TRÄNEN – Interview

Foto-© Stephan Strache

Im Januar diesen Jahres machte ein mysteriöses Instagram-Profil die Runde. Kurz später ging eine Strecke analoger Fotos online — statt Personen zeigte sie Synthesizer, Gitarrenhälse und einen frostig-dystopischen Sonnenuntergang. Ein paar Wochen später endlich, wenn auch verwaschen: Gesichter. In einer Konstellation, die wohl niemand erwartet hätte. TRÄNEN sind auf der einen Seite: Gwen Dolyn, die seit 2020 mit Punk-Attitüde den deutschsprachigen Progressive-Pop-Untergrund aufmischt und begleitet von ihrer Band Toyboys längst zum Postergirl der “NNDW” avanciert ist. Auf der anderen Seite: Steffen Israel, Gitarrist der Chemnitzer Band Kraftklub.

Gwen Dolyn und Steffen Israel dürften vom Großprojekt TRÄNEN anfangs selbst überrascht gewesen sein. Gwen hatte lediglich die Idee, den Deutschpunk-Klassiker Duell der Letzten von Chaos Z neu zu interpretieren und meldete sich bei Steffen. Innerhalb kürzester Zeit wuchs aus einer klassischen Punk-Cover-Version eine deutlich innovativere Reprise: ein modernes Duell der Letzten, das zackig und doch dreamy, hämmernd und zugleich harmonisch, angewidert und dennoch wehmutvoll klingt. Erstaunlich organisch, improvisiert, beinahe kopflos war eine eigenständige Sound-Ästhetik gefunden, getragen von sinistrer New-Wave-Aura, klangschönen Pop-Passagen, nachhallenden Vocals, 80’s-esken Synthieflächen und dominanten Gitarrenläufen. Warum also nicht einen zweiten Song schreiben oder gar einen dritten?

Das Ergebnis steht mittlerweile seit etwas mehr als zwei Wochen in Form des Debütalbums Haare eines Hundes in den Läden und das Duo schwebt seit der Ankündigung des Albums auf einer gerechtfertigten Hype-Welle – diese setzte die Band zuletzt auch beim Elektrik Pony Cup in Mannheim ab. Nicht nur für eine launige, wie vielgefeierte Show, sondern auch für einen Plausch mit uns!

Euer Debüt Haare eines Hundes ist jetzt seit etwas mehr als einer Woche veröffentlicht. Erst einmal ein ganz großes Lob dafür. Ich mag die Platte sehr. Mögt ihr unseren Leser*innen ein wenig vom Entstehungsprozess des Albums erzählen?
Beide: Danke.
Steffen: Ja, wenn ihr wollt. Wenn ihr wollt, dass Eure Leser*innen mehr darüber wissen, gerne.
Gwen: Was möchtest Du denn wissen?

Klischeehaft stelle ich mir vor, dass ihr die perfekte Songwriting Aufgabenteilung habt: Gwen zeichnet sich für die wunderbare Lyrik verantwortlich und Steffen zaubert dann eine passende Melodie dazu.
Steffen: Würde man meinen, würde ich auch denken. Aber es ist nicht so. Allein daher, wie wir uns gefunden haben und das Projekt entstanden ist, ist das schon alles nicht so „klassisch“.
Gwen: Es ist eigentlich immer so, dass ich die Lyrik mache und auch die Gesangsmelodie. Auf dem Album hat auf jeden Fall Steffen mehr von den Songs, von der Musik geschrieben. Ein paar Demos waren auch schon von mir bereits komplett fertig und da haben wir dann zusammen gemeinsam daran musikalisch weitergearbeitet.
Steffen: Ich lasse die Finger von den Texten. Texten habe ich immer gut vermeiden können. Ich hatte schon ein paar Demosongs ohne Gesang und Gwen hatte auch schon ein paar Songs, an denen haben wir dann gemeinsam weitergearbeitet. Ein paar sind aber auch gemeinsam während des Albumprozesses entstanden, beziehungsweise Albumprozess wussten wir ja von Anfang an nicht. Anfangs wollten wir einen Coversong (Anmerkung: Duell der Letzten) machen. Dann machten wir noch einen anderen Song, weil die Arbeit an dem Coversong nicht so gut geklappt hat, während wiederum die Arbeit an dem anderen Song viel besser funktioniert hat. Bis wir merkten, dass es dann ein Album werden sollte, verging noch etwas Zeit.

