Foto-© Tom Jackson
Got to have love, you’ve got to have love
Got to have love, you’ve got to have love
Light all your candles
Light all your candles for me now
‚cos all your birthdays came at once
And don’t you try to hide
It cannot be denied
I waited far too long
To believe, to believe in the words I once wrote for this song
And you’ve got to have love, you’ve got to have love
Got to have love, you’ve got to have love
Yes you’ve got to have love, you’ve got to have love
Got to have love, you’ve got to have love
Oh-uoh
(Pulp – Got To Have Love)
Die Zündfunk-Interviewerin Amy Zayed fiel im Bayerischen Rundfunk gleich mit der Tür ins Haus: „Jetzt habt ihr dieses tolle Album fertiggemacht. Aber verdammte Hacke: 25 Jahre! (…) Was ist passiert?“ Damit sprach sie wohl allen Fans aus dem Herzen, die rund ein Vierteljahrhundert Wartezeit auf eine neue Platte selbst für die vielleicht beste Nineties-Britpop-Band Pulp etwas zu üppig fanden. Falls man überhaupt noch mit diesem Comeback gerechnet hatte nach all den Solo-Erfolgen und -Extravaganzen von Sänger Jarvis Cocker und dem Tod von Pulp-Bassist Steve Mackey vor zwei Jahren.
Frontmann Cocker, inzwischen 61, erzählte dann in dem BR-Interview etwas von „ganz schlimmer Darmverstopfung“ als Grund, warum man nach We Love Life von 2001 (genau genommen dreiundzwanzigeinhalb Jahre her, aber immerhin) aufgehört habe. „Wir haben 2023 wieder angefangen, zu touren und einen neuen Song während der Soundchecks zu proben. Und den haben wir dann in Sheffield einfach gespielt.“ Dieser von den Nordengländern passenderweise Hymn Of The North betitelte Neustart sei „ganz gut angekommen, und wir hatten Spaß ihn zu spielen. Das war wahrscheinlich die erste Inspiration.“
Keyboarderin Candida Doyle erwies sich überraschenderweise anfangs eher als Bremsklotz. „Dann bin ich misstrauisch geworden und hab Jarvis gefragt: Du willst doch nicht etwa, dass wir ein neues Album machen, oder?“, erzählte sie in dem Rundfunk-Doppelinterview. „Ich war überhaupt nicht überzeugt und dachte: Bitte nicht! Und Jarvis meinte: Ach Quatsch. Ich probiere nur neue Songs aus!“
So ging’s also zunächst mühsam los mit dem – neben Instant Holograms On Metal Film von Stereolab – wichtigsten Pop-Comeback des Jahres. Und was für ein grandioses „Spätwerk“ (darf man das, angesichts des Ü60-Alters mehrerer Bandmitglieder, schon so nennen?) legen uns Pulp mit More nun vor. Wenn die schier endlose Pause notwendig war, um eine so lässige, perfekte Rückkehr auf die große Bühne hinzukriegen, dann bitte sehr!
Spike Island, ein schon vor mehreren Wochen veröffentlichter Album-Teaser, leitet als Opener gleich großformatig in die elfteilige, von Top-Produzent James Ford (Arctic Monkeys, The Last Dinner Party, Fontaines DC) betreute, in nur drei Wochen eingespielte Songsammlung ein. Und ist zwar der erste Track von More, quasi das Aushängeschild, aber noch nicht einmal der stärkste.
Bei dieser Gelegenheit ein persönliches Bekenntnis: Die meisten Pulp-Fans setzen aus dem Katalog dieser Band ganz automatisch Different Class (1995) mit Hits wie Common People oder Disco 2000 auf die Eins – dieser Reviewer hatte es hingegen immer mehr mit This Is Hardcore (1998), dem schattigeren, schwüleren, geheimnisvolleren Nachfolger. Und in diese Richtung, nur noch weiter gereift und noch souveräner, geht nun auch More. Ein Album für die dunkleren Stunden des Tages, mit atemberaubenden, hypnotischen, opulenten Arrangements, einem entfesselten Sänger – stilistisch irgendwo zwischen dem Soul der Sixties/Seventies (Slow Jam, Got To Have Love), dem orchestralen Pop des jungen Scott Walker (Tina, Partial Eclipse) und den Musicals von Steven Sondheim (Hymn Of The North, A Sunset).
Und da haben wir über Cockers wie immer extravagante, clevere Lyrics noch gar nicht gesprochen, die sich, 27 Jahre nach dem zwischen Ironie und Empathie schwankenden Hardcore-Song Help The Aged, mit dem Älterwerden befassen (in Grown-Ups), oder auch mit einer neuen Liebesbeziehung. Farmers Market beginnt mit den Worten „That was a good year…“ und endet mit „Ain’t it time we start a living“ – laut dem wieder frisch verheirateten Jarvis Cocker „ein Lovesong, ein Lied über ein späteres Leben“.
Früher hatte der Songwriter die Texte stets am Ende verfasst – eine stressige Herangehensweise für alle, wie sein Label Rough Trade einräumt. Diesmal begann es anders: „Ich dachte, nun, jetzt bist du in deinen Sechzigern. Ich sollte zumindest einmal ausprobieren, die Lyrics vorab zu schreiben“, so Cocker. „Ich kramte also meine Notizbücher und die Skizzen auf meinem Telefon hervor, so wie immer, wenn es daran geht, ein neues Album zu machen. Ich schaute mir an, was ich im Verlaufe der Zeit geschrieben hatte, um zu sehen, ob etwas dabei wäre, was Sinn ergibt, etwas Gutes.”
Man mag es angesichts der Qualität von More kaum glauben, aber Cocker, Doyle, Mark Webber (Gitarre) und Nick Banks (Schlagzeug) von der langjährigen offiziellen Pulp-Besetzung hatten tatsächlich zunächst Zweifel. „Unsere Managerin meinte: Ich höre es mir am Wochenende an und sage euch, ob es sinnvoll ist, ein neues Album zu machen. Das war das längste Wochenende meines Lebens“, sagte der Sänger im BR-Interview. „Weil man sich nicht vorstellen kann, dass es wirklich gut genug ist. Oft redet man sich ein, etwas sei gut, auch wenn es einfach nicht gut ist.“
„Ich versuche noch zu verstehen, warum genau wir beschlossen, dass es die richtige Idee sei, eine Platte zu machen“, grübelt der Pop-Intellektuelle Jarvis Cocker weiterhin vor sich hin. „Es hatte zum Teil sicher mit Steves Tod zu tun.“ Der Pulp-Bassmann von 1988 bis 2013 war im Frühling 2023 gestorben, und auch wenn er sich entschieden hatte, kein Teil der zweiten Reunion-Tour zu sein, blieb sein Einfluss auf die Band und ihre Musik ungebrochen. „Auch meine Mutter ist Anfang letzten Jahres gestorben“, sagt der Sänger jetzt. „Wenn Leute, die dir so nahestehen, gehen, dann wird dir klar, dass du selbst immer noch am Leben bist. Und dass du weiter die Möglichkeit hast, etwas zu erschaffen.“
Im Fall von More: etwas ganz Großes.
Pulp – More
VÖ: 06. Juni 2025, Rough Trade Records
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