WAR SAILOR – Filmkritik


© Mark Cassar, Mer Film, DCM

Benutze mich nicht als Ausrede, hier zu bleiben.

(Alfred – War Sailor)

Alfred und Sigbjørn sind beste Freunde. Somit ist Sigbørn fester Bestandteil von Alfreds Familie: Cecilia, Magdeli, William und dem kleinen Olav. Das Leben als freiberuflicher Schiffshandwerker und Matrose der norwegischen Handelsmarine in Bergen ist nicht leicht, aber immerhin vom Zweiten Weltkrieg verschont. Alfreds Tochter Magdeli hat schlimme Vorahnungen und will ihn nicht zu einem 18-monatigen Einsatz davonschiffen lassen, aber um die Ernährung seiner Familie zu gewährleisten bleibt Alfred nichts anderes übrig, als anzuheuern. Sigbjørn verspricht Cecilia, ihren Mann heil wieder nach Hause zu bringen. Als schließlich die deutsche Wehrmacht in Norwegen einmarschiert, bewahrheiten sich Magdelis Befürchtungen: das Schiff ihres Vaters wird als strategisch wichtig für den Krieg erklärt und die Besatzung zum Kriegsdienst auf der Seite Großbritanniens eingezogen. Wie für über 30.000 weitere norwegische Matrosen in Zivil und ihre Familien beginnt für unsere Protagonisten eine ungewisse Zeit der Misinformation – Todesnachrichten über Familienmitglieder sind unzuverlässig – und des blanken Überlebenskampfes sowohl auf dem Meer, als auch zu Hause, fernab direkter Kriegshandlungen. Jeder muss angesichts menschenverachtender und hoffnungsloser Umstände mit sich selbst ausmachen, ob und aus welchen Gründen sie ihren gering geschätzten Beitrag zum Widerstand leisten oder lieber desertieren. Immer wieder steht einfach alles auf dem Spiel; nicht zuletzt Alfred und Sigbjørns Freundschaft.

Gunnar Vikene (Drehbuch & Regie) hat seit seiner Kindheit Geschichten von und über Kriegsmatrosen im 2. Weltkrieg gesammelt. Bis heute trifft ihn wie herzlos die norwegische Regierung mit Kriegsopfern unter der Zivilbevölkerung umgeht, was sich zuletzt in Bezug auf syrische und ukrainische Flüchtlinge zeigte; alles, was zählt, ist ein offizielles Ende und der Ruhm des Militärapparats bzw. die finanziellen Kosten. Für die Betroffenen ist der Krieg noch lange nicht vorbei, nur weil die Siegermächte es so definiert haben, und sie brauchen und verdienen entsprechende Anerkennung und Unterstützung. Vikenes Antikriegsfilm War Sailor endet dementsprechend erst Jahrzehnte später und zeigt so in seinen zweieinhalb epischen Stunden die tiefen physischen und psychischen Risse, die Krieg durch die Leben einzelner Menschen, Familien und letztendlich ganzer Bevölkerungen reißt. Wir dürfen nie aufhören, die Geschichte wieder zu erzählen und neue Perspektiven aufzuzeigen, damit sich diese Fehler nicht wiederholen.

Angesichts des Themas wirkt es irgendwie falsch zu schwärmen: von dem für Norwegen astronomischem Produktionsbudget und den damit einhergehenden beeindruckenden Requisiten, Kulissen und Effekten; von Volker Bertelsmanns (Lion (2016) & Im Westen Nichts Neues (2022)) zermürbenden Soundtrack und Sturla Brandth Grøvlens (Victoria (2015) & Der Rausch (2020)) virtuoser Kamera; von der historischen Einhelligkeit und den weltumspannenden Schauplätzen. Vor allem die schauspielerischen Leistungen verleihen Vikenes Aussage gebührendes Gewicht.

Krigsseileren (NO DE MT 2022)
Regie: Gunnar Vikene
Besetzung: Kristoffer Joner, Ine Marie Wilmann, Pål Sverre Hagen
Kinostart: 09. Februar 2023, DCM

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