der anderen Seite bin ich an einem Punkt, wo ich immer hin wollte. Ich darf Konzerte spielen, Menschen hören meine Musik und Menschen warten sogar auf meine Musik. Das ist alles, wofür ich immer gearbeitet habe. Das ist wie Engelchen und Teufelchen und die unterhalten sich die ganze Zeit.

Es ist doch manchmal verrückt. Man hat eine Vision und arbeitet daran und wenn die Dinge eintreten, ist man noch viel aufgeregter als vorher, weil plötzlich alles möglich ist. Von wegen, Ziel erreichen und dann ist alles easy. In Wahrheit wird alles noch viel stressiger als vorher.
Ja, in Wahrheit ist es jetzt so, dass Menschen auf meine Musik warten, ich Konzerte spiele in Deutschland, Österreich und in der Schweiz. Irre, wirklich irre. Und ich bin wahrscheinlich so unsicher, wie ich es noch nie war.

Auf deiner Website beschreibst du Nie wieder wegrennen wunderbar passend als so tanzbar und so fühlbar. Inwieweit findest du passt diese Beschreibung auch für das ganze Album?
Also ich habe so ein paar Lieder auf dem Album, die meine heimlichen Lieblinge sind. Es gibt eine Stelle bei dem Lied Glanz, die mich immer fast zum Weinen bringt. Ich habe das Lied geschrieben über Eltern Figuren, die einem aus den Händen gleiten. Ich beziehe auch immer meinen Umkreis, mein engstes Umfeld mit ein. Und bei meiner Freundin sind das zum Beispiel die Großeltern, die dement wurden und die ihr so weggeglitten sind. Ich singe “du hast noch immer diesen Glanz, jeder Vorhang, der geht auf für dich. Und die Lichter gehen an, weil es noch immer in deinen Augen ist.” Ich sehe immer noch die guten Erinnerungen, ich sehe immer noch die ganze Stärke in dir, auch wenn die Person es vielleicht nicht mehr sieht oder wenn man es von außen objektiv nicht mehr erkennen kann.

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Das ist so schön! Vorhin bin ich ein wenig durch deine Youtube Kommentare gewandert, das war echt herzerwärmend. Jemand schrieb: “Wieso muss ich immer weinen, wenn du singst?” Wieso löst du so viele Emotionen in mir aus?” Es ist ja wunderschön zu sehen, auf welche Resonanz deine Texte stoßen und wie viel du auslöst bei anderen mit deiner Kunst. Was macht das mit dir?
Also mich bewegt es total, wenn sich jemand überhaupt die Zeit nimmt, einen Kommentar zu hinterlassen. Wir wissen alle, was es bedeutet, irgendwo lang zu scrollen und in irgendeine Richtung zu gucken und dann zu denken, okay, ich nehme mir jetzt die Zeit und möchte der Künstlerin etwas sagen. Es erreichen mich so viele Nachrichten, dass sich meine Musik ein bisschen anfühlt wie eine Umarmung. Das finde ich unendlich schön und ganz berührend. Das ist halt genau das, was ich mir ein bisschen visualisiere und wünsche; dass ich Sachen rausgeben kann, die Menschen bewegen.

Woher kommt dieses tanzbare Element oder dieses elektronische Element, das meinem Empfinden nach neu dazugekommen ist bei mir?
Ich glaube, meine Erfahrungen auf Konzerten haben mir gezeigt, was mir besonders viel Spaß macht und wie Energie in einem Raum bei einem Konzert erzeugt wird. Ich glaube, dass das von den vielen Konzerten stammt, die ich gespielt habe.

Was macht das mit einem, wenn man so oft auf der Bühne vor so vielen Leuten steht?
Also ich bin jeden Abend wirklich aufgeregt. Jedes Mal so kurz vor der Bühne, denke ich mir halt. Wahnsinn. Könnte ich nicht einfach Obst verkaufen? Das wäre nicht mit so viel Adrenalin verbunden. Aber wenn ich dann auf der Bühne stehe und merke, dass das einfach das ist, was ich machen möchte und das, was ich leben möchte. Es sind ja so viele Jobgebiete, die dazukommen, mittlerweile bin ich auch eine Bürokauffrau für diesen Beruf. Aber ich fühle mich als Musikerin am meisten, wenn ich auf Bühnen stehen darf.

War das immer schon so oder hat sich das entwickelt?
Das hat sich entwickelt. Ich bin immer auf Bühnen gewesen, aber wenn ich mich an die ersten Konzerte mit meiner eigenen Musik erinnere, mit meinem Gitarristen an der Seite, dann sehe ich, wie unendlich viel passiert ist. Das waren Konzerte, bei denen ich ihn gefragt habe, ob er nicht reden könnte. Jetzt erzähle ich was zu meiner Kunst und ich erzähle was zu den Songs und bin einfach viel mutiger und offener geworden. Und es ist auch was ganz anderes, wenn man das erste Mal eigene Konzerte spielt, also die Konzerte, zu denen Menschen extra für meine Musik kommen. Da dachte ich, Wahnsinn, jetzt hören sie mir komplett zu. Alles ist da.

