VELVET NEGRONI – Bulli


Foto-© Aaron Rice

Jeremy Nutzman verbrachte in seinem Leben viele Zeiten voller Widersprüche und Rebellion. Als schwarzes Kind in eine weiße, streng christliche Familie adoptiert und auf Leistung getrimmt, als Jugendlicher, der die popkulturelle Welt auf CDs der Nachbar:innen entdeckt, als Enfant Terrible der örtlichen Musikszene – immer auf Achse, hinterfragend, bloß nicht stillstehen. So klingt auch sein drittes Album, das er unter seinem 2016 geschaffenen Alter Ego Velvet Negroni veröffentlicht. Nach dem Erfolg seiner zweiten Platte Neon Brown (2019) folgten einmal wieder bewegte Zeiten – Drogen, Covid, Paranoia – die in der Veröffentlichung von Bulli (4AD) zuletzt mündeten. Produzent Hunter Morly und Nutzman begannen an Songs zu arbeiten, die ihm Sicherheit geben sollten. Nach einem Hausbrand suchten beide das zurückgelassene Equipment zusammen, nahmen es in den folgenden Wochen auseinander und reinigten es, bis es wieder funktionierte. So entstand Bulli als Disruption – positiv und negativ und wurde so intim, dass Nutzman sagt, er könne das Album nicht in voller Länge ertragen: zu persönlich sind die Texte, zu tief die persönlichen Einschnitte.

Diese Verletzlichkeit zeigt sich in allen Stücken, bleibt aber intensiv beim reduzierten Stück Shiny oder dem vom Bass getriebenen Song The Foreigner hängen. Überhaupt ist dieser intime, reduzierte Mittelteil des Albums rund um das treibende Stück Georgia vielleicht das Highlight des Albums. War der erste Longplayer noch voller funkiger R’n’B-Sounds kommt Bulli kreativer und mit einer subtileren Schlagkraft daher. Auf dem üppigen Animal werden volle, dancige Synthesizer-Melodien unterlegt mit hypnotischer Percussion, die Vorabsingle Sinker klingt rockig-lässig. Überhaupt begegnen uns auf der Platte viele Klangstücke, Ideen, Konstrukte und Skizzen, sodass das Hören zum Auseinander- und wieder Zusammensetzen wird – interessant, schnell, emotional, aber auch tanzbar. Wie der Opener Popsong 2, der eine wabernde, clubbige Leichtigkeit vorgaukelt, die im Laufe des Albums immer wieder gebrochen wird. Am deutlichsten im keyboardlastigen und wunderschön souligen Ebony Eggshell oder dem kaleidoskopartigem Ballad Smaller, von denen man sich nur zu gerne von der Tanzfläche führen lässt.

Bulli ist ein emotionales, künstlerisch virtuoses Album, das man in seiner Gänze auch nach mehreren Durchläufen nicht zu fassen bekommt. Nutzman öffnete die Schleusen, Morly navigierte hindurch und herausgekommen ist eine Platte, die auf wunderbare Weise Verletzlichkeit mit musikalischer Innovation verbindet – wenn man sich darauf einlässt.

Velvet Negroni – Bulli
VÖ: 13. Januar 2023, 4AD
www.facebook.com/VelvetNegroni

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