SARAH WALK – Another Me

Sarah Walk © Daniel Smith Coleman

Sarah Walk - Another Me
Foto-Credit © Daniel Smith Coleman

I’ve got my feelings, they don’t got me
You box them in and I set them free
You hold the lock, but I’ve got the key

(The Key Sarah Walk)

Sarah Walks zweites Album Another Me beginnt mit einer Textzeile, die das Thema der gesamten Platte definieren soll: Nothing’s hurt me more than men / That grew up with no consequences / Why is it my job to fix this mess?” Nach ihrem 2017er Debüt Little Black Book, das vor allem durch die ruhigen Pianostücke im Gedächtnis blieb, erschien am 28. August die Nachfolgerin bei One Little Independent Records. Für Walk, die in Los Angeles lebt, ist Another Me ein Album der Selbstermächtigung. Sie verarbeitet das Gefühl des Ausgeliefertseins an patriarchische Strukturen und dass ihr Bild von sich selbst oft bestimmt wurde vom Blick (meist heterosexueller) Männer auf sie als queere Frau. Außerdem ist die Platte in intimes Portrait ihrer Kämpfe mit Prokrastination und mentaler Gesundheit. Dabei klingen die elf neuen Tracks teilweise düster, teilweise poppig, aber in jedem Fall vielschichtig. Auch die charakteristischen Pianomelodien sind wiederzufinden. Während sie Another Me schrieb, erlebte Walk oft überwältigende Gefühle von Angst oder Depression, die sie und der Produzent Leo Abrahams (David Byrne, Regina Spektor) bei der Produktion auf wunderbare Weise heraufbeschwören. Dabei wird die Platte aber nie aggressiv, sondern klingt bestimmt, aber sanft.

Der Openingtrack Unravel gehört mit seinem eindringlichen, fast gesprochenen Anfang zu den stärksten Songs der Platte. Walk arbeitet hier hauptsächlich mit ihrer Stimme vor schlichter, aber eindringlicher Klangkulisse. Auch The Key hat diese Kraft. Percussion und die Synthesizerbässe verbinden sich mit Walks rhythmischem Gesang zu etwas bedrohlich Einfangendem, dem man sich schwer entziehen kann. Und wieder geht es um die Ermächtigung des Negativen: I’ve got my feelings, but they don’t got me. Crazy Still und Same Road sind weitere Highlights des Albums. Hier wird es emotional. Bei same road berichtet von der Phase des Verliebtseins, in der sich die ganze Welt einfach nur schön anfühlt. Im Kontrast dazu thematisiert crazy still eine Liebe, die von Niederlage und Trauer geprägt ist und doch nicht überwunden werden kann. Beide haben nur eine zarte Klavierbegleitung und echtes Tränenpotential. Die Single Nobody Knows steht für die Selbstzweifel und lähmende Prokrastination während des Schreibprozesses. Indem Walk genau darüber schreibt, nimmt sie der Lähmung ihre Macht. Musikalisch bleibt besonders das spritzige Schlagzeug im Ohr. So wie unravel den Ton für das Album gleich zu Beginn setzt, ist der vorletzte Song Flowers Grow die Zusammenfassung des grundlegenden Motive Tod und Wiedergeburt – und man hört Walk sogar beatboxen. Nach dem letzten Song No Good Way To Say Goodbye erwischt man sich, wie man die Repeattaste drückt und noch einmal von vorn beginnt.

Die Songs auf Another Me sind eine selbstreflektive Reise durch eine Zeit voller persönlicher Umbrüche, Marginalisierung, Überleben, Tod, Frauenfeindlichkeit und Verletzlichkeit. Dabei ist es beeindruckend, wie Walk es schafft, diese Themen für sich einzunehmen und Kraft in der Benennung und Konfrontation zu finden. Sie schafft es wie wenige KünstlerInnen die Aufmerksam auf jedes Wort der Lyrics zu lenken und gleichzeitig die Musik die Emotionen übernehmen zu lassen. Herausgekommen ist ein Album, das ungewöhnlich klar seine Geschichte erzählt. Ein Stück wunderbares und vielschichtiges Songwriting — der perfekte Soundtrack für den Herbst.

Sarah Walk – Another Me
VÖ: 28. August 2020, One Little Independent Records
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