THE DIVINE COMEDY – Interview

Foto-© Kevin Westenberg

Im Musikgeschäft haben nicht alle anhaltend Erfolg. Wie es geht, weiß Neil Hannon. Seine Band The Divine Comedy gibt es seit 1989. Seitdem gab es in punkto Popularität das übliche Auf und Ab, doch es ging immer weiter. Soeben erschien das dreizehnte Album Rainy Sunny Afternoon.

Den Durchbruch schaffte der Ire mit den Alben Casanova (1996), A Short Album About Love (1997) und Fin de Siècle (1998). Man registrierte mit Freude, wie sich einer frech als Dandy aufspielt, über Michael Caine fabuliert, die Froschprinzessin anhimmelt, London und Paris lobt und sein neues Leben genießt. Nicht mehr das des Bücherwurms, sondern des Lebemanns. Auf den Britischen Inseln liebte man das, Deutschland dagegen pennte. Man hat hier gerne Probleme mit Musik, die stilvoll, kitschig, nostalgisch und auch schelmisch ist. Pah! Geht raus und holt euch die Platten von The Divine Comedy, die Ihr noch nicht habt. Streamt sie meinetwegen. Es lohnt sich.

Heute tauchen Platten der nach dem Dante-Epos benannten Band immerhin mittig in der deutschen Verkaufsliste auf. Das ist voll verdient, denn sie sind abwechslungsreich. Foreverland (2016) handelt von der Euphorie über die bevorstehende Ehe. Office Politics (2019) ist ein echter Ausreißer. Alles verläuft im Themendreieck zwischen Gesellschaft, Technologie und Arbeit, begleitet von einer Musik, die für DC-Verhältnisse erstaunlich viel mit Synthpop zu tun hat. Mit Rainy Sunday Afternoon geht es zurück zum Sound der Neunziger, zur Orchestermusik, zur schmachtvollen Ballade, zum klassischen Pop des Sänger/Komponisten Scott Walker, Lee Hazlewood, Burt Bacharach oder Neil Diamond. Aber es klingt nicht mehr so ausgelassen. Melancholischer, in Anknüpfung an das Leben heute. Hannon erzählte davon beim Treffen in Berlin. Er erwähnte auch eine neue Einnahmequelle. Und ein Land, in dem er Einreiseprobleme haben dürfte.

Britpop hat 2025 in der Musikszene eine Art Wiederauferstehung gefeiert. Auch The Divine Comedy werden in diesem Zusammenhang genannt. Wie findest Du das?
Ich habe grundsätzlich nichts gegen diese Assoziation. Man muss nur auf die Gewichtung achten. Wenn man einen großen Britpop-Kreis zeichnet, sollte man uns nicht mittendrin platzieren. Wir gehören mehr an den Rand. Aber der Peripherie-Status brachte schon was. Er sorgte dafür, dass Journalisten über uns redeten. Und das Gerede half beim Plattenverkauf. Vor dem Album Casanova gab es schon zwei Platten von The Divine Comedy. Da war an den Begriff Britpop noch nicht zu denken. Dann hatten in Britannien viele keinen Bock mehr auf amerikanischen Rock von Nirvana, Guns’n’Roses oder Rage Against The Machine. Als Antwort darauf orientierten sich viele Musiker an Klassikern der Beatles, Who, Kinks oder Stones. So fanden wir auch wir mehr Anklang, obwohl unsere Einflüsse aus anderen Quellen stammten.

Es gibt viele persönliche Momente auf dem neuen Album. The Last Time I Saw The Old Man handelt von den letzten Jahren, die du mit deinem Vater erlebt hast. Es gibt Songschreiber, die gehen mit privaten Themen nicht an die Öffentlichkeit. Warum hast du dich für das Gegenteil entschieden?
Das ist eine gute Frage. Manchmal bin ich der Meinung, ich hätte es besser nicht tun sollen. Mein Vater litt die letzten zehn bis zwölf Jahres seines Lebens an Alzheimer. Er war die ganze Zeit körperlich da, aber nicht mehr geistig anwesend. Er saß wie ein Gefäß vor mir. Das ist kein ungewöhnliches Thema, es gibt viele Menschen, die sich mit so einer Situation auseinandersetzen müssen. Aber ich bin halt Songschreiber und mache mir Gedanken darüber. In diesem Fall saß ich am alten Bechstein-Klavier im Haus meiner Eltern, da schrieb sich der Song von selbst. Ich bin in der Schilderung sehr kompromisslos. Ich habe mir sein Leiden vorgestellt, wie grausam das Schicksal sein kann. Es war nicht so, dass er plötzlich starb, weil er Corona hatte. Er überstand das und litt weiter. Das war echt herzzerreißend.

