Róisín Murphy – Interview

Roisin Murphy © Adrian Samson

Foto-Credits © Adrian Samson

Wo man 2020 tanzen geht? Róisín Murphy weiß es: zu Hause. „It‘s the future, like it or not“, sagt sie im selbstproduzierten Performance-Video zu Simulation. Diesen und andere Songs, auch den Klassiker Sing It Back, präsentierte sie im Frühjahr von ihrem Wohnzimmer aus umgarnt von eigens gewählten Outfits und Visuals. Es ist eine typische Episode für diese Selfmadefrau. Sie ist immer ihren Weg gegangen, schon als Teenager. Als sich ihre Eltern trennten und die Mutter wieder nach Irland zog, blieb Róisín in Manchester und schlug sich alleine durch. Die Dankbarkeit darüber hallt bis heute nach. Ihre Lockdown-Videos sind auch ein Dankeschön für die Aufbauarbeit ihres alten Kumpels Luke Unabomber – der Club-Veranstalter reüssierte in jüngster Zeit mit seinen Homoelectric-Partys („exotic disco for homo, heteros, lesbos and don‘t knows“). Außerdem  beteiligte sich Róisín an #Timstwitterlisteningparty mit Musik und Bemerkungen zu ihrem Album Overpowered – Ausrichter Tim Burgess kennt man u.a. als Sänger der Manchester-Band The Charlatans.        

Das Aggregat Róisín Machine hat viel mit einer anderen nordenglischen Stadt zu tun, mit Sheffield. Dort verbrachte Róisín ihre Zeit vor allem in Bars und Clubs. 1994 sprach sie auf einer Party Produzent Mark Brydon an, der sie gleich darauf zum Singen ins Studio einlud. Wenig später gründeten beide das Duo Moloko, es ist wegen der Hits Sing It Back und The Time Is Now unvergessen. Seit 2004 arbeitet die Sängerin unter eigenem Namen mit immer wechselnden Kollaborateuren. Richard Barratt aka DJ Parrot ist für Róisín Machine zuständig, ihn kennt sie auch aus Sheffielder Zeiten. Er hat mit Richard H. Kirk von Cabaret Voltaire Musik unter dem Namen Sweet Exorcist für Warp Records veröffentlicht und war um die Jahrtausendwende Mitglied der Band All Seeing I. Zuletzt ist er als Crooked Man mit zwei Alben bei DFA Records aufgefallen. Parallel hat er über die letzten zwei Jahrzehnte verteilt immer wieder mit Róisín an Material gesessen, das nun endlich gebündelt erscheint und großes Interesse erregt. Aus diesem Grund waren wir froh, dass sich die Irin ein wenig Zeit für uns nahm.

Hi Róisín, in welcher Situation treffe ich dich gerade an?
Hallo, ich bin zu Hause und befinde mich voll im Heimmodus. Gerade eben habe ich einen Desert-Island-Mix für die BBC zusammengestellt. Da ist einiges von Basic Channel dabei, auch I‘m Your Brother auf deren House-Unterlabel Main Street. Cabaret Voltaire sind auch drin. Und DJ Koze natürlich.

Du sprichst über Liebhaberthemen. Auch Simulation, der erste Song auf Róisín Machine, erschien in der Urversion zuerst auf Permanent Vacation, einem kleinen Label in München.
Das war 2012. Den Track wollte niemand haben, aber ich war immer verdammt stolz drauf. Es ist klar eine meiner besten Aufnahmen. Mit Simulation kam auch meine Zusammenarbeit mit DJ Parrot in Gang. Jahrelang haben wir versucht, etwas auf die Beine zu stellen, mit diesem Track nahm es langsam Form an. Mit Jealousy kam eine weitere Single bei Crosstown Rebels raus. Danach war ich mehrmals abgelenkt. Ich verliebte mich in Sebastiano Properzi und sang ihm zuliebe Stücke auf Italienisch. Mi Senti ist eine völlige Bauchtat, aber sehr schön. Dann waren meine Kinder mal vier Wochen bei ihren Großeltern. In der Zeit arbeitete ich mit Eddie Stevens, den ich noch aus Moloko-Zeiten kenne, an Hairless Toys und Take Her Up To Monto. Schließlich gab es eine weitere Begegnung, die ich aufregend fand, mit Maurice Fulton. Ihm lief ich ewig hinterher, ich fühlte mich fast wie Stalkerin. Ich wusste, dass ich alles stehen und liegen lassen muss, wenn von ihm das Signal kommt. Wir haben zusammen vier 12“es aufgenommen. Wahnsinn!    

