ROSIE LOWE – persönliche Angelegenheiten

Foto-© Jacob Hopewell & Marie Schuller

Im Interview merkt man schnell, ob alles nur Spielerei ist oder ob er oder sie es ernst meint. Bei Rosie Lowe hat man keine Zweifel, das sieht man schon an ihrem Käppi. Respect steht darauf dick geschrieben. Schnell geht es bei ihr um eigentlich sehr persönliche Angelegenheiten, die in ihre Musik hineinspielen. Die in London lebende Sängerin und Songschreiberin spricht offen über psychische Belastung und ihre Aufarbeitung. Sie geht in die Tiefe, das macht die Neo-Soul-Erfahrung auf ihrem zweiten Album YU so unglaublich ergiebig.

Der Titel deines neuen Albums YU lässt sich auf unterschiedliche Weise interpretieren. You oder Why You, Du oder Warum Du – welche Lesart ist dir wichtiger?
Mir sind beide wichtig. Ich mag die Doppelbedeutung. Es geht mir um das Thema Liebe und damit verbundenen Unsicherheiten. Einerseits suggeriere ich: Du, und nur du. Das ist positiv gemeint. Mir gefällt aber auch die Warum-Frage. In einer Beziehung können Zweifel eine Rolle spielen, deshalb passt diese Variante auch.

Du steckst offenbar in der Zwickmühle. Bearbeitest du diesen Zustand auf diesem Album?
Nicht nur auf diesem Album. Ich bin mit meinem Partner fünf Jahre lang zur Partnerschaftsberatung gegangen.

Was war der Grund für die Probleme?
Ich habe nie geglaubt, dass lang andauernde monogame Beziehungen möglich sind. Es mag sich abstrus anhören, wenn ich so etwas sage, aber man muss wissen, dass ich und alle meine Freunde aus Familien stammen, in denen die Eltern nicht zusammen geblieben sind. Aus diesem Grund stehe ich einer partnerschaftlichen Beziehung von Natur aus skeptisch gegenüber. Aber ich wollte daran arbeiten und es mit einer Paartherapie versuchen. Ich sage nicht, dass ich und mein Freund nun für immer zusammen bleiben. Aber ich habe viel über mich und die Rolle als Partner gelernt. Das wird mir in Zukunft sicher helfen.

Ist dein Partner ein ganz anderer Typ als du?
Er ist Filmregisseur und beruflich häufig unterwegs, genauso wie ich. Wir sind beide in der Kunst zu Hause, aber seine Herkunft ist eine andere. Sein Elternhaus ist konservativ und religiös geprägt, ich komme aus einer liberalen Hippie-Ecke in Devon. Vor diesem Hintergrund muss die Bindung zum Partner stark sein, sonst funktioniert es nicht. Man muss den Partner gut kennen, mit ihm kommunizieren. Da darf nichts unter den Boden gekehrt, nichts mit Gewalt verschwiegen werden. Man geht zum Beispiel zu Dinner-Partys und trifft dort Leute, die nichts mit er Welt zu tun haben, in der du selbst lebst. Angesichts des Brexits kann man sich gut vorstellen, wie schwierig es sein kann, wenn Menschen mit völlig unterschiedlichen Vorstellungen aufeinanderprallen. Ich möchte auf keinen Fall dem traditionsgeprägten Bild älterer Genrationen angehören, zu dem sich viele Leute hingezogen fühlen – Britannien als glorreiches Empire und so weiter. In so einer Situation muss man als Paar zusammenstehen. Die Psychotherapie hat mir geholfen, mich in solchen Situationen zurecht zu finden, sie richtig zu begreifen und zu behandeln.

