IM WESTEN NICHTS NEUES – Filmkritik


Foto-© Reiner Bajo

Ich vermisse meine Kameraden.

(Paul Bäumer – Im Westen nichts Neues)

Paul Bäumer (Felix Kammerer) meldet sich 1918 zusammen mit seinen Schulfreunden freiwillig zum Kriegsdienst. Da er mit 17 Jahren eigentlich zu jung ist, fälscht er die Unterschrift seines Vaters um angenommen zu werden. Die jungen Männer werden ohne Ausbildung an die Front geworfen und im erbarmungslosen Stellungskrieg an der Westfront verheizt. Schon am ersten Tag an der Front verliert Paul seinen Freund Ludwig (Adrian Grünewald) und entgeht selbst nur knapp dem Tod, als er während des Dauerbeschusses der französischen Artillerie unter Trümmern begraben wird. Zu seinem Glück findet ihn der erfahrene Frontsoldat Stanislaus „Kat“ Katczinsky (Albrecht Schuch) und nimmt ihn unter seine Fittiche. Stanislaus wird im weiteren Verlauf des Krieges zu Pauls Vorbild und Freund.

Im Westen nichts Neues ist die erste deutsche Verfilmung dieses Klassikers der Anti-Kriegsliteratur von Erich Maria Remarque aus dem Jahr 1929. Mittlerweile, ebenso wie die 1930er Version aus den USA, Oscar prämiert und weltweit gefeiert und nun im Heimkino dank Capelight Pictures nicht mehr nur Netflix-Abonennten vorbehalten, sondern physisch in einem sehr schön gestalteten Mediabook erhältlich. Der Film zeigt eindringlich, was der Krieg aus Menschen machen kann. Die Hoffnungslosigkeit und Ausweglosigkeit, die im Buch sehr gut beschrieben wird, ist auch im Film von Edward Berger spürbar. Effekte und Ausstattung sind dabei unglaublich hoch für einen deutschen Film und die Szenenbilder und Kostüme gehören zum Besten und Authentischsten, was filmisch über diese Epoche, vor allem aber konkret zum 1. Weltkrieg gedreht wurde. Allem absolut berechtigten Lob auf technischer Ebene zum Trotz nimmt einen der Film jedoch emotional weniger stark mit als andere große (Anti-)Kriegsfilme. Hier haben zuletzt zum Beispiel die eben nicht nur technisch überragenden Dunkirk oder 1917 mehr überzeugt. Bis auf eine Szene, in der ein minutenlanger Todeskampf zwischen Paul und einem unbekannten französischen Soldaten gezeigt wird, hat man die Bilder und Situationen so oder so ähnlich einfach schon zu oft in anderen Werken gesehen. Wie sehr den Zuschauer dieses Déjà-vu heimsucht, hängt natürlich davon ab, wieviel man in dem Genre bereits an der Front unterwegs war. Saving Private Ryan hat hier beispielsweise eine ganze Generation schockiert, aber so etwas ist eben nicht reproduzierbar.

Zusätzlich macht es sich der Film mit der bewussten Entscheidung initial und auch später kaum Zeit in den Aufbau der Charaktere zu stecken nicht leicht. Wir werden praktisch mit unserem Protagonisten direkt in die Schlacht geworfen und kennen weder seinen Hintergrund noch den seiner Freunde, die nach und nach alle fallen. Natürlich war das auch bei Private Ryan ein bewusstes Stilmittel, aber es führt dazu, dass man weniger beim Tod der sterbenden Kameraden involviert ist und eine Diskrepanz des Erlebten zwischen dem Zuschauer und Paul Bäumer entsteht. Das wird hier anders als bei Private Ryan auch später nicht aufgearbeitet und so bleibt die Distanz bis zum Ende nahezu gewahrt. Absolut positiv hingegen ist, dass fast komplett auf Pathos verzichtet und versucht wird, einen ungeschminkten und realitätsnahen Eindruck von den Schlachtfeldern und der Etappe hinter der Front zu vermitteln. Einzig bei der überzeichneten Darstellung der deutschen und französischen Generalstäbe wird diese harte Realität leicht gebrochen. Wir bekommen im Verlauf der Handlung mit, wie die Waffenstillstands-Verhandlungen zwischen den Alliierten und Deutschland beginnen und die Macher des Films nutzen das als Gelegenheit die Dekadenz des Offizierskorps und die Gleichgültigkeit gegenüber den eigenen Soldaten auf beiden Seiten zu zeigen. Unabhängig davon, ob man dieser Sichtweise folgen mag, weicht der Film hier klar von der ansonsten sehr neutralen Darstellung ab.

Eine der besseren Filme aus deutscher Produktion, die technisch absolut auf internationalem Niveau mithalten kann. Schade, dass es, wie so oft, ein Anti-Kriegsfilm ist, aber erfrischend, dass es dabei immerhin nicht um Nazideutschland geht. Viele werden sich dabei mehr Charakterentwicklung wünschen, aber auf Kosten dieser wird immerhin konsequent die Erbarmungslosigkeit der augenscheinlich gesichtslosen Massenschlachten dargestellt. Schlachten, in denen jeder einzelne vermeintlich gesichtslose, austauschbare Soldat dennoch vermisst wird, denn jeder von ihnen ist auch ein Sohn, vielleicht ein Vater und auf dem Schlachtfeld eben ein Kamerad gewesen. Und wenn es nur diese Botschaft ist, dann ist es auch dafür ein Anti-Kriegsfilm, der gesehen werden sollte.

Im Westen nichts Neues (DE 2022)
Regie: Edward Berger
Besetzung: Felix Kammerer, Albrecht Schuch, Aaron Hilmer, Moritz Klaus, Adrian Grünewald, Edin Hasanovic, Daniel Brühl
Heimkino-VÖ: 31. März 2023, Capelight Pictures (zuvor schon digital bei Netflix)

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Malte Triesch

Malte wuchs im idyllischen Lilienthal, direkt an der Grenze zu Bremen, der schönsten Stadt im Norden Deutschlands, auf. Seine frühesten Film-Erinnerungen ist, auf dem Schulhof in der neusten TV Movie alles anzustreichen was gesehen und aufgenommen werden muss. Da die Auswahl an Horrorfilmen hier doch recht be- oder zumindest stark geschnitten war entdeckte er Videotheken für sich bzw. seine Mutter, da man diese ja erst ab 18 betreten durfte. Wenn er nicht gerade Filmreviews schreibt ist er wahrscheinlich im (Heim-)Kino oder vor dem Mikrophon für den OV Sneak Podcasts, SneakyMonday.

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