BOY HARSHER – The Runner (Soundtrack)


Foto-© Jordan Hemmingway

I can’t spend the night with you
I can’t stay to dance with you
I can’t end my night with you
I can’t feel your heartbeat too

(Boy Harsher – Machina)

Für das US-amerikanische Electro-/Dark-Wave-Duo Boy Harsher, bestehend aus Sängerin Jae Matthews und Produzent Augustus Muller, waren die letzten beiden Jahre oft seltsam und anstrengend: Nicht nur sorgte die Pandemie dafür, dass sie nicht auf Tour gehen und Publikumskontakt halten konnten, zusätzlich wurde bei Matthews auch noch Multiple Sklerose diagnostiziert. Die aufkommenden Gefühle von Befremdlichkeit und Isolation haben die beiden eingefangen und in ein Gesamtkunstwerk verwandelt: The Runner besteht nicht nur aus einem 40-minütigen Horror-Kurzfilm, der von den beiden selbst geschrieben und inszeniert wurde, sondern auch dem dazugehörigen Soundtrack, den die Band gleich mitliefert.

Dass sie sich an der Filmhochschule kennengelernt haben und ihr Handwerk durchaus beherrschen, merkt man beim Trailer sofort: Eine Frau läuft blutüberströmt durch einen nebligen Wald, dann tanzt sie im Neonlicht, lernt in einer Bar jemand kennen. Man spürt in den kühlen Bildern und den unheilvollen Drone Sounds die Einflüsse von David Lynch, es ist Amerika von seiner dunkelsten Seite; hinter der Fassade lauern Geheimnisse, Neurosen, Abgründe, Lust und Schmerz.

Auch die dazugehörige Musik auf dem Album hat cinematisches Flair: Dark Pop und stimmungsvolle Ambient-Stücke wechseln sich ab. Der Opener Tower erinnert mit seinen düsteren, apokalyptischen Synth-Klängen sofort an die Terminator– oder Blade Runner-Soundtracks. Plötzliche verzerrte, gequälte Schreie im Klimax des Songs lassen die Einflüsse von Suicide und Alan Vega erkennen. Matthews zufolge dreht sich der Song um das klaustrophobische Gefühl, in einer Beziehung gefangen zu sein, und diese albtraumhafte, furiose Atmosphäre der Verzweiflung fangen sie perfekt ein. Give Me A Reason lockert die Stimmung dann etwas auf mit seiner Synth-Melodie, bei der die Töne wie Mondstrahlen über das Keyboard zu tanzen scheinen. Die eingängige, treibende Bassline macht den Song zu einem hitverdächtigen Ohrwurm.

Zu etwas besonderem wird The Runner durch seinen kunstvollen Abwechslungsreichtum, was eine Reise durch die verschiedensten Stimmungen möglich macht: Autonomy ist eine nachdenklich-verspielte, fast sommerliche Uptempo-Hymne, von Gastsängerin Cooper B. Handy mit rauchig-tiefer Stimme interpretiert. Ebenso klingt Machina mit den Vocals von Mariana Saldana nach einem etwas unbeschwerterem 80er-Hit im Stil von Kim Wilde, obwohl er immer noch etwas fremdartig-mechatronisches hat und sich die Lyrics um eine empfindungslose Maschine drehen. The Ride Home beschwört durch minimalistische Drone Sounds eine extrem unheimliche Atmosphäre herauf, und der Gesang fühlt sich so distanziert und schauerlich an, als würde jemand Eis durch die Boxen schieben. Beschlossen wird das Album wiederum von I Understand, einer reduzierten, ruhigen Ballade mit hoffnungsvollem Unterton.

The Runner dreht sich um den unendlichen Zyklus aus Verlangen und Zerstörung, und genauso wechseln sich auf dem Soundtrack bedrohliche, pulsierende Synth-Klanglandschaften und zurückhaltende, lockere Electro-Pop-Hymnen ab. In typischer Manier für Boy Harsher sind die Songs dabei düster, aber tanzbar, und kreieren mit ihren Minimal Beats und ihren kunstvoll verflochtenen Synth-Texturen eine kryptische, hypnotisierende Stimmung. Jeder Song nimmt die Hörenden mit auf eine kleine Reise und erzählt eine Geschichte, die ein bisschen anders ist als die vorher; Boy Harsher ist damit ein fesselndes Werk gelungen, das einen in fremde Welten einsaugt und neugierig macht auf dem Film.

Boy Harsher – The Runner
VÖ: 21. Januar 2022, City Slang
www.boyharsher.com
www.facebook.com/boyharsher

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Tamara Plempe

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