PHILIPP POISEL – Interview

Foto-© Sophie Seybold

Philipp Poisel und seine so wunderbar nahbare Art, die gefühlvolle, rohe Musik und Lyrik nicht gern zu haben ist eigentlich nicht möglich. Gerade erst zurückgekehrt von einer Reihe Sommerkonzerte und gar nicht mehr weit bis zur Veröffentlichung seines neuen Albums Neon, trafