MAIFELD DERBY FESTIVAL 2025 – Vorbericht

Foto-© Stephan Strache

Wie kann Mensch dieses Jahr über das Maifeld Derby schreiben, ohne schon vorab einen Nachruf zu verfassen? Und wie wird es dann überhaupt dieses Jahr?

Kein anderes deutsches Festival spiegelt so sehr meine eigenen musikalischen Vorlieben wider. Kein anderes deutsches Festival ist derart durchdacht kuratiert. Es macht total Sinn, wer wann wo spielt.

Stress gibt es trotzdem oder aber gerade deswegen: Entscheidungen, wen man sehen will, fallen schwer und es kommt oft zu Doppelungen zweier Acts. Kognitiv wissen wir, wie wenig es bringt, bei beiden reinzuschnuppern und damit dann aber bei keinem so richtig anzukommen. Aber was läuft schon kognitiv bei einem Festivalbesuch? Und auch wenn wir nun klagen: das Klagen wird hier vielmehr zum Kompliment. Das geschilderte Problem mag das größte Luxusproblem sein, das ein Musikfestival einem bieten kann.

Doch wie wird es dann dieses Jahr mit dem Wissen des letzten Ritts sein? Wie gelingt mit dem Wissen des Abschiedsnehmen ein Besuch des diesjährigen Maifeld Derbys ohne FOMO?

Wir möchten dieses Jahr nochmals alles aufsagen und in unseren Herzen konservieren:
Uns von den leisen Tönen des Parcours d’Amour verzaubern lassen. Sitzend hinwegträumend. Ein paar Meter weiter dann dem krassen Gegenteil, der Eskalation vor der Arena2 frönen. Kein Maifeld Derby ohne Katharsis. Hier nutzten letztes Jahr die Lambrini Girls den Stromausfall für Stopptanz, ehe sie das Patriarchart zu Grabe trugen. Wer braucht schon Hochkultur, wenn es das Maifeld Derby (noch) gibt? Wir möchten noch einmal vor der Open Air Bühne in den Sonnenuntergang & damit in die Nacht im Palastzelt tanzen und im Palastzelt einfach nur verzaubert werden.

Beim Blick auf das diesjährige Line Up scheint dies auf jeden Fall möglich. Im Weg stehen können wir uns nur selbst, indem wir uns nicht entscheiden, alles wollen und damit nirgendwo ankommen. Es bleibt also unsere Aufgabe, uns zu entscheiden, wohin wir wann wollen. So hat mit Sicherheit auch jeder seine eigenen, persönlichen Maifeld Momente bzw. wird diese auch dieses Jahr kreieren.

Gönnen wir uns einen Blick in das diesjährige Line-Up. Der letzte Ritt zeigt einmal mehr, was bookingtechnisch möglich ist, wenn man sich traut, dem Einheitsbrei der deutschen Festivallandschaft zu widerstehen: Referenzmusiker*innen treffen auf große Namen und auf spannende Newcomer. Besser geht Festival nicht. Und damit sind wir auch schon wieder bei unserer eigenen Unzulänglichkeit angelangt, einzelne Namen herauszupicken. Ein Versuch sei trotzdem gewagt:

Wenn es eine Künstlerin mit lediglich einem Release auf die Bühne des Palastzeltes schafft, so ist dies mit Sicherheit ein Vertrauensbonus, der unser Erscheinen bei Akryl rechtfertigt. Wir sind gespannt und voller Vorfreude.

Und wenn es ein Festival schafft, uns die Scheu vorm HipHop zu nehmen, dann das Maifeld Derby. Spannenderweise sind es immer UK Artists (u.a. Easy Life & Loyle Carner). Diesmal kommt diese Aufgabe Antony Szmierek zu. Wobei man ihm Unrecht täte, seine Musik nur auf HipHop zu reduzieren. Hier trifft HipHop auf Indie und elektronische Klänge. So gut, so eindrucks- & druckvoll.

Exemplarisch auch schon einmal ein Verweis auf bereits erwähnte Doppelungen:
Lauschen wir den verträumten Klängen von Pearl & The Oysters im Palastzelt oder feiern wir die Relevanz & Wucht von GRENZKONTROLLE? Erleben wir einen ersten magischen Moment des Parcours d’Amour mit Kate Bollinger oder feiern wir mit Nand auf der Open Air Bühne? Lassen wir uns von Warhaus im Palastzelt verzaubern oder geben wir uns der Energie von Big Special hin? Schafft es, uns der Secret Act von Effje de Vissers Auftritt auf dem Parcours d’Amour vor die Open Air Bühne zu locken? Ein wenig Zeit zum Entscheiden bleibt zum Glück ja noch…

Dazwischen Zimmer90 im Palastzelt. Ummantelnde, wunderbare Indietronics-Hymnen. Zimmer90 schaffen einen Raum, in dem Menschen sich fallen lassen können und der sie wunderbar bettet.