Du machst auch eine psychotherapeutische Ausbildung. Soll daraus ein zweites Standbein werden, in ungewissen Zeiten in der Musik?
Auslöser war persönlicher Schmerz. Zwischen dem 19. und 22. Lebensjahr hatte ich schwere Magenprobleme, ich lag andauernd im Krankenhaus. Mir machten Gefühle von Schuld und Wut zu schaffen, es entwickelte sich ein mentales Trauma, es kam zu körperlichen Beschwerden. Zu dieser Zeit las ich mich intensiv in das Thema ein. Ich wollte genau wissen, welche Folgen unverarbeitete seelische Konflikte haben können. Seitdem bin ich von der Sache geradezu besessen. Wenn ich keine Musik mache, lese ich lange und begierig. Ich möchte mich als Mensch besser kennenlernen. Die Ausbildung passt dazu, stellt eine Erweiterung dar. Ich denke nicht, dass ich auf diese Weise Geld auf die Seite legen kann. Es ist kein Plan B, aber schon eine zweite Leidenschaft.

Es ist auf jeden Fall nützlich. Denk‘ nur daran, mit welchen Leuten man es in der Musikindustrie oft zu tun hat.
(lacht) Haha, daran habe ich auch schon gedacht. Die Idee, mich in diesem Bereich als Therapeutin zu betätigen, ist eine schlechte, glaube ich…

Gibt es denn einen Song auf diesem Album, der besonders von deiner jüngsten Lebensperiode beeinflusst ist?
Da fällt mir Little Bird ein. Der Song handelt von meinem Neffen, der anderthalb Jahre alt ist. Er hat erste Gehversuche gemacht, ist oft hingefallen, wurde bei dem Gedanken nervös, es wieder zu tun und hat es eine Weile sein lassen. Ich will ihm eigentlich sagen, dass es völlig in Ordnung ist, wenn man mal hinfällt. Als ich mit dem Text zur Hälfte fertig war, habe ich geflucht und mir gedacht, was für eine Heuchlerin ich doch bin. Ich bin doch genauso! Ich gehe nicht gerne ein Risiko ein, denn ich bin Perfektionistin und habe Angst, es könne etwas schiefgehen.

Pharoah kommt für mich aus einem anderen Kontext. Hier gibt es Anspielungen zum Jazz eines Pharoah Sanders und zur Afrozentrizität einer Erykah Badu. Wie bist du darauf gekommen?
Hier ging alles mit einem Sample von Pharoah Sanders los, mir fällt der Titel gerade nicht ein…. (Memories Of Edith Johnson, d. Verf.). Dave Okumu, mein musikalischer Wegbegleiter, hatte es sich ausgeguckt. Mich erinnerte der Vorname des Künstlers sofort an einen ägyptischen Pharao, was mich dazu brachte, eine mögliche Verbindung zwischen beiden Bedeutungen zu erforschen. Ich habe mich ein paar Wochen in die British Library in London vergraben, mich mit ägyptischem Symbolismus vertraut gemacht und mit diesen unglaublich tollen Frauen in der Historie beschäftigt, Cleopatra und Nofretete. Mit ihnen bröckelte zum ersten ersten Mal das Leitbild des Patriarchats. Es war für mich inspirierend zu erfahren, wie sich Frauen dem Status der Männer angenähert haben.

Die Rolle der Frau ist ein großes Thema dieser Zeit. Wie gehst du generell damit um?
Ich glaube, dass sich das Verhältnis zwischen den Geschlechtern verändert hat. Der Mann ist nicht mehr der alleinige, alles beherrschende Verführer. Die Verführung geht jetzt von beiden Seiten aus. In meinem Song Mango ist die Adam-und-Eva-Situation der Ausgangspunkt. Ich wollte die klassischen Rollen vertauschen, Eva nicht als negativ erscheinenden Lockvogel erscheinen lassen, durch den Adam im Reiche Satans landet. Kann ihn Eva mit dem Apfel nicht in eine Welt führen, die sich ganz wunderbar anfühlt? Auf diesem Album soll sich das ganze Erlebnis sinnlicher anfühlen. YU ist eine Platte, die im Jahr 2019 erscheint. Ich will eine Sängerin sein, die mit ihren Ansichten und ihrer Ausstrahlung die Gegenwart repräsentiert.