Dann kommen wir doch direkt dazu, wie ihr euch kennengelernt habt: Wie kann Mensch Gwen Dolyn falsch aussprechen? Und wie bekommen wir deinen falsch ausgesprochenen Namen für unseren Blog entsprechend verschriftlicht?
Gwen: Schriftlich war es ja nicht. Es war ja mündlich in Steffens Podcast.

Die Frage zielte in die Richtung, wie wir es schreiben sollen, damit es auch im Blog „wirkt“?
Gwen: Ach so. Ich weiß gar nicht mehr, was du gesagt hast?
Steffen: Ich müsste es auch nochmal in der Folge nachhören.
Gwen: „Gwendoleine“ oder so. Du hast, glaube ich, drei verschiedene Anläufe genommen.
(Gwen murmelt und nuschelt Varianten ihres Namens)

Steffen: Ich habe das oft so, ich lese Künstler*innen, deren Musik ich dann spielen will in der Sendung. Ich sehe ihre Namen vorher ja nur geschrieben. Dann bin ich in der Sendung auf einmal ganz plötzlich – ich konnte ja nicht damit rechnen – damit konfrontiert sie auszusprechen und auch wenn es manchmal sehr simpel ist, verhasple ich mich aber trotzdem.
Gwen: Meinen Namen sprechen schon viele falsch aus.
Steffen: Stimmt. Mittlerweile bin ich ja auch oft mit dabei und denke „Ja, siehste: ich bin nicht allein.“

Ich fühle das total. Ich spreche Künstler*innen oder Songs teilweise so krude aus, dass andere, obwohl sie sie kennen, aufgrund meiner Aussprache nicht darauf kommen, wen ich meine. Gerade, wenn ich vorab nur darüber gelesen habe, fühlt es sich in meinem Kopf aber „richtig“ an.
Gwen: Das passiert ja jedem und es ist auch überhaupt nicht schlimm.
Steffen: Du hast mir ja dann geschrieben und eine Sprachnachricht, wie es richtig ausgesprochen wird, mitgeschickt.
Gwen: Genau. Das war auch keine aggressive Korrektur. Ich dachte nur, oh man, irgendwie ist das schade, wenn ich jetzt schon einmal in so einem beliebten Podcast auftauche, dass dann immer mein Name falsch ausgesprochen wird.
Steffen: Sonst säßen wir jetzt ja auch nicht hier. Ich habe jahrelang auch NOFX falsch ausgesprochen. Ich habe immer „Nooffs“ gesagt. Ich wollte auch mit ihnen ein musikalisches Nebenprojekt starten. Aber der Trick hat damals nicht funktioniert.
(Alle lachen)

Ihr habt ja gerade bereits erzählt, dass ihr erst einmal mit Duell der Letzten nicht so glücklich gewesen seid. Wenn ihr gemeinsam an Liedern arbeitet, wie merkt ihr dann, dass ein Song fertig ist?
Gwen: Wir merken, dass ein Song fertig ist, wenn Deadline ist, wir den Song abgeben müssen und wir in dem Moment nicht mehr wissen, was wir verändern können oder wollen.
Steffen: Manchmal ist eine Deadline echt gut. In diesem Fall auf jeden Fall. Wobei es gab auch Songs, bei denen wir sagten, man könnte jetzt noch aus Dummduddelei irgendetwas ausprobieren. Aber da haben wir zum Glück dann einen Produzenten gefunden, der dann auch gesagt hat: „Leute, der Song, den finde ich geil so. Mir fällt da auch nichts mehr ein. Ich würde ihn so lassen!“ Und dann ist es auch gut so.
Gwen: Ehrlicherweise ist es ja immer so, dass man noch etwas machen könnte und das an einer Ecke nochmal etwas geschraubt werden könnte. Aber ich mag es eigentlich total gerne, gerade bei Vocal Takes, wenn der Mood gestimmt hat, es bei dem Take zu lassen. Es gibt ja so Produzent*innen, die wollen, dass man so 30 Vocal Takes einsingt und dann sagen „Wir nehmen jetzt davon erst einmal einen.“ Ich finde es gut, wenn man einfach singt und wenn sich dann etwas gut anhört, man dann auch direkt sagt: „Okay, den nehmen wir jetzt.“ Klar gäbe es vielleicht noch einen Take, der vielleicht besser wäre. Aber dann wird es schnell zu einer Endlosschleife, die einen mental schnell erschöpft. Das haben wir versucht zu vermeiden. Trotzdem gab es durchaus diese Momente „Mmh, dass ist jetzt schon ein bisschen anders.“ Und da war unser Produzent bei den Vocal Takes schon so, gerade am Anfang in Leipzig, dass er gesagt hat: „Kannst Du das nochmal ein bisschen ohne das Vibrato singen und so?“ Und dann nochmal. Und nochmal.

