
Foto-© Kevin Westenberg
The last time I saw the old man
He was moving very slowly
And he didn’t seem to know me
His hands seemed so fragile and gray
I was worried I might break them
Showed him pictures but he didn’t understand
The last time I saw the old man
The last time I saw the old man
He was talking very strangely
In ever decreasing circles
(The Divine Comedy – The Last Time I Saw The Old Man)
„I have, though, like everyone, a darker, more melancholy side. And for one reason or another it has been much in evidence of late. I needed to use this album as an outlet for those feelings. Everyone should get to make an orchestral pop album once in awhile. It should be available on the NHS (National Health Service)!, sagt Neil Hannon, Frontmann des seit 30 Jahren aktiven britischen Sophisticated-Pop-Projekts The Divine Comedy. Ein orchestrales Pop-Album des Meisters quasi auf Rezept erhalten – was für eine charmante Idee.
„The Return of große Popkunst!“, so betitelt die Labelkette PIAS in hübschem Denglisch ihre Infos zum neuen Album von The Divine Comedy. Und obwohl wir hier normalerweise nicht mit der PR-Tür ins Haus fallen, muss es diesmal sein – weil das einfach stimmt. Hannon & Co. ist mit Rainy Sunday Afternoon nicht nur ein großes Album geglückt, sondern auch ein Kreativ-Comeback wie aus dem Bilderbuch, ein beeindruckender „return to form“.
Seit Absent Friends (und das ist schon gut 20 Jahre her) klang diese Musik nicht mehr so erhaben und eingängig zugleich, so formvollendet stilvoll wie in den elf neuen Liedern, die zwischen Barock-, Lounge- und French-Pop, zwischen Burt Bacharach, Lee Hazlewood, Randy Newman, Paul McCartney und Ray Davies pendeln. Zwei Hammer-Tracks hat der gebürtige Nordire Hannon (54) gleich an den Anfang dieser Platte gesetzt: Achilles und The Last Time I Saw The Old Man, ein ergreifendes Crooner-Stück, in dem Neil Hannon über das Leben seines Vaters mit Alzheimer singt. Frontloader-Alben – also solche, die ihre stärksten Stücke am Anfang platzieren und dann bald ihr Pulver verschossen haben – machen es sich nach so einem Super-Start gemütlich.
Nicht jedoch Rainy Sunday Afternoon, das noch etliche Asse im Ärmel hat: die besinnliche, von lieblichem Chorgesang geprägte Gitarrenballade The Man Who Turned Into A Chair; das Pianopop-Drama I Want You; das prächtige sixtiespoppige Titelstück, nicht nur vom Titel her eine famose Kinks-Hommage. Und damit ist die Platte erst zur Hälfte vorbei. All The Pretty Lights klingt federleicht nach einem Strandspaziergang an der windigen englischen Küste, Down The Rabbit Hole fügt dem Divine-Comedy-Sound ein paar rauere Gitarren (und wieder herrliches Kinks-Feeling) hinzu. Der Bossa-Nova-Schleicher Mar-A-Lago By The Sea nimmt Donald Trumps dekadentes Golfer- und Bonzen-Paradies aufs Korn, ohne den White-House-Widerling explizit zu nennen.
Mit dem Songtitel The Heart Is A Lonely Hunter bedient sich Hannon für ein weiteres Song-Melodram bei einem Carson McCullers-Roman. Das zweieinhalbminütige Klavier-Instrumental Can’t Let Go ist das stillste Stück dieses so opulenten Albums. Und dann kommt Invisible Thread, der Closer, zu dem man sich unbedingt das Video ansehen sollte (Spoiler: Väter, deren geliebte Kinder des Haus verlassen, müssen hier ganz stark sein und/oder Taschentücher bereithalten). Einfach wunderschön.
Das 13. Album von The Divine Comedy wurde in den Londoner Abbey Road Studios aufgenommen und von Hannon geschrieben, arrangiert und produziert. Die meisten Hörer von Rainy Sunday Afternoon dürften die positive Wirkung dieser fabelhaften Platte auch ohne NHS-Verschreibung schnell spüren. Erst recht, wenn sie die Band im kommenden März live erleben können…

The Divine Comedy – Rainy Sunday Afternoon“
VÖ: 19. September 2025, Divine Comedy Records
www.thedivinecomedy.com
www.facebook.com/share/17P6ZF2DXn
The Divine Comedy Tour:
15.03.26 Köln, Stadthalle
18.03.26 Hamburg, Fabrik
23.03.26 Berlin, Huxleys Neue Welt

