LUMP – Von Freiheiten und Haarigkeiten

Lump

Laura Marling und Mike Lindsey stellen mit Lump ihr neues Projekt vor. Dabei möchten sie selbst als Individuen zurücktreten und ihr Geschöpf für sich sprechen lassen. Zum Interview über ihr Projekt trafen sie sich mit uns dennoch im Berliner Michelberger Hotel.

Freiheit ist ein zweischneidiges Schwert: Es soll ja Menschen geben, die das gute alte Fernsehprogramm liebend gerne gegen individuelle Streaming-Dienste eintauschen wollen würden. Zu viel Auswahl, zu viele Möglichkeiten, beklagen sie und sehnen sich nach vorhersehbarem Fernsehprogramm, bei dem sie gar nicht mitentscheiden müssen, was sie sehen werden. Aber mit großer Freiheit geht halt auch viel Verantwortung  einher – wissen wir spätestens seit Spiderman.

Ob Laura Marling und Mike Lindsey Netflix-Fans sind wissen wir nicht, allerdings finden sie Freiheit ganz dufte – vor allem, wenn es sich dabei um musikalische Freiräume handelt. Beide waren bisher sowieso nicht unbedingt für ihre Verbeugung vor dem Formatradio bekannt und nun setzen sie ihrem musikalischen Treiben gemeinsam noch einen drauf. Schuld an allem ist Lump: Ein haariges Wesen, das eigensinniger tanzen kann als Christopher Walken in Fatboy Slims „Weapon Of Choice“.

Lump Cover

„Ja, man kann sagen, dass wir seine Eltern sind. Und genau wie Eltern, sollte man seine Kreaturen eher unterstützend begleiten, als sie zu etwas zu drängen“, erklärt Lindsey, Marling stimmt zu und ergänzt „Wir haben etwas erschaffen und waren dann selbst darüber erstaunt welche Formen es annimmt.“ So richtig wie bei Mutti und Vati beim pädagogischen Fachgespräch fühlt man sich zwischen diesen beiden Musikern nicht. Sie wirken eher neugierig darüber, was mit Lump als nächstes passiert und sind dabei herrlich gut gelaunt. So wie zwei Geschwister, die etwas angestellt haben und sich hauptsächlich darüber freuen, wie raffiniert sie sich bei ihrem Streich angestellt haben. „Wir haben die gemeinsamen Stücke schon seit zwei Jahren fertig, aber zunächst kam Lauras Album raus und wir haben abgewartet.“ erklärt Lindsey. Marling erklärt, dass keiner wusste, dass die beiden sich trafen, um gemeinsam Musik zu machen „Auch weil wir selbst nicht wussten, was dabei herauskommt. Es war ein Experiment.“

Erschaffen haben sie dabei hochwertigsten Weird-Folk: Man merkt Lindsey seine Versessenheit ins Detail und seine Suche nach Eigensinn in jedem Beat, jedem Moment an. Marling hingegen scheint sich liebend gerne auf die Klanggebäude ihres Mitmusikers einzulassen und sich darin zu verlaufen. „Mike hat meine Stimme wie ein Instrument benutzt – es hatte wenig mit den üblichen Harmonien zu tun.“ erklärt Marling. Sie hat sich auf ihren Solo-Alben als Songwriterin etabliert, die es hinbekommt, Tiefe in eleganten Folk-Pop zu manövrieren. Lindsey hingegen hat mit seiner Band Tunng immer schon hinter den Reglern gestanden, dabei aber ein gewisses Maß an Konfomität eingehalten. Lump gibt Marling und Lindsey plötzlich die Freiheit all das hinter sich zu lassen, keine Erwartung erfüllen zu müssen, weil es nicht mehr um die eigene Identität geht. „Wäre er jetzt hier, würde er vermutlich für uns sprechen und auf deine Fragen antworten – vermutlich würde er das besser machen als wir.“ sinniert Marling. Taylor sieht das anders „Nee, wäre er hier, würde er unten an der Hotelbar sitzen und sich Whiskey reinschütten!“ Auf die Frage, ob Lump eher ein Sammelbecken für die schlechten Eigenschaften des Duos ist, oder ihre gute Seite zeigt, ist sich Taylor sicher: „Natürlich die gute Seite!“ sagt er und lacht.

Lump 2
Laura Marling, Lump, Mike Lindsey

Die beiden wussten nicht, wie Lump aussehen würde. Sie haben das Visuelle ihrer Kreatur dem motion graphic designer Esteban Diacono überlassen. Dieser gab Lump seinen Ausdruck aber eher in der Bewegung denn in einem Gesicht, denn Lump hat vor allem Haare und den Willen, so zu tanzen, als würde ihm tatsächlich niemals jemand zuschauen. Lump wirkt in den Videos wild und eigentümlich aber nicht völlig seltsam – er oder sie bewegt sich immer noch im konventionellen Raum, nur eben nicht so, wie Zuschauende es gewohnt sein mögen.

Dieses Aufbrechen von  Vorhersehbarkeiten ist für Lump programmatisch: Das Spiel mit dem Surreal-ismus, mit der Lieblichkeit von Marlings glasklarer Stimme, das Platzieren derselben in gewohntem Folk-Ambiente mit plötzlicher brachialer Elektronik und dem Herumnerden in spannungsgeladenen Gefilden ist die Essenz von Lump. Die wilde Seite, die niemandem gehorchen muss, sondern die gehört wird und somit im Prinzip auch eine Sehnsucht offenlegt „Wer würde nicht gerne Lump sein? Wer würde nicht gerne einfach alles so tun, als würde er oder sie niemals gerichtet werden?“ fragt Marling ernsthaft. Wer hätte gedacht, dass Dance-Yeti trotz des wilden Fells genau die Lichtung ist, die diese beiden MusikerInnen gebraucht haben?

 

Silvia Silko

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