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Und wie seid ihr an euren Produzenten gekommen?
Steffen: Wir haben ihn einfach gefragt. (Alle lachen.)
Gwen: Das ist Simon Freidhöfer.
Steffen: Ich habe ihn mal kennengelernt. Er hat früher bei Lingu…
Gwen: …Lingua Nada
Steffen: Lingua Nada. Auch so ein Name, den ich immer falsch ausspreche. (Alle lachen)
Gwen: Das ist so eine MathRock Band…
Steffen: ..aus Leipzig. Dann habe ich gehört, dass er anfängt zu produzieren. Wir haben uns immer sehr gut verstanden. Ich dachte mir, wenn ich irgendwann noch einmal einen jungen, frischen, agilen Produzenten brauche, würde ich gerne mit ihm arbeiten. Und dann war es so und wir brauchten einen Produzenten. Da habe ich ihn gefragt.
Gwen: Ja es ist schon so, Simon ist wirklich jung und frisch. Das würde ich auch genau so sagen.
Steffen: Es hat wirklich gepasst. Simon hat auch Wert darauf gelegt, wenn ein Take gut war, es bei dem einen Take zu belassen. Nicht gefühlte 30 Takes und dann daraus einzelne Silben zusammen zu basteln.
Gwen: Er ist auch selbst ein sehr guter Musiker. Das hilft auch viel.
Steffen: Gerade auch bei der Gitarre, wo ich gesagt habe: „Ne, das war es aber noch nicht.“ Und Simon so: „Nein, den lassen wir jetzt so!“ „Ach Simon, bitte noch einen.“ „Nein!“

Das heißt Simon hatte im Zweifelsfalle auch das letzte Wort, ob ein Take gepasst hat?
Gwen: Ne. Aber er hat uns manchmal ein bisschen ermutigt, einfach wenn wir uns unsicher waren. Steffen ist sich oft unsicher gewesen: „War es das jetzt wirklich schon?“ „Ist das jetzt schon unser Sound?“
Steffen: Ich bin sehr unsicher. Ich könnte deswegen nie alleine etwas aufnehmen. Ich denke oft: „Ne, das ist es noch nicht.“ Auch die Arbeit, die mir dann so vorschwebt. Deswegen hilft es mir sehr, mit anderen zusammenzuarbeiten.
Gwen: Ich finde immer wichtig, was am Ende dabei herauskommt. Egal, was man aufgenommen hat, wenn man es abspielt und es klingt gut, dann ist es cool.

Dann ist eure Platte auf jeden Fall sehr cool geworden.
Gwen & Steffen: Danke!

Zur Veröffentlichung von Haare eines Hunde erschien ein Interview von euch mit Linus Volkmann im Musikexpress, indem er euch als die Band des Jahres kürte.
Gwen: Richtig süß!

Damit tretet ihr in die Fußstapfen von Team Scheisse, die er 2021 an selber Stelle zur Band des Jahres ernannte. Du selbst, Steffen hast ja mit Kraftklub bereits die ganz großen nationalen Bühnen bespielt. Hast du an dieses Projekt eine Erwartungshaltung?
Steffen: Nein. Ich versuche jegliche Erwartungshaltung komplett abzulegen. Es ist schwer zu beantworten. Ich bin nicht davon ausgegangen, dass es automatisch, nur weil ich in einer anderen Band spiele, die große Bühnen bespielt, auch schnell so groß wird. Das habe ich auf jeden Fall nicht erwartet. Ich habe ja auch noch eine Punkband, bei der das nicht der Fall ist.
Gwen: Du hast versucht, deine Erwartungen komplett herunterzuschrauben und du hattest große Bedenken, dass ich große Erwartungen haben könnte. Da mussten wir uns zuerst etwas eingrooven.
Steffen: So kann man es sagen.