Wie ging es mit Parrot weiter?
Wir hatten noch einen anderen Track im Köcher, das war Incapable. Gegen ihn wehrte er sich anfangs ein bisschen. Er konnte sich nicht vorstellen, dass die Leute einen Text feiern, bei dem es um Unfähigkeit/Impotenz geht. Das ist einigermaßen kurios – Parrot hat gut zwanzig Jahre lang keinen Club mehr von innen gesehen und sagt so etwas. Am Ende hat er einen bombastisch guten Mix abgeliefert. Wir haben das Stück im letzten Jahr auf Bitter End veröffentlicht, wieder ganz klein, aber dieses Mal stiegen alle voll darauf ein. Vor sieben Monaten unterschrieben wir bei einem Label mit Major-Vertrieb, dann ging innerhalb von vier Monaten alles ganz schnell. Wir mussten nicht viel überlegen, das Konzept hatten wir schon jahrelang im Kopf. Parrot kann sich in einer hektischen Situation voll fokussieren. Wenn er im Studio ist, schließt er die Augen und durchläuft er im Kopf verschiedene Erlebnisräume. In einem Moment stellt er sich die Paradise Garage in New York vor, wie Larry Levan dort für Sound gesorgt hat. In einem anderen wandelt er in Gedanken durch Sheffield, wo er sich als Musiker einen Namen gemacht hat. Er liebt den rigorosen Minimalismus, der in dieser Stadt aus jeder Pore kommt und nach Verarbeitung schreit.

Kingdom Of Ends hört sich sehr danach an. Der Songs klingt so, als stehe man auf einem Stahlfundament aus Yorkshire. Düster und streng. Was steckt dahinter?
Das ist die Stelle auf dem Album, an der ich Parrot richtig aus der Reserve gelockt habe. Dieses Stück fällt konzeptionell aus dem Rahmen. Ja, in diesem Groove steckt dieses Sheffield-Ding. Inhaltlich geht es tief. Primär ist es unsere Ode an den verstorbenen Mark Fisher. Er hat vor einigen Jahren mit seinem Blog k-punk Akzente gesetzt. Er war vielseitig ausgerichtet, Kulturwissenschaftler, Musikjournalist, linker Denker. Mitten in einer seiner Schriften befindet sich eine Besprechung über Moloko. Sein ganzes Konstrukt ist ungewöhnlich. Kritisch, dystopisch, futuristisch. Es geht um soziologische und politische Ideen. Er benutzt oft den Begriff Kingdom of Ends (in Anlehnung an Kants „Reich der Zwecke“, d. Verf.), wie man das Ende des Verlangens erreicht, das Ende des Kapitalismus, das Ende des Endes. Wir haben das Album nach Eintritt in den Lockdown fertiggestellt, in dieser bedrückenden Situation erschienen uns Fishers Gedankengänge noch eindringlicher und wirklichkeitsgenauer.      

 

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Du hast dich während des Lockdowns mit Performance-Videos fit gehalten und bei der Gelegenheit neue Songs vorgestellt, die jetzt auf Róisín Machine erscheinen. Was empfindest du als Person, die gerne auf einer Bühne steht, angesichts des Stopps von Live-Auftritten?
Ich habe gerade bei Freunden auf einer Geburtstagsparty gesungen und bekam fast einen Weinkrampf vor Freude. Endlich wieder vor Leuten zu stehen und zu singen, das war nach der Zeit unter Verschluss einfach nur großartig. Ich bin aber nicht wegen mir in Sorge, sondern wegen der vielen Helfer, die den ganzen Ablauf gewährleisten: Leute für Sound, Licht und Catering, Roadies, Bandmusiker. Sie brauchen das Geld.

