SON LUX – Tomorrows II

Son Lux © Djeneba Aduayom

Son Lux - Tomorrows II Album Art
Foto-Credit © Djeneba Aduayom

“I’m beautiful but I’m dying
Ice weeping into sea
Silently at first, now it’s screaming out of me
Oh, I can bleed right here
And leave a crimson smear on you
Won’t live another’s life
I won’t live another’s life”

(Son Lux – Live Another Life)

Son Lux haben ihr Versprechen gehalten. Auf das im August veröffentlichte Tomorrows I, Auftakt einer ganzen Albumtrilogie, folgt nun Teil Zwei aus den Händen Ryan Lotts und seinem zum Trio angewachsenen Projekt. Ein so groß angelegtes Werk, beinahe waghalsig im Zeitalter der Streaming-Klicks – ist das etwa die Rückkehr des Album-Formats? Von wegen! Son Lux sind da längst eine Ecke weiter. Schließlich ist unter den Erzählformen ja auch, analog zur dahinsiechenden Langspielplatte, nicht der Kinofilm oder etwa der Roman das Maß aller Dinge – sondern die Fernsehserie. Überzeugen Lott, Gitarrist Rafiq Bhatia und Schlagzeuger Ian Chang also auch als Drehbuchautoren? Vorhang auf für Tomorrows, Staffel 2!

(Wir schieben schnell noch einen obligatorische Recap für uns konsumgeschädigte HörerInnen ein, die bei aller Hingabe keine Zeit für die 38 Minuten von Tomorrows I haben. In schneller Schnittfolge: der bombastische Gestus früherer Alben, zerlegt in seine Einzelteile. Lotts leidenden Gesang: „Forgive yourself / This is a fast life / This could be the last light.” Klagen vom Scheitern, Zerbrechen, Klarkommen. Okay, alle halbwegs wieder mit dabei?)

Wo der Vorgänger aufhörte, setzt Tomorrows II nun nahtlos mit der getragenen Klavierballade Warning an, nur um sich mit Molecules abermals ins Flackern der Polyrhythmen zu stürzen: „I dance until the bullets fly“. Statt dem großen Knall folgt der erste dramaturgische Kniff: Prophecy nimmt einen jazzigen Groove aus Staffel 1 wieder auf und überführt den Handlungsfaden in eine raffinierte Mischung aus Lotts ohnehin zerbrechlichen, hier beinahe heiserem Falsett und Schichten warmer Gospelchöre. „Then you silenced all your reverie / To bury prophecy / It’s time to raise the dead / It’s time to lift your head and begin / To listen to yourself” lautet nun die überraschend frohe Botschaft. Es bleibt nicht der einzige Verweis, der den Dreiteiler-Gedanken unterstreicht – auch Into Wind bekommt mit Out Of Wind sein Pendant gegenübergestellt. So flüssig das alles zusammenpasst, sträubt sich das Alben glücklicherweise gegen Ansätze zum Binge-Konsum. Die Klangexperimente – traut man einmal seinen Ohren, kann der ganze Song auch schon wieder kippen – suchen stets den Beatlesschen ADayInTheLife-Moment, wenn sich plötzlich das Orchester quer durch die Pop-Ballade bis an die Grenzen der Zugänglichkeit sägt.

Man kann zurückschrecken, wenn etwa Bodies die im Vorgänger versprochene Selbstdekonstruktion und damit Hörgewohnheiten ausreizt. Aber ebenso wenig kann man bestreiten, dass Son Lux geschickt immer wieder Ruhepausen und Ankerpunkte einsetzen, die ihren HörerInnen den (Wieder-)Einstieg ermöglichen. Mal ist das ein stoisch wiederholter Klavierakkord im Zucken der Drums, mal eine blütenreine Pop-Hook: „If it’s not love enough – Go live another life“ heißt es also im Staffelfinale, das die lang erwartete Hymne Live Another Life bereithält. Es ist eine zerbrechliche, angeschlagene Krönung. Nichts ist mehr übrig, was hier noch majestätisch niedergewalzt werden könnte. „I’ve broken so much that I can heal“ hat Lott zuvor bereits auf Apart verkündet und zieht den Schluss, auf den Tomorrows II immer wieder zurückkommt und den Son Lux mit ihrem leiseren, zarten Sound vormachen: “Maybe I need to become someone else” – sich selbst neuerfinden. Gegen jeden Determinismus werden Lott und Co. nicht müde, uns in Sound und Wort die Möglichkeiten vieler verschiedener Morgen vor Augen zu halten. Sie haben ihre noch immer nicht ganz ausgeschöpft: Tomorrows III wird im Frühjahr die fulminante Reihe abschließen.

Son Lux – Tomorrows II
VÖ: 04. Dezember 2020,
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