Du hast ja auch noch ein eigenes Projekt, Gwen. Wie ist die Arbeit als Duo als Vergleich zu der als Band?
Gwen: Das ist schon ganz anders. Bei mir ist es ja so, dass ich bei meinem Soloprojekt die Songs dann ja komplett selber schreibe – also Musik und Text und das ist halt echt oft ein totaler Krampf und Kampf, weil ich nur auf mich selbst zurückgeworfen bin, mit meinen begrenzten musikalischen Fähigkeiten. Wenn ich mit Steffen etwas mache, gerade jetzt bei ein paar Songs, bei denen bereits so viel von der Musik gestanden hat, ist es die totale Offenbarung für mich einfach nur die Melodie zu singen und den Text zu schreiben. Ich schreibe eigentlich immer – wenn mir etwas einfällt – so nebenbei etwas auf. Aber es ist ja dann trotzdem Arbeit das in einen Text zu formen, gerade wenn man dann noch den ganzen Song dafür machen muss. Wenn aber bereits die Musik dazu da ist, dann kann das zumindest Spaß machen, weil man schneller schon einen Song hat, den man sich anhören kann und das ist viel befriedigender, als wenn man selber da so ewig daran herumknödelt.
Steffen: Es ging ja auch schnell. Wir haben ein Jahr gebraucht von „Hallo, ich bin Steffen.“ und „Hallo, ich bin…“ „Wie?“ (alle lachen) zu „Wir haben jetzt ein Album draußen.“
Gwen: Es war echt nicht so geplant. Wir sind Schritt für Schritt herein gestolpert – über unsere eigenen Füße nach vorne. Ich hatte auch keine Erwartung daran. Ich hatte natürlich die Hoffnung, dass mir das, was wir machen gefällt und dementsprechend dann auch Leuten gefällt, die meine Musik hören. Ich freue mich natürlich, wenn es Resonanz findet – aber das war auf jeden Fall alles sehr ungeplant. Und jetzt sitzen wir hier.
Steffen: Im Interview.

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Und wie schafft ihr das alles mit dem Zeitmanagement?
Gwen: Schlecht. (Alle lachen.)

Ich finde alleine ein Jahr für eine Platte – wenn es das Vollzeitprojekt ist – bereits sehr ambitioniert. Wie schafft ihr das mit all dem anderen drumherum noch?
Steffen: Deswegen hatte ich nicht so viele Erwartungen. Einfach, weil ich weiß, dass das Machen eines Albums immens viel Zeit, Arbeit und Energie benötigt. Da wusste ich, die hatte ich nicht noch zusätzlich, auch wenn das Kraftklub Album bereits draußen war. Wir waren dann auf Tour und danach sind wir ins Studio. Da gab es schon so einige Überschneidungen und das mussten wir schon alles ziemlich timen.
Gwen: Das ist ja jetzt immer noch so. Ich hatte ein paar Wochen, bevor wir uns entschlossen haben, ein Album mit Tränen zu machen, ein Vertrag für ein Soloalbum bei einem neuen Label unterschrieben und das musste ich die ganze Zeit herausschieben. Jetzt gibt es immerhin schon sechs Songs für dieses Album. Das habe ich auch noch irgendwie nebenbei gemacht.
Steffen: Das verstehe ich nicht, wie du dabei auch noch ins Studio konntest.
Gwen: Ich verstehe es auch nicht.

