GOGO PENGUIN – GoGo Penguin

GoGoPenguin © Jon Shard

GoGo Penguin - GoGo Penguin Cover
Foto-Credit © Jon Shard

Unermüdlich haben GoGo Penguin seit ihrem Debüt von 2012 Lorbeeren und Vergleiche eingeheimst, ganz nebenbei das für großmäulige Britrocker und narzisstische Aluhüte bekannte Manchester auf die Jazz-Landkarte gesetzt, 2015 beim heiligen Label Blue Note unterschrieben und waren zuletzt mit einem Live-Soundtrack für den Experimentalfilm Koyaanisqatsi (1983) unterwegs. Was fehlt da noch in der prallen Diskografie der Mercury-Prize-Nominierten Chris Illingworth (Piano), Nick Blacka (Bass) und Rob Turner (Drums)? Ein Live-Album! Schließlich wäre nach umwerfenden Konzerten (wörtlich zu verstehen, denn das liebste Adjektiv dieser Review lautet wuchtig) jetzt Zeit, einen Einblick in die Energien zu geben, die das britische Trio regelmäßig auf der Bühne entfesselt – und währenddessen mal durchzuatmen.

Falsch gedacht, denn stattdessen sind die drei für das selbstbewusste, schlicht selbstbetitelte Album bereits zum fünften Mal im Studio eingekehrt. Die lads arbeiten Jazz: im Intro rumpeln erst verfremdete Feldaufnahmen unter schweren Klavierakkorden, bevor Atomised das gewohnte Betriebstempo aufnimmt. Perlende Arpeggios, ein knurrend oszillierender Bass und Drums, die nach Tight! klingende Stoßseufzer provozieren, erinnern sofort daran, dass die Combo in jungen Jahren in den vielbeschworenen Kessel DnB gefallen sein muss.

Arbeitsteilung dient hier nicht der Effizienz, sondern macht den Sound der Gruppe aus: während Blacka und Turner ihrem Pianisten die nötige Erdung verschaffen, ist Illingworth mit einem Arsenal aus Reverb und Delays im Verlauf der letzten Alben längst in andere Sphären enteilt. Dass die drei im vergangenen Jahr für das ursprünglich vom großen Minimalisten Philip Glass untermalte Koyaanisqatsi gemeinsam einen neuen Soundtrack einspielten, kommt nicht von ungefähr: die schier endlosen Läufe, Fundament und Verzierung zugleich, ihre hypnotischen Wiederholungen und – bei vermeintlich minimalem Aufwand – die große Geste, in der alles kulminiert, verbinden den Altmeister und den klassisch ausgebildeten Jazzer.

Wobei weder „klassisch“ und nicht mal „Jazz“ jemals die Kategorien waren, denen GoGo Penguin folgen wollten. Da wird mit Kora, das sich einem prepared piano bedient, das zappelnde Kind eines Aphex Twin ins Bett gebracht und sanft zugedeckt oder mit Open ein frickeliger Dance-Track mitsamt spukendem Kontrabass hingelegt. Wem das nach Zerre-Gewittern und abrupten Laut-Leise-Wechseln immer noch nicht klar sein sollte: Ruhepausen gibt es auf diesem Album nur, um wie in Totem doppelt so laut loszulegen.

Doch nicht immer reicht die ehrliche Wucht von Blacka und Turner aus, wenn die hallgesättigten Klavierläufe wie in F Maj Pixie ins Phrasenhafte abdrehen. So sehr sich die Kombination von Erdung und Höhenflug auch für den Songaufbau bewährt hat, läuft das Trio in Gefahr, die Wiederholung vollends zum Programm zu erheben. Ein kraftstrotzender Auftakt nach dem anderen verschwimmt zur Albummitte hin im Immergleichen, während Innovationen in Sound und Dynamik oft erst im letzten Songdrittel zu finden sind. To the Nth oder Embers strotzen vor Kraft und erreichen trotzdem weder die Vehemenz eines Garden Dog Barbecue (2014) noch die entschiedene Ruhe von Unconditional (2012).

Höchste Zeit also, an der bequemen Mittelposition, die die mit dem mehrdeutigen Titel „Radiohead des Jazz“ geadelte Band hier einnimmt, mit der fiesen Frage zu rütteln, wann bitte die Wandlung à la OK Computer kommt. Dass das Trio das Potenzial für so eine Neuerfindung besitzt, steht auch nach ihrem fünften Album nicht zur Diskussion – dafür machen GoGo Penguin immer noch zu viel richtig. Solange kein Live-Album in Sicht ist, darf man sich also umso mehr darauf freuen, die neuen Songs möglichst bald live genießen zu dürfen.

GoGo Penguin – GoGo Penguin
VÖ 12.06.2020, Blue Note Records
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Tour:

28. September 2020 – Berlin, Festsaal Kreuzberg
29. September 2020 – Hamburg, Fabrik
04. Oktober 2020 – Mainz, Frankfurter Hof

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