Irgendwo lasen wir einmal, ein Auftritt von Donny Benét sei purer Sex. Wir sind gespannt. Beim Lauschen aus der Konserve kamen wir auf jeden Fall schon einmal zu folgender Feststellung: wo Zimmer90 einen noch sanft umschmeichelt & umgarnt, spielt Donny Benét einem bereits zwischen den Beinen (Konsens selbstverständlich).

Nachts dann nochmals ganz großes Kino: Mit Zaho de Sagazan macht Frankreichs Popstar der Stunde einen Halt im Palastzelt und singt von Liebe samt all ihren Abgründen. Durch den Versatz mit elektronischen Klängen, rettete sie das Chanson davor, nur noch als Relikt nostalgischer Babyboomer zu taugen und hat ihm Clubtauglichkeit geschenkt. Sie ebnet damit die Bühne für DJ Koze. Wobei dieser mit seinem phantastischen dieses Frühjahr veröffentlichten Album Music Can Hear Us den umgekehrten Weg wählte, indem ihm das Pop Album des Jahres gelang. Wir dürfen gespannt sein, womit er uns auf dem Maifeld Derby zu begeistern weiß. Sicher ist nur, die Kombination aus Zaho de Sagazan und DJ Koze wird zum elektronischen und musikalischen Hochamt, Katharsis inbegriffen.

Samstag findet ihr uns dann noch häufiger im Palastzelt: Sylvie Kreusch, King Hannah, The Notwist, Franz Ferdinand & Tukan. Über The Notwist oder Franz Ferdinand brauchen wir hier keine weiteren Worte zu verlieren. Sylvie Kreusch auf den Einfluss von Maarten Devoldere zu reduzieren täte ihr Unrecht, ihre Auftritte haben etwas von einer Zeitreise in die 60er Jahre uns erwartet verspielte, laszive Musik. Atmosphärisch & dreamy bleibt es mit Sicherheit auch bei dem Auftritt von King Hannah, während Tukan beim samstäglichen Finale im Palastzelt uns sowohl ummanteln wie zum Tanzen bringen werden. Wie wunderbar.

Aber das Maifeld Derby besteht ja nicht nur aus dem Palastzelt. Zwischendurch lauschen wir den Sommerklängen von Alice Phoebe Lous Sideproject strongboi, erfreuen uns am Indie der Höchsten Eisenbahn und bestaunen die Maifeld Tradition australischer Rockbretter mit den Psychedelic Porn Crumpets.

Oder doch lieber magische Momente auf dem Parcours d’Amour mit Tara Nome Doyle, Mel D oder Konstantin Gropper & Friends, der zum Abschied in musikalischer, geistiger und vor allem emotionaler Verbundenheit ein kleines, mit Sicherheit rührseliges „Adieu!“ auf die Bühne bringen wird. Eine spezielle Revue aus 20 Jahren Get Well Soon und diversen anderen Projekten mit der tatkräftigen Unterstützung von Weggefährten, Partnern, Freunden & Familie.

Eigentlich schon bis über beide Ohren voll mit guter Musik folgt das Finale des Finales: der Sonntag. Spannender Indie aus UK (Ugly & Mary In The Junkyard). Das doppelte „Auf Wiedersehen“ mit Porridge Radio und wunderbare Musik von Efterklang wie Nilüfer Yanya. Und dann, wenn eigentlich gar nichts mehr geht, der dreifache Abriss: wunderschöne, tiefgründige, soulige Klänge von Beharie auf dem Parcours d’Amour, der vom letzten Jahr nachgeholte Abriss von Fat Dog in der Arena2 & nichts weniger als eine Messe von Bilderbuch im Palastzelt. Wie so viele andere Künstler*innen, die es sich nehmen lassen wollen, sich gebührend vom Maifeld Derby zu verabschieden, kehren auch Bilderbuch und das sogar zum vierten Mal zum Derby zurück. Und auch für uns schließt sich hier der Kreis: bei unserem ersten Maifeld Derby 2022 sprangen die Österreicher für Mac DeMaco ein.

Zum Finale macht das Maifeld Derby damit nochmals deutlich, wie sehr wir es zukünftig vermissen werden.

Aber kein Festival dieser Welt ist dauerhaften, emotionalen wie finanziellen Raubbau wert. Danke Maifeld Derby, danke Timo Kumpf, für ganz viel Herzblut, für musikalische Neuentdeckungen, musikalische Überforderungen & Reizüberflutungen. Wehmütig freuen wir uns auf den letzten Ritt. Und wenn dann auch noch das Wetter besser wird, als im letzten Jahr, dann kann es nur ein furioses Finale werden. Wir freuen uns jedenfalls bereits sehr darauf!

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Stephan Strache

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