Wie krass, dass du das parallel zueinander hinbekommst und sogar switchen kannst zwischen den Projekten. Respekt!
Gwen: Ich finde es auch krass. Das ist aber leider auch auf Kosten meiner Energie gegangen. Ich habe jetzt sowieso nicht einen so stabil hohen Energiepegel, weil mein Leben an sich sehr anstrengend ist und im letzten Jahr besonders anstrengend war. Weil ich alles noch einmal neu gemacht habe, nochmal die Stadt gewechselt. Noch einmal das Musikprojekt gewechselt. Noch einmal meine Wohnung gewechselt habe und damit meine ganzen sozialen Zusammenhänge neu sortiert habe. Wirklich alles einfach. Neben dem Tränen-Projekt dann immer wieder für mein Soloprojekt ins Studio zu gehen und dann noch dem neuen Label immer wieder zu sagen „Sorry, aber ich kann diesen Zeitplan nicht einhalten. Das geht nicht.“ Ich habe Tränen dann auch deswegen den Vortritt gegeben, weil da einfach schon viel mehr viel schneller stand. Da war schneller klar, wir können da und da spielen, wir können mit Simon ins Studio gehen. Es war mir einfach wichtig, etwas zu machen, damit ich nicht auch noch in ein Nichts-Tun-Loch im Umbruch falle. Auf jeden Fall würde ich aber sagen, dass unser beider Energie in diesem Jahr ganz schön in Anspruch genommen wurde und es auf jeden Fall schön ist, jetzt einmal ein paar Wochen nichts machen zu müssen. Ich weiß zwar noch nicht, wann diese paar Wochen sein werden. Aber ich hoffe bald.

Aber ihr kennt beide so etwas wie Müßiggang? Gibt es das in eurem Leben? Oder ist es einfach nur eine Wunschvorstellung?
Steffen: Eigentlich dachte ich immer, ich wäre gut darin, aber ich muss mich da wirklich darauf einlassen. Zuhause kann ich das nicht. Dafür muss ich wegfahren und sagen „Jetzt ist zwei Wochen Urlaub“, wo ich dann auch weiß, jetzt kann ich nichts daran machen.

Im Urlaub denkst du dann aber nicht an neue Songs?
Steffen: Doch. Auch immer. Auch jetzt, wo ich im Urlaub war, mussten wir ja dann trotzdem parallel Sachen besprechen oder telefonieren.
Gwen: Ich habe dann ja immer, wenn Steffen weg war, das Social Media komplett übernommen. Das ist ja auch so eine Sache, die war vor zehn Jahren noch nicht so das Ding. Jetzt ist es aber wichtig. Natürlich gibt es ein paar coole Bands, die es nicht so machen. Wir haben jetzt aber damit angefangen und es ist so ein Medium, bei dem wir auch ein bisschen lustig sein können. Gerade, wo unsere Musik eher ernsthaftere Themen behandelt. Es macht uns ja auch Spaß und wir haben die Möglichkeit mit Leuten zu connecten, die einen hören. Aber es ist auch unglaublich zeitfressend und unheimlich anstrengend, den ganzen Tag am Bildschirm zu hängen. Steffen hat parallel noch Kraftklub-Verpflichtungen und -termine, die dann auch einfach Vorrang haben müssen. Ich male nebenbei noch und habe dann nebenbei auch noch versucht, meine Malerei auf Postkarten zu verkaufen, wofür ich dann auch noch am Handy hänge. Wir waren viel auf Bühnen, wir waren viel im Studio, wir waren viel am Handy und Müßiggang fiel mir schon immer schwer. Wir sind beide sehr groß im Stresslaxing. Das man keine Energie hat und einfach nur rumliegt und auf sein Handy starrt und versucht herunterzukommen, das aber leider nicht so gut schafft. Das finde ich auch echt doof. Es ist ja eine Gesellschaftskrankheit und geht nicht nur Musiker*innen so. Ich möchte es gerne lernen. Vielleicht kommt es ja noch, wenn ich mich noch mehr daran gewöhne, so zu leben, wie ich jetzt lebe. Das ich auch sagen kann, da sage ich dann auch ganz bewusst nein. Momentan habe ich oft das Gefühl, ich muss etwas machen, weil ich überhaupt die Möglichkeit habe, das hier so zu machen.