Die Frage wird oft gestellt, wie es für sie weitergeht. Hast du eine Antwort?
Es muss sich entschlacken und in den lokalen DIY-Bereich verlagern. Man muss es realistisch angehen, nicht den großen Gewinn im Auge haben, mit Beschränkungen leben und arbeiten. Wenn wir mal ehrlich sind, war alles doch bloß noch aufgeblasen. Ein Industriezweig, der immer größer wurde und keine Substanz mehr hat. Vergleich‘ das nur mal mit der Zeit, als ich damals in Sheffield unterwegs war. Parrot und Mark (Brydon) waren 13, 14 Jahre älter als ich und schon länger am Start. Sie hatten Studios eingerichtet, erste Platten veröffentlicht, Partys veranstaltet und in Plattenläden gearbeitet, wo sie amerikanische House-Maxis bestellten, die keiner kannte. Aus dieser Szene heraus entstand auch das Warp-Label. Ähnliche Bewegungen gab es in anderen Städten auf der Welt, in Berlin zum Beispiel forciert durch Basic Channel. Überleg‘ mal: Bis vor Kurzem flogen die Leute tatsächlich Tausende von Meilen um die Welt, nur um irgendwo abzutanzen. Dieser Aufwand ist unnötig. Man muss bloß aus dem Haus gehen und an der nächsten Straßenecke Leute zusammentrommeln – in Echtheitsgröße, nicht nur online! Werdet Teil von etwas, sucht euch eine Familie, stellt etwas auf die Beine!

Róisín Machine erscheint etwas später als geplant. Wie man hört, unternimmst du derweil schon Schritte zum nächsten Album. Ein gewisser DJ Koze ist nicht ganz unbeteiligt. Klär‘ uns bitte auf.
Ich bin auf seinem Album Knock Knock mit zwei Songs vertreten und habe ihn vor knapp einem Jahr im Opernhaus in Sydney begleitet. Wir laufen uns öfter über den Weg, das kann man definitiv so sagen. Im Sommer war es wieder so. Ich habe auf Ibiza meinen Urlaub verbracht. Kaum war ich da, setzte sich bei mir wieder alles in Bewegung. Ich drehte Performance-Filme, sie sind eine weitere Leidenschaft. Dann tauchte Koze auf und rief alle möglichen Leute zusammen – schwups nahmen wir ein Album in Angriff, das er produzierte. Wenn man mit ihm zusammen ist, hat man das Gefühl, es sei ein zweiter Beethoven im Haus. Er kann dich mit seiner Energie manchmal zur Weißglut bringen, aber auch wirklich mit Ableton-Software umgehen, das ist sehr bereichernd.

 

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Wahrscheinlich ist das noch nicht alles. Was steht noch auf dem Plan?
Ich mache auch was mit Mad Professor. Das für mich ein echtes Hurra-Erlebnis, eine Riesenfreude. Eigentlich war es so gedacht, dass ich zu seinen Rhythm-Tracks die passenden Songs erfinde. Aber ich muss gar nichts mehr machen, die Songs sind in seinem Mix schon vorhanden und von Anfang bis Ende total perfekt. Er ist einer der besten Musiker, mit dem ich die Freude hatte zu arbeiten.

Er wird bestimmt auch ein paar Komplimente für dich übrig haben, sonst hätte er sich nicht auf die Zusammenarbeit eingelassen. Welches Überlebensgeheimnis hast du, nach 25 Jahren im Musikgeschäft?
Ich bin wie ein Schwamm, der begierig alles aufsaugt und nach vielen Seiten hin offen ist. Alles, was ich mache, geschieht aus dem Bauch heraus. Ich bin mit Herz und Seele dabei und versuche, aus den Möglichkeiten das Beste zu machen. Erfolg interessiert mich, ist aber nicht alles. Unabhängigkeit ist mir wichtig. Ich will so sein, wie ich bin. Irgendwie hat das bisher gut funktioniert. Es gibt keinen Grund, daran zu zweifeln.