BABYLON – RAUSCH DER EKSTASE – Filmkritik


Foto-© Paramount Pictures

I’m already a star. You don’t become a star – you either are one or you ain’t.

(Nellie LaRoy – Babylon)

Regie-Wunderkind Damien Chazelle meldet sich vier Jahre nach Aufbruch zum Mond (2018) mit Babylon laut- und bildstark zurück. Nach Whiplash (2014) und La La Land (2016), beide Oscar-prämiert, sind die Erwartungen hoch. Seinen Lieblingsthemen bleibt er auch diesmal treu: Es geht wieder um Erfolg, Ruhm, Talent, harte Arbeit und die Schwierigkeiten eines Künstler*innenlebens, untermalt von Jazz und Chazelles Gespür für farbenfrohe Kinematographie. Wenn La La Land ein melancholischer Ausflug in die Traumwelt Hollywoods war, dann ist Babylon die Schattenseite, eine wilde Party auf Koks und Steroiden, die Kritiker*innen und Publikum spaltet – von den einen als Meisterwerk gefeiert, von den anderen als schlechtester Film des Jahres bezeichnet. Wie kommt das?

Hintergrund der Story sind die späten Goldenen Zwanziger. Hollywood befindet sich in der Übergangsphase von Stumm- zu Tonfilm, und die Stars müssen sich neu orientieren. Der Film startet mit einer 30-minütigen Party-Szene bzw. einer dionysischen Orgie voller Sex, Drogen und Ausschweifungen jeglicher Art, bei der sich die Protagonist*innen kennenlernen. Jack Conrad (Brad Pitt) ist ein Filmstar auf dem absteigenden Ast, der seine Sorgen mit Alkohol und mehreren Ehen mit stets jüngeren Frauen bekämpft; dagegen ist Schauspielerin und Party-Girl Nellie LaRoy (Margot Robbie) gerade erst im Kommen. Manny (Diego Calva), der Filme liebt und es ganz im Sinne des amerikanischen Traums durch harte Arbeit und eine Reihe glücklicher Zufälle vom Laufburschen bis zum Produktionsassistenten schafft, versucht die beiden in Schach zu halten – meist hoffnungslos. Chazelle folgt den Karrieren von Manny, Nellie und Jack durch ein Kaleidoskop von wahnwitzigen Situationen, durch Ekstase, Exzess, Glamour, überhitzte Drehtage, an denen alles schiefgeht, Zusammenbrüche und Abstürze.

Manny ist dabei der bodenständige, emotionale Anker, mit dem sich das Publikum identifzieren kann. Der manisch überdrehte Wirbelwind Nellie und Jack, der nicht mehr mit seinem überlebensgroßen Leinwand-Image mithalten kann, kämpfen mit den Schattenseiten des Ruhms, dem Druck der Öffentlichkeit und der Schnelllebigkeit des Filmgeschäfts.

Man kann verstehen, warum der Film Kritiker*innen spaltet. Kinematographisch ist Babylon ein Augenschmaus; man könnte Chazelle durchaus vorwerfen, dass ihm Style über Substanz geht, der Style ist aber so gekonnt inszeniert und überwältigend, Soundtrack und schauspielerische Leistungen so exzellent, dass man sich trotz der 3-Stunden-Laufzeit nicht langweilt. Dabei wirkt der Film allerdings auch überladen und hätte als Mini-Serie vielleicht besser funktioniert. So bietet Babylon viele schillernde Nebenrollen, z.B. Tobey Maguire als schleimiger Mob-Boss in einer völlig surrealen Sequenz (er sollte öfters Bösewichte spielen), Jovan Adepo als Jazz-Trompeter Sidney Palmer und Li Jun Li als Lady Fay Zhu, eine lesbische Cabaret-Sängerin. Leider bleibt für diese Figuren kaum Platz und ihre Geschichten werden nur oberflächlich gestreift, obwohl sie einen Einblick in die Probleme Hollywoods mit Diversity und PoC- bzw. queeren Künstler*innen in der Ära des sich nähernden Hays Codes bieten. Die Charaktere bewegen sich wie Äste im Sturm und werden vom chaotischen Plot mal hierhin, mal dorthin gefegt, während im Hintergrund immer visuelle Gags ablaufen oder die ständige Überspanntheit ihre Opfer unter den Komparsen fordert.

Das ist auch eine der größten Schwachstellen Babylons: bei der ganzen hektischen Energie fallen stille Szenen oder gar Todesfälle, die emotionale Wucht entfalten könnten, einfach flach wie schlechte Pointen, weil ihnen kaum Zeit gegeben wird, bevor der Film weiterlärmt. Dadurch kann das Publikum wenig gefühlsmäßige Bindung zu den Figuren entwickeln und deren Ausbrüche teilweise nicht nachvollziehen. Chazelle scheint ein kohärenter Plot auch einfach nicht so wichtig zu sein, er zoomt lieber in die extravaganten Kulissen hinein und beobachtet die Überforderung seiner Protagonist*innen.

Wenn der Film kurz stehenbleibt und durchatmet, wird daraus meistens ein “The Magic of Movies”-Moment. Während Berufsfilmkritiker*innen solche Monologe natürlich gut gefallen dürften, fühlen sie sich für viele Kinogänger*innen wahrscheinlich eher nach selbstverliebtem Hollywood-Narzissmus an, der aus der Story herausreißt. Es wirkt so, als würden die Figuren einen Essay des Regisseurs vortragen, in dem Filmindustrie ihre eigene Existenz rechtfertigt, trotz aller durchaus deutlich gezeigten negativen Seiten.

Genau dadurch fühlt sich auch die Kernbotschaft des Films uneindeutig an: Ist Hollywood jetzt gut oder böse? Kritisiert oder glorifiziert Babylon die Filmindustrie? Chazelle würde wahrscheinlich sagen: Beides, denn das gehört zu Hollywood dazu: Sowohl der Glamour als auch die Schattenseiten und die unvermeidlichen Abstürze. Die Schlussszene soll zum Ausdruck bringen, dass die Anziehungskraft und Macht des Kinos ja letztendlich trotzdem überdauert.

In dieser Ambivalenz tut sich Babylon schwer damit, sein Publikum zu finden: Für anspruchsvolle Filmkritiker*innen enthält er vermutlich zuviel Exzess, Körperflüssigkeiten und Vulgärhumor, und für die Kinogänger*innen, die ihn wegen nackter Haut, Blut, Party und Margot Robbie anschauen, fährt vor allem die zweite Filmhälfte zuviel Kino-Wehmut und Hollywood-Sentimentalität auf. Für Filmnerds mit Geschmack fürs Transgressive dürfte er einen Sweet Spot treffen, doch selbst dann fallen einem noch viele Unstimmigkeiten ins Auge. In jedem Fall ist Babylon extrem unterhaltsam und dadurch unbedingt weiterzuempfehlen, obwohl man nie so ganz sagen kann, ob der Film gut oder schlecht ist. Vielleicht liegt beides nah beieinander, wie bei einer Achterbahnfahrt oder einem Rausch: Ein aufregendes Erlebnis ist es allemal, wenn es einen auch mit zwiespältigen Gefühlen zurücklässt.

Babylon (USA 2023)
Regie: Damien Chazelle
Darsteller: Brad Pitt, Margot Robbie, Diego Calva, Jean Smart, Jovan Adepo, Li Jun Li, P. J. Byrne, Lukas Haas, Olivia Hamilton, Tobey Maguire
Kinostart: 19. Januar 2023, Paramount Pictures Germany

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Tamara Plempe

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