Und was macht die Stadt Chemnitz mit euch? Mit Kraftklub assoziieren viele, dass es auch ein Leben außerhalb Berlins gibt? Was kann Chemnitz?
Steffen: Ich wohne ja schon länger dort.
Gwen: Du bist da ja geboren und aufgewachsen in Karl-Marx-Stadt.
Steffen: Da passiert halt nix. Da ist nicht viel los. Und das ist auch irgendwie gut so. Ich bin ja auch oft in Berlin und habe dort auch ab und zu gelebt. Ich empfinde es sehr schwer in Berlin zur Ruhe zu kommen. Das ist in Chemnitz einfacher. Wobei ich da ja auch zuhause sehr viel arbeite und immer, wenn ich zuhause bin auch sehr viel Arbeit sehe. Trotzdem hilft Chemnitz mir zur Ruhe zu kommen und hier bin ich weit weg von allem. Aber Gwen, du bist jetzt neu nach Chemnitz gezogen. Wie ist es für dich da?
Gwen: Ich mag es richtig gerne da. Also ich war jetzt zwar nie länger als zwei Wochen am Stück in Chemnitz, seitdem ich hier wohne. Ich wohne jetzt seit März dort. Aber ich habe dort jetzt eine schöne Wohnung, mir einen guten Rückzugsort hier gebaut. Ich habe auch acht Jahre in Berlin gewohnt und zwischendrin in Darmstadt. Es ist auf jeden Fall angenehm, wenn man vor die Tür gehen kann und nicht eine Millionen Leute unmittelbar da sind. Zum etwas langsamer werden. So zumindest die Hoffnung. Man nimmt sich ja selber trotzdem an andere Orte mit. Es ist aber auf jeden Fall schon einmal gut, wenn man nicht jeden Abend mega FOMA haben muss, weil man denkt, jetzt gehen hier die geilsten Sachen. Es ist alle paar Tage mal irgendwo ein nettes, cooles Event, bei dem man sich überlegen kann hinzugehen. Und es gibt schon innerhalb von Chemnitz eine ziemlich gute künstlerische Community, die auch sehr offen ist für Leute, die dazu kommen und sweet und supportiv miteinander sind. Ich bin da jetzt trotzdem noch Außenseiterin, aber ich bin ja auch noch nicht lange dort. Aber es ist irgendwie eine ganz gute Atmosphäre. Es ist nicht so wie in Berlin, wo man nur teilnehmen kann, wenn man auch viel Geld hat.

Das klingt voll nachvollziehbar. Menschen unterschätzen oft, was es mit Menschen macht, wenn es keine erschwinglichen Raum – ob nun Wohnraum oder Proberäume oder Ateliers – gibt.
Gwen: Das mit dem Wohnraum ist voll das Ding. In Berlin kann man eigentlich nicht als Künstler*in, die jetzt nicht auf Kraftklub-Niveau spielt, alleine wohnen. Da muss man in einer WG wohnen und oftmals noch nebenbei jobben.
Steffen: Wir leben auch alle in einer WG.
Gwen: Du lebst jetzt nicht in einer WG.
Steffen: Kraftklub ist eine große WG.
Gwen (lacht herzhaft): Kraftklub ist eine große WG.

Vom Wohnraum zurück zum Albumtitel: Haare eines Hundes. Ich habe gelesen, den Titel habt ihr euch von einem englischen Sprichwort entlehnt, was „Konterbier“ meint.
(Alle lachen.)
Steffen: Geil, das haben wir einmal gesagt.
Gwen: And now it’s up there.

Ihr macht deutschsprachige Musik bezieht euch aber im Albumtitel auf ein englisches Sprichwort. Oder ist es einfach eine urbane Legende, die ich nun weiter streue?
Gwen: Nein. Ich würde nicht sagen, dass unser Albumtitel das englische Sprichwort zitiert, sondern es ist eher – wie du gesagt hast – davon entlehnt. Es gibt das englische Sprichwort „You got to drink the hair of the dog that bite you“. Also du musst das Haar vom Hund trinken, der dich gebissen hat. Das heißt ja einfach nur, man muss eine Prise von dem Leid hinzufügen, was man jetzt zu sich nimmt. Wie eine Art Immunisierung, um über das hinwegzukommen, was man erlebt hat oder was einem angetan wurde oder man sich selbst angetan hat. Und das Bild fand ich einfach gut. Außerdem stecken in diesem Hunde- und Immunisierungsbild mehrere Themen, die auch in unserem Album stecken. Wie zum Beispiel das Thema Entwicklung und das Entwicklung immer in Zyklen passiert. Wir haben uns dann gefragt, was Zyklen symbolisiert und kamen dann auf den Mond. Dabei ist dir dann ganz wichtig, dass dies nicht esoterisch gemeint ist. (Alle lachen.)
Steffen (summt): Glaubt nicht an Steine. Hast Du die Globuli eigentlich?
Gwen: Ja, ich gebe sie dir gleich. Noch etwas Geduld. Da ist auch das Werwolf-Thema mit drin. Verwandlung bedeutet auch Schmerz und etwas Unheimliches und etwas Brutales. Das ist alles für mich im Albumtitel drin. Natürlich, wenn Leute das erst einmal hören, klingt es wie eine absurde Aneinanderreihung so „Häh? Haare eines Hundes? Die sind vielleicht bei mir auf dem Sofa, wenn er dort gepennt hat.“

Wobei das ja gerade das Schöne an euren Texten ist, das Menschen immer wieder eine weitere Ebene in euren Texten finden können. Das es erst einmal schön klingt, aber je mehr man sich darauf einlässt, meint, immer mehr daraus heraushören zu können.
Steffen: Das geht mir auch so. Ich entdecke immer wieder etwas Neues in Gwens Texten.
Gwen: Das ist voll schön. Es freut mich wirklich sehr, dass jetzt einige Leute sagen, dass meine Texte etwas für sie haben. Das sie etwas dahinter entdecken, ohne dass es mega Pathos geladen daher kommt. Es gibt ja Bands, die können Pathos ganz gut. Ich glaube, ich habe da jetzt schon häufiger Tocotronic als Beispiel genannt, die so Pathos-geladene deutschsprachige Musik machen können und irgendwie funktioniert das auf deren verschrobene Art. Aber wenn ich das machen würde, würde ich mir komisch vorkommen. Meine Texte passieren einfach so, wie sie da sind. Umso cooler, dass Menschen damit viben.

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Ist das auch eine Art von Ventil für dich? Gerade, wo du dich in deinen Texten und auch auf Social Media ziemlich öffnest und sehr viel Verletzlichkeit preisgibst?
Gwen: Schon. Auf einer Seite als Ventil auf der anderen Seite aber sicherlich auch wie eine Art Überlebensstrategie. Gerade auch auf Social Media. Ich hatte bereits als Teenagerin einige Freundinnen, die ganz tolle Fotos gemacht haben. Eine hatte damit auch einen Blog. Ich habe es immer total bewundert und wollte etwas in der Art auch gerne machen. Aber ich habe es nie geschafft, online zu einem Output zu kommen, bei dem es gepasst hat. Bei dem ich fühlte, dass kann ich jetzt weitermachen, ohne mich dabei total zu verbiegen und anzustrengen. Weil ich natürlich gemerkt habe, ich will natürlich irgendwie cool rüberkommen, ich will cool aussehen und es soll natürlich auch eine Message haben. Dann bin ich irgendwann einfach dazu gekommen zu sagen, ich sage es jetzt einfach genau so, wie es ist und mache es jetzt einfach so, wie es ist. Und so mache ich es nun auch mit meiner Musik. Also versuche es zumindest. Das ist natürlich auch immer ein bisschen anders. Ich fühle mich immer sehr außen vor in der Welt. Nie so richtig zugehörig und am meisten Zugehörigkeit – denke ich – kann man empfinden, wenn man versucht der Mensch zu sein, der man ist und das auch anderen zu zeigen. Und das versuche ich in und mit meinen Texten.

Oh, wie toll. Voll der schöne Ansatz und voll gut gelungen. Ich habe gelesen, dass ihr euch am Anfang immer sehr viele Lieder vorgespielt habt. Das passt super, zu der einzigen standardisierten Frage: Wie schaut eure Bedroomdisco aus?
Steffen: Ich habe gerade im Sprinter immer wieder zwei Songs gehört. Das war zum einen Bikini Kill mit Carnival. Den finde ich richtig gut und den verbinde ich auch mit uns. Den Song habe ich auch in meiner Spotify-Liste „Tränen Coversongs?“. Und dann habe ich noch einen Song, den habe ich jetzt ganz oft gehört und nun wieder entdeckt den Song: Gwen hat mit Mamoré einen Song herausgebracht und der erinnerte mich irgendwie an etwas.
Gwen (lacht): Oh man, Steffen. Der ist ganz anders.

Aber trotzdem kann es ja Steffen daran erinnern. Empfinden und assoziieren ist subjektiv.
Gwen: Ja, ja, natürlich.
Steffen: Und dann habe ich ihn gefunden. Das war Girlschool, diese 80er Jahre all female Hardrockband mit Motörhead zusammen. Der heißt: „Please Don’t Touch“. Das Lied habe ich nun im Sprinter immer wieder gehört.