Du hast auf all deinen Veröffentlichungen mit Dave gearbeitet, er ist eine absolute Autorität in der zwischen Hip-Hop, Soul, Jazz und Electronica changierenden Musik im Königreich. Lief es mit ihm dieses Mal anders als vorher?
Früher habe ich die Songs alleine oder mit anderen Kollegen geschrieben, danach haben Dave und ich die Arrangements und Produktion übernommen. Dieses Mal saßen wir konzentrierter zusammen, schrieben wir die Songs mit der Gitarre oder nur mit Gesang. Er hat wirklich ein Ohr für Harmonien, so etwas erlebt man nicht alle Tage. Er ist auch sehr sensibel mit meiner privaten Situation umgegangen und hat nach Wegen gesucht, wie man das daraus resultierende Gefühl richtig in Songs überträgt. Mit seiner Hilfe konnte ich tief in die Materie eindringen. Ich wollte nicht etwas Oberflächliches in die Welt setzen, das hat er voll und ganz unterstützt.

In The Way ist Rapper Jay Electronica zu hören. Wie kam es zu dieser Verbindung?
Als wir mit diesem Song fertig waren, meinte Dave, dass noch eine Rap-Strophe fehle. Da sagte ich: Ja, die sollte Jay übernehmen, oder? Ich fragte mein Label, ob sich Kontakt zu ihm herstellen lässt. Zuerst zögerten sie, es erschien ihnen zu schwierig oder zu teuer. Aber ich insistierte und meinte, man könne ihn doch einfach mal fragen. Wenig später teilten sie mir mit, dass er zugesagt hat. Da bin ich vor Freude in die Luft gesprungen. Ich liebe Jay Electronica, er ist ein echter Poet. In seinem Part steckt viel von dem, was ihn ausmacht. Ich erkenne seinen Hang zur Cartoon-Sprache. Er nennt viele Orte in London und stellt damit eine Verbindung zu mir her. Das finde ich schon überwältigend.

In Birdsong gastieren Jamie Woon, Jamie Lidell, Jordan Rakei und Kwabs. Das liest sich wie eine All-Star-Besetzung. Wie kam sie zustande?
Ich kenne sie alle gut, sie sind Freunde. Als wir den Song schrieben, sagte ich Dave, dass ich mir hier gut einen Männerchor vorstellen könnte. Normalerweise kümmere ich mich selbst um die Männerstimmen, indem ich meine Stimme herunterpitche. Dieses Mal hatte ich Lust, es mit meinen Kollegen zu versuchen. Ich schickte ihnen den Song, sie antworteten alle und sagten, dass sie dabei sein wollen. Sie singen alle in diesem einen Song. Das fühlt sich für mich ganz traumhaft an.

In Little Bird fällt ein Verweis zum Hit Would I Lie To You? von Charles & Eddie aus dem Jahr 1992 auf. Machen dir solche Zitate Spaß?
Oh ja, absolut. Ich stelle super gerne Bezüge zur Musik her, die mich inspiriert hat. Für mich als Musikerin ist es immer spannend, die Einflüsse meiner Helden zu erforschen. Dann denke ich mir: Oh, jetzt weiß ich, was du dir anhörst und was dich beeinflusst. Auf diesem Album wollte ich selbst ein paar Mal meinen Favoriten zublinzeln. In Birdsong steckt die Zeile “Makin‘ love ‘til cherry‘s gone” von Prince (aus Erotic City, d. Verf.) oder was aus One In A Million von Aaliyah. Little Bird hat für mich mehr mit Frank Oceans erster EP zu tun, die ich oft gehört habe. Da steckt diese Zeile drin (singt): “I‘ve been meaning to fuck you in the garden….” (aus Nature Feels, d. Verf.) Er spielt damit auch auf Charles & Eddie an. Für mich ist das eine ideale Konstellation. Ich konnte Bezüge zu gleich zwei Favoriten aus verschiedenen Epochen herstellen. Manchmal bin ich vielleicht etwas schwer zu enträtseln. In diesem Fall aber nicht.