RAGING FIRE – Filmkritik

„Die Welt besteht nicht nur aus Schwarz und Weiß. Es gibt eine Menge Grauzonen.”

(Cheung Sung-Bong – Raging Fire)

Bis Senior Inspector der Hong Konger Polizei Bong (Donnie Yen) zu diesem Schluss kommt muss erst einiges passieren, denn er ist wahrscheinlich der geradlinigste, rechtschaffenste Polizist der ganzen Stadt. Das macht vor allem das Leben seiner Kollegen und Vorgesetzten schwer, da er partout bei der gängigen Korruption und dem Biegen der Regeln nicht mitmacht. Sobald Yau Kong-ngo (Nicholas Tse) und seine Bande einen Pfad der Verwüstung durch die Stadt ziehen, der vor allem Polizisten zum Opfer fallen, wird Bongs Entschlossenheit, seinen Prinzipien zu folgen, auf die Probe gestellt.

Fans von Benny Chan (Regie und Drehbuch), einem der Grundpfeiler des Hongkonger Action-Kinos, und Donnie Yen (Ip Man), eine weitere treibende Kraft sowohl vor als auch hinter der Kamera als Action Director in unzähligen Martial Arts Filmen wie auch diesem, werden deren erste Film-Kollaboration wohl kaum erwarten können. Dazu kommt, dass es Chans letzter Film ist, denn er ist kurz nach Drehende gestorben. Die Erwartungen sind also sehr hoch.

Die gewohnten überzeichneten Archetypen und Motive sind wiederzufinden: ein klassisches Räuber-und-Gendarm Drama aus Hong Kong eben. Die komplexe Handlung wird nicht zuletzt durch viele Flashbacks unnötig verwirrend sowie durch pathetische Musik und Zeitlupen auf melodramatische Weise erzählt, was allerdings typisch für diese Art Film ist und Fans nicht abschrecken dürfte. Die Charaktermotivationen werden nicht sonderlich gut ausgearbeitet obwohl viel Zeit dafür investiert wird. Chan erfindet das Rad also nicht neu; es fühlt sich so an wie sein Film New Police Story (2004). Bong und Ngo und deren Beziehung zueinander erinnern sehr an Batman und Joker in The Dark Knight (2008). Die erste Action-Sequenz findet wie auch in Police Story (1995) in einer Mall statt. Das letzte große Action-Set Piece ist eine Hommage an das berühmte Feuergefecht auf den Straßen von Los Angeles in Michael Manns Heat (1995). Die Kampfchoreographie erinnert zu sehr an Killzone – S.P.L. (2005) und Flash Point(2007). Man merkt, dass obwohl alle Elemente auf sehr hohem Niveau sind, sie dadurch, dass sie diese Vergleiche einladen, nicht mehr so glänzend dastehen. Der Trend, mehr und mehr praktische Stunts und Effekte sowie ganze Schauspieler durch CGI zu ergänzen oder ganz zu ersetzen, schreitet auch hier weiter vor. Budgetkürzungen waren nicht nur für eine komplette Umschreibung des Drehbuchs (ursprünglich sollte der Film in Südamerika spielen) sondern offensichtlich – sicherlich zusammen mit für die Industrie häufigem Zeitdruck – auch für die oft unnatürlich wirkenden Szenen verantwortlich, ganz anders als zum Beispiel bei Shaolin (2011), auch von Chan. An sich finde ich die Idee, gewisse Dinge nicht mehr praktisch für die Kamera zu inszenieren, um die Stunt-Darsteller zu schützen, lobenswert, insbesondere da das asiatische Kino deswegen bekannt für besonders beeindruckende Stunts ist, weil sie oft echt durchgezogen werden, nämlich ohne doppelten Boden, Vorsichtsmaßnahmen oder dem Versuch, nur den Anschein zu erwecken, als ob. Leider ist es dieses Mal oft nicht gelungen, die Grenzen von computergenerierten Effekten zu erkennen und richtig mit dem vor Ort gedrehten Material zu vereinigen oder zu akzeptieren, dass Donnie Yen nicht mehr der Jüngste ist oder das Nicholas Tse eben in erster Linie ein Schauspieler und kein Martial Arts-Experte ist. Der Schnitt geht stellenweise Richtung Liam Neesons berüchtigtem Sprung über einen Zaun in Taken 3 (2014) mit seinen 15 Schnitten in 6 Sekunden. Nicht nur inhaltlich hält Raging Fire also eine emotionale Achterbahnfahrt bereit.

Alles in allem ist ein unterhaltsamer wenn auch in den Konventionen seiner Herkunft gefangener Action-Film entstanden, dem man leider vor allem in der Postproduktion keine Gefallen gemacht hat. Wir durften wohl-dosierte, über die gesamte Lauflänge gleichmäßig verteilte, abwechslungsreiche Schießereien, Autoverfolgungsjagden, und Nahkämpfe ansehen, die sich, für sich genommen, nicht schämen müssen – zumindestens nicht allzu oft. Die finale Konfrontation ist zum Mitfiebern emotional gut genug vorbereitet, und die Choreographie schaffte es, die Geschichte weiterzuerzählen und die Charaktere weiterzuentwickeln.

Nou fo (HK CN 2021)
Regie: Benny Chan
Cast: Donnie Yen, Nicholas Tse, Lan Qin, Simon Yam, Ray Lui, Ben Lam, Ken Lo
Heimkino Release: Ab 20. Januar Digital, ab 27. Januar als Steelbook (inkl. 4K UHD und Blu-ray), Blu-ray und DVD

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