Es ist schon eine Extremsituation, wenn einen 20 Menschen anschauen. Und genauso extrem ist es dann auch, wenn einen 100 Menschen anschauen. Und wenn einem dann was passiert, ich werfe das Wasser um, dann entsteht so ein Schamgefühl. Und dieses Schamgefühl kann sich potenzieren, wenn man denkt, oh Gott, das haben jetzt 100 Menschen gesehen. Und das ist für mich das Herausforderndste auf der Bühne. Was mache ich? Wie gehe ich mit mir um, wenn mir was schiefgeht? Dann versuche ich einfach nicht so hart mit mir zu sein, damit ich dieses Schamgefühl wieder los werde.

Ach, das klingt so schön. Und befreiend. Und dann wird so ein Konzert mit Maggie Rogers und Coldplay auch ein Ding, das machbarer wird..
Ich spiele Support für Coldplay und Maggie Rogers wird auch da sein. Schon ein bisschen verrückt, oder? Maggie Rogers begleitet mich, seitdem ich Musik mache. Ihre Musik ist für mich die größte Inspiration gewesen. Und dass ausgerechnet wir beide Coldplay eröffnen, dass ich Coldplay eröffne, dass Maggie Rogers an dem Abend auch im Backstage sein wird, das ist für alle einfach so riesig. Und ich kann nicht länger darüber nachdenken, weil ich noch nicht vorbereitet bin auf dieses Konzert. Bin ich zwar, aber ich habe noch nicht dafür geprobt, explizit dafür. Deshalb dürfen wir nicht länger als 10 Sekunden darüber reden.

Alles klar. Wir können auch über die Campervan-Tour sprechen, die du vor einiger Zeit mal gemacht hast. Einfach als Kontrast. Welche Variante passt generell besser zu dir? Riesengroß oder Campervan?
Das Gleichgewicht macht es. Ich glaube, man kann nur auf großen Bühnen stehen, wenn man immer wieder auch auf kleinen steht. Ich glaube, es würde was verloren gehen, wenn ich nur auf großen Bühnen stünde oder ich nur meine eigenen kleinen Konzerte spielen würde. Coldplay wird wahrscheinlich einfach.. Was soll denn auch passieren noch danach? Wahnsinn. Riesig wirklich.

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Nochmal zurück zum neuen Album. Wie hat sich deine Herangehensweise an das Schreiben oder an das ganze Kreative verändert?
Ich bin mutiger geworden, indem ich darüber rede, wie es mir jetzt auch geht. Und dass ich auch Druck spüre und dass es mir auch Angst macht. Ich versuche nicht, in den Liedern die Kurve zu bekommen und zu sagen, naja, ich habe keine Luft, aber ich schaffe das schon irgendwie. Sondern ich sage, ich habe keine Luft und ich habe so unendlich viel Druck, dass ich manchmal einfach nicht weiß, wie es weitergehen soll. Ich bin auf der zweiten Platte mutiger geworden, auch schlechte Gefühle oder Angst auszuhalten. Oder Angst auszuhalten. Und versuche zu vermitteln, wie das in mir entsteht oder passiert.

Du bist ja super reflektiert in deinen Texten. Wie schaffst du den Balanceakt zwischen Authentizität und Privatsphäre?
Ich ziehe für mich ganz klar den Strich, was ich teilen möchte und was nicht. Und im Schreibprozess, überlege ich, was ich sagen möchte und versuche mir vorzustellen, wie die Texte aus den Mündern anderer Menschen klingen, die mit mir singen. Aber ja, ich denke darüber nach, was ich teilen möchte und was nicht.

Bist du eher ein Mensch, der im Hier und Jetzt lebt und die Dinge aufsagen kann, wie sie gerade passieren. Oder eher so ein Zukunftsmensch, so ein Typ Visionär mit lauter Plänen und Ambitionen?
Ich glaube, ich bin eine Mischung, wie gesagt, Thema Engelchen und Teufelchen. Ich habe Momente, in denen bin ich voller Visionen und so habe ich auch angefangen, Musik zu machen. Ich habe mir immer vorgestellt, was wäre, wenn meine Musik irgendwann mal erfolgreich wäre? Ich habe mir vorgestellt, wie sich das anfühlen könnte und habe mich reingedacht in dieses Gefühl, in das Glücksgefühl, dass Menschen wirklich klatschen für meine Lieder. Und so mache ich das auch mit dem, was ich mir jetzt wünsche für meine Musik. Dass ich mir wünsche, dass auch noch in zehn Jahren Menschen klatschen, dass Menschen zusammenkommen, und dass meine Konzerte bleiben.

Oh, das wünsche ich dir auch. Wir sprechen in zehn Jahren. Wunderschön, dich zu hören. Viel Erfolg mit allem und danke für dieses wunderbare Album.

Wilhelmine Tour:
10.05.24 Kaiserslautern, Kammgarn
12.05.24 München, Muffathalle
13.05.24 Wiesbaden, Schlachthof
15.05.24 Braunschweig, Westand
16.05.24 Rostock, M.A.U. Club
17.05.24 Kiel, Die Pumpe
18.05.24 Oldenburg, Kulturetage
19.05.24 Dresden, Tante Ju
01.09.24 Darmstadt, Golden Leaves Festival

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Sophia Kahlenberg

Sophia, 29. Fotografin. Dann kam das Schreiben. Verspürt starkes Herzklopfen beim Wort ‚Australien‘. Aber Berlin ist auch ok.

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