AGNES OBEL – Citizen of Glass

Agnes Obel – Citizen of Glass

These bare bones are made of glass
See-through to the marrow when they pass
Seek through the keyhole, a fate is cast
Deep in the mirror smiling back
In shapes like these, they run softly
Trojan horses, Trojan horses

(Agnes Obel – Trojan Horses)

Unheilvolle Streicher eröffnen das Album und es lässt sich bereits ahnen, dass auf Agnes Obels drittem Langspieler kein leichtes Thema verhandelt wird. Ruft man sich zu diesen Klängen den Titel ‘Citizen of Glass’ ins Gedächtnis, wird schnell klar – die dichte klangliche Spannung im ersten Song ‘Stretch your eyes’ lässt sich leicht auf die Auseinandersetzung mit dem „gläsernen Bürgen“ beziehen und vielleicht sogar als Warnung verstehen. Mit diesem übergeordneten Thema hat die in Berlin lebende Dänin ein intensives Konzeptalbum geschaffen, das sich in verschiedenen, teil rätselhaften, teils sehr deutlichen Geschichten abzeichnet: Mal handelt ein Song von Trojanischen Pferden und von Knochen aus Glas – im nächsten Moment geht es um die ganz subjektiven Momente einer gefährlichen Liebe wie in ‘Familiar’ oder um unterdrückte Ängste wie in ‘It’s happening again’.

Immer wieder erzählt Agnes Obel in ihren Songs Geschichten aus dem Privaten und zeigt dadurch eindringlich die Verletzlichkeit auf, der sich ausgesetzt wird, wenn diese mit einem Publikum geteilt werden. Nicht immer ist dabei klar, ob sich die Texte auf die Existenz der Künstlerin in der Öffentlichkeit beziehen lassen oder ob die generelle Sichtbarkeit des Einzelnen gemeint ist, die durch digitale Medien immer durchlässiger wird. Beide Perspektiven sind möglich, der Raum für eigene Interpretationen bleibt häufig offen – das mindert die Spannung zwischen den Zeilen aber nicht, sondern steigert sie umso mehr. Klanglich lässt sie diese Spannung im einen Moment durch zarte, grazile Töne entstehen, die unmittelbar aber wieder von eindringlich rhythmischen Sequenzen unterbrochen werden.

So auch in ‘Trojan Horses’: In einem Sog aus dunklen Streichern, hämmerndem und dennoch minimalistischem Piano bringt sie die Zerbrechlichkeit zum Ausdruck, die einer völligen Durchsichtigkeit entspringen kann – „these bare bones are made of glass“. Oder bei der ersten Single-Auskopplung ‘Familiar’, in der sich intensive Streichersoli aus Cello und Violine mit absoluter Zurückhaltung abwechseln und die Hörer durch eine derart markante Stimmverzerrung vor die Frage stellen, ob das wirklich noch Agnes Obels Stimme ist.

Sowieso ist das intensive Spiel mit ihrer Stimme durch technische Möglichkeiten prägnantes Merkmal auf ‚Citizen of Glass‘: Mal singt Agnes Obel zwei- oder mehrstimmig mit sich selbst, mal wird ihre Stimme so bis zur Unkenntlichkeit verzerrt, dass nicht mehr klar ist, ob diese weiblich oder männlich ist und schließlich wird sie als flüsterndes, hauchendes, seufzendes Rhythmusinstrument eingesetzt, das sich leicht mit üblichen Percussion-Instrumenten verwechseln lassen könnte. Auch hier deuten sich Spiele mit multiplen Identitäten und Rollen an, die mit der Gesamtfrage des Albums um Privates und Öffentliches einhergehen. Stets scheint über den grundsätzlich sanften, märchenhaften Melodien und Klängen eine unterschwellige Gefahr zu schweben – angedeutet durch unerwartete melodische Wendungen und häufig ins Dramatische gehende Ausbrüche. Wenn diese dann aber im nächsten Moment wieder leise verstummen, wird der Hörer in plötzlicher Unruhe hinterlassen, mit all den Fragen im Kopf, die Agnes Obel mit ihrer sanften und dennoch eindringlichen Stimme auf diesem Album aufwirft. Dabei nimmt sie auf ihrem in Eigenregie produzierten Album vorwiegend Melodieinstrumente wie Cello, Violine, Harfe, Vibrafon und natürlich auch das Klavier zur Hilfe, Drums oder andere Rhythmusinstrumente sind selten, eher werden Tasten-, Streichinstrumente oder ihre Stimme als rhythmusgebende Mittel eingesetzt, zum Beispiel bei ‘Red Virgin Soil’, einem von drei Instrumental-Stücken auf diesem Album.

So schafft es Agnes Obel, eine traumhafte Klangpoesie zu erschaffen, die sich jedoch nicht in Belanglosigkeiten verliert, sondern stets zwischen Zurückhaltung und Intensität changiert und nach dem Hören der zehn Songs eine seltsam meditative Unruhe hinterlässt, der sich nur schwer entziehen lässt.

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Agnes Obel – Citizen of Glass
VÖ: 21. Oktober 2016, PIAS
http://www.agnesobel.com
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