Im Sprinter hören, heißt dann jeder hört für sich oder alle hören etwas gemeinsam?
Gwen: Ne. Ne. Jeder hört für sich. Wir sind ja nicht alleine im Sprinter. Wir können ja nicht die Crew die ganze Zeit mit unseren Liedern quälen.

Aber vielleicht profitieren die ja auch davon. Ein bisschen Selbstbewusstsein ob des eigenen Musikgeschmacks schadet – zumindest in eurem Fall – bestimmt nicht.
(Alle lachen.)
Steffen: Das denke ich auch.
Gwen: Bei mir ist es immer so, wenn ich viel Musik selber mache, dann kann ich nicht so viel Musik selbst hören. Aber Musik, die ich mit der Musik, die wir uns gegenseitig gezeigt haben, verbinde sind zwei Songs. Einer, den haben wir – glaube ich – auch schon einmal zitiert, der heißt Dream Cave von Cloud Control. Und dann Heart Of Mine von Calvin Love, der für mich in der Zeit, in der wir angefangen haben, gemeinsam Musik zu machen, eine bedeutende Rolle gespielt hat. Das sind zwei sehr langsame und eher melancholische Songs.
Steffen: Dream Cave kannte ich vorher nicht. Den haben wir einmal bei dir im Auto gehört und ich dachte nur „Was ist das für ein geiler Song?“. Und dann war das auch so ein Song, den ich richtig oft auf Dauerschleife gehört habe. Ein richtig guter Song. Großartig. Danke, Gwen.
So ging das, als wir uns kennengelernt haben. Erst einmal zu schauen, wie der Musikgeschmack des anderen ist, um zu wissen, ob es überhaupt Potential hat, gemeinsam weiterzuarbeiten. Wir haben uns ganz viele Sachen vorgespielt. Und das Gute ist, wenn man jemanden Sachen vorspielt, wäre es sehr unhöflich zu sagen „Kann ich mal skippen?“. Stattdessen hört man mal wieder Songs, die man nicht kennt, bewusst komplett durch. Das ist ein komplett anderes hören. Da waren echt gute Sachen dabei.

Gab es auch etwas, wo der jeweils andere gesagt hat „Oh, das fühle ich gar nicht.“? Und könnt ihr euch das sagen?
Steffen: Doch bestimmt.
Gwen: Ja auf jeden Fall. (Alle lachen.)
Gwen: Es ist bestimmt nicht selbstverständlich. Aber was wir uns wirklich sagen können, ist, was uns bei Musik gefällt und was nicht. Klar haben wir jetzt auch sau viel Zeit miteinander verbracht und da gerät man sicherlich auch einmal aneinander aber was Musik angeht, da können wir sehr gut kommunizieren, wie ich denke.

Wie schön! Schaut ihr euch später noch wenn anderes an?
Gwen: Wir können nicht. Wir müssen direkt weiter im Anschluss. Wir müssen noch gut zweieinhalb Stunden fahren und morgen dann noch einmal vier Stunden.
Steffen: Das ist voll schade.
Gwen: Das ist echt schade.
Steffen: Ich hätte gerne Flawless Issues gesehen. Mit dem haben wir gestern schon in Berlin gespielt und konnten ihn dort nicht schauen. Und heute auch nicht. Es ist zwar nicht ganz parallel aber vor und nach dem Konzert ist immer schwierig.

Dann nochmals vielen lieben Dank, dass ihr euch trotz eures straffen Zeitplans die Zeit für dieses Interview genommen habt. Voll toll, danke!
Gwen: Alles gut, wir haben zu danken. Ich finde es gerade gut, etwas Angenehmes vor unserem Konzert zu tun zu haben. Und wir freuen uns über die Aufmerksamkeit.
Steffen: Vielen Dank dir.

TRÄNEN Tour:
08.02.24 Darmstadt, Oetinger Villa – ausverkauft
10.02.24 Stuttgart, Merlin
15.02.24 Hamburg, Molotow Skybar
16.02.24 Münster, Gleis 22
17.02.24 Hannover, Lux
18.02.24 Köln, Bumann & SOHN
22.02.24 München, Kranhalle
23.02.24 Nürnberg, Club Stereo
24.02.24 Leipzig, Naumanns
01.03.24 Berlin, Badehaus

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Stephan Strache

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