ELBOW – Audio Vertigo


Foto-© Universal Music

Now I lay me down to sleep
Take me up to lovers’ leap
Throw my body off the side
There to meet my waiting bride

Shake, shake
Spray our names
Where we land
In your arms forevermore
Take my hand

Now I lay me down to sleep
Take me up to lovers’ leap
Throw my body off the side
There to meet my waiting bride

Shake, shake
Spray our names
Where we land
In your arms forevermore
Take my hand

Hey!

(Elbow – Lovers’ Leap)

Es gibt nur wenige Musiker, bei denen der Begriff “Stadionrock” weitestgehend ohne negativen Beigeschmack auskommt. Vermutlich, weil diese Künstler auch in der ungemütlichsten, anonymsten Betonschüssel jedem einzelnen Zuhörer/Zuschauer das Gefühl geben, ganz speziell für diesen einen Zuhörer/Zuschauer zu spielen und zu singen. Bruce Springsteen ist bekanntlich mit so einer ganz besonderen Stadion-Magie (bei dennoch hoher Songqualität!) gesegnet. Und Elbow sind es ebenfalls – sie füllen die Arenen zwar nur in Großbritannien, dort aber gehören sie zu den Größten ihrer Zunft und haben trotzdem nie die unsäglichen Mainstream-Banalitäten der vergangenen 15 bis 20 Coldplay-Jahre nötig gehabt.

Warum ich das hier vorausschicke? Weil Audio Vertigo, das zehnte Studioalbum von Elbow seit dem Debüt Asleep In The Back (2001), wieder einige Perlen des Stadionrock, also Manna für ein in die Zehntausende gehendes Publikum bereithält. Spätestens mit ihrer Durchbruchplatte The Seldom Seen Kid (2008) sowie den phänomenalen Singles Ground For Divorce und One Day Like This hatten Sänger Guy Garvey und seine vier Mitstreiter aus der Nähe von Manchester Hits, die sich in einem riesigen Kessel glücksseliger Fans wunderbar mitsingen ließen. Jetzt könnten wuchtige, aufmunternde Songs wie Lovers’ Leap oder Balu als Crowdpleaser hinzukommen – auch sie haben das Zeug zur Überwältigung mittels Gefühl und Groove.

“When we got into the theatre in Brighton where we recorded ‘Flying Dream 1’, we’d not seen us for the longest period in our band history”, erinnert sich Garvey (einer der freundlichsten Frontmänner im Pop-Business überhaupt) im Zoom-Interview an die pandemiebedingt reduzierten Aufnahmen zum wunderschönen, für Elbow-Verhältnisse aber ungewohnt ruhigen vorherigen Album (2021). Daher sollte es diesmal anders sein, als man sich in einem Wohnstudio in der romantischen südenglischen Cotswolds-Landschaft traf. “Now there was a little bit of ‘Let’s write something dirty, let’s write something energetic’. We could pepper our set with four or five (songs) of them, without upsetting Elbow purists.” Übersetzt: Vier oder fünf Kracher für die große Bühne sollten hinzukommen.

Zugegeben: Wenn man Flying Dream 1, mit all den wunderbar ätherischen Anklängen an Talk Talk, David Sylvian oder The Blue Nile, zu seinem Elbow-Lieblingsalbum und zu ihrem Meisterwerk erkoren hat, ist der Kurswechsel zunächst nicht ganz leicht mitzuvollziehen. Breitbeinig, fast brachial knallen uns Guy Garvey (Vocals), Craig Potter (Keyboards), Mark Potter (Gitarre), Pete Turner (Bass) und Alex Reeves (Schlagzeug) ihre neue “Dreckigkeit” mit fetten Beats und Gitarrensoli um die Ohren. Auf den noch etwas spröden Opener Things I’ve Been Telling Myself For Years folgt mit Lovers’ Leap aber zum Glück gleich ein Song für die Elbow-Favoriten-Shortlist (inklusive Überraschungs-Break kurz vor Schluss). So lässig waren sie selten, und nicht nur hier zeigt sich die von Garvey zuletzt gern geäußerte Vorliebe für jazzigen, tanzbaren Afrobeat in der Praxis.

Mit dem Studio-Schnipsel (Where Is It?) und Garveys “Cool, cool…”-Kommentaren beweisen Elbow, dass sie sich wohl nie zu verkniffenen Studio-Perfektionisten entwickeln werden. Später wiederholen sie das Experiment noch zweimal. “We’ve always done that, we always had those little snapshots on an album. I’ve always enjoyed that – the process is a part of the art form. I love that kind of thing”, sagt der Sänger und Hauptsongschreiber im Zoom-Gespräch. Danach gehen die fünf Musiker (plus einige Studiogäste) mit weiteren rhythmusorientierten Tracks (Balu, Very Heaven und Her To The Earth) in die Vollen. Hier lässt sich nachvollziehen, warum Garvey so gern den Fun-Faktor von Audio Vertigo betont: “I wanted to have a bit fun with this release. And yeah, it’s fun. It’s fun musically, we had really good fun doing it.”

Der Frontmann – auch auf dieser Platte wieder mit grandioser Gesangsleistung – macht im Interview deutlich, dass die Band den zurückhaltenden Artpop-Vorgänger Flying Dream 1 trotz seiner vergleichsweise bescheidenen Albumcharts-Performance im UK (Platz 7) weiterhin sehr schätzt: “We really love that record, we’re really very proud of it.” Aber nach der Pandemie, die ihrer Musik vor drei Jahren eine schwermütige Zerbrechlichkeit verlieh, sei es nun Zeit gewesen für eine optimistischere, körperbetontere Ausrichtung – auch wenn die ganz große melodische Raffinesse nun seltener aufblitzt: “I wanna listen to music that lifts me up”, sagt Garvey.

The Picture, Knife Fight und Good Blood Mexiko City treiben daher ebenfalls kraftvoll im Stadionrock-Modus voran, ehe Elbow den vielleicht besten Track ihres neuen Albums versöhnlich ans Ende gesetzt haben: From The River hat, obwohl keineswegs zarte Ballade, eine so souveräne, jazzige Sophisticated-Pop-Leichtigkeit, dass dieser altgediente Schreiber glatt an seine 80er-Jahre-Lieblingsband Prefab Sprout denken musste. Ein perfekter Abschluss eines nicht ganz perfekten (weil teilweise etwas unrunden) Albums. Immerhin: Sie wiederholen sich nie, bleiben experimentierfreudig und unberechenbar – keine geringe Leistung für eine so erfolgreiche, massentaugliche Artrock-Formation.

Die nächste Elbow-Platte wird letztlich wohl nicht Flying Dream 2 heißen, um den hauchfeinen Faden von 2021 nochmal aufnehmen, sondern sie könnte eher noch freier mit Grooves und Texturen umgehen. “I’m very excited about where that could go”, verrät der im Interview wirklich unfassbar sympathische Guy Garvey. “I recently heard the Talking Heads’ ‘Cities’ (vom 1980er Album Fear Of Music) – it was on the radio, and it caught my attention so much. This could be a really good start for the next record. The next one, I think, could be a little more frenetic, even more fun, a bit cooler. So, Talking Heads have just got me again.” Wir sind gespannt (schön, dass man das bei einer Band auch nach über 20 Jahren noch sein kann).

Elbow – Audio Vertigo
VÖ: 22. März 2024, Polydor
www.elbow.co.uk
www.facebook.com/Elbow

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Werner Herpell

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