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All The Pretty Lights fühlt sich ganz anders an, es geht um Weihnachten. Warum ist die Stimmung da so festlich?
Wir sind zu Weihnachten oft nach London gefahren, als ich klein war. Dieser Trip war immer eine Art Hauptgewinn. Eine ganze andere Welt, groß und bunt. Es war egal, ob es schneite, regnete, ob es trocken, warm oder eiskalt war – als Erlebnis war das nicht zu übertreffen. So ein Gefühl stellt sich im Laufe der Jahre nicht mehr ein, das Fest wird zur Routine. Man fühlt sich nach dem ganzen Essen bloß fett und weiß nicht, was man mit den Geschenken anfangen soll. Mir war es hier wichtig, die Schönheit einzufangen, die früher damit einherging. Vielleicht ist es eine Sehnsucht nach der Sorglosigkeit der Jugend. Die festlichen Lichter sind auch ein Kontrapunkt für die persönlichen Erlebnisse in letzter Zeit. Für die Sorgen, die man so hat. Die Lichter erhellen eine Welt, die sonst trist und grau ist.

Timothée Chalamet singt deine Songs im Film Wonka aus dem Jahr 2023. Es ist das erste Mal, dass er im Kino als Sänger aufgetreten ist. Macht dich das stolz?
Ich liebe es total, dass das geschehen ist. Das war ein echter Glücksfall. Regisseur Paul King hatte mir das Angebot gemacht. Ich dachte erst, er will mich auf den Arm nehmen. Ich bin mit dem Originalfilm Willy Wonka And The Chocolate Factory aufgewachsen (heißt bei uns Charlie und die Schokoladenfabrik, d. Verf.). Anthony Newley, den ich zu Lebzeiten kennengelernt habe, hat die Musik mit Leslie Bricusse geschrieben. Das ist eine ziemlich hohe Hürde, aber ich denke, wir haben sie am Ende gemeistert. Weißt du, wenn man mit Hollywood zu tun hat, sind Fehler nicht erlaubt. Sie investierten so viel Geld in ihre Produktionen, da muss man richtig gute Arbeit abliefern. Zum Glück habe ich nicht versagt. Es ist ja ein Film, der hauptsächlich für Kinder gemacht ist. Sie interessieren sich nicht dafür, von wem die Musik ist. Sie lesen den Abspann nicht. Das ist eine perfekte Situation für mich, so stehe ich nicht so im Rampenlicht wie bei der Veröffentlichung eines eigenen Albums. Und es hilft ganz klar bei der Bezahlung der Rechnungen.

Welche Musik anderer Künstler hörst du gerne, wer inspiriert dich für deine Musik?
Alles Mögliche. Wir leben ja im Streaming-Zeitalter, da kannst du dir vieles auf einmal anhören. Es hinterlässt dann nicht immer den tiefsten Eindruck. Die Musik rauscht beim Streaming vorüber wie ein Schnellzug, der einen Bahnhof durchrast. Was neuere Musik angeht, bin ich nie wirklich auf dem neuesten Stand. Ich habe gerade erst Grizzly Bear entdeckt. Von denen hat man viel vor zehn oder fünfzehn Jahren geredet, da hatte ich sie komplett ignoriert. Jetzt bin ich hin und weg. Ich bin halt ein Spätschalter (lacht). Viel wahrscheinlicher ist es, dass ich mir etwas von Glen Campbell oder Neil Diamond aus den frühen Siebzigern herauspicke. Mir gefallen die Streicherarrangements in dieser Zeit, an sie orientiere ich mich auf der neuen Platte. Sie klangen damals sehr natürlich. Diese Sänger waren wie gemacht für diese Art von Sound.

Du veröffentlichst jetzt einen Song, der Mar-A-Lago By The Sea heißt. Muss Kunst heute politisch sein?
Der Titel ist mir vor Kurzem eingefallen und passte ideal zu einer Akkordfolge, die ich auf meinem Telefon gespeichert hatte. Es hörte sich in meinem Kopf wie bei einer Cabaret-Band an, die in einer billigen Holiday-Absteige spielt. Kann gut sein, dass diesem ungeheuer schlechten Präsidenten so ein schäbiges Entertainment gefällt. Vielleicht hört er sich so etwas in seinem Privatgefängnis an, umgeben von seinem faschistischen inneren Zirkel, Vorzeigefrauen und goldenen Toiletten. Es ist kein politisches Statement, es funktioniert mehr wie eine satirische Urlaubskarte. Ich sitze damit in einem Boot mit Stephen Colbert oder Jimmy Kimmel. Deren Late-Night-Sendungen hat man gestrichen oder sie sind gefährdet. Ich bekomme wegen diesem Song jetzt wohl keine Einreiseerlaubnis (lacht).

The Divine Comedy Tour:
15.03.26 Köln, Stadthalle
18.03.26 Hamburg, Fabrik
23.03.26 Berlin, Huxleys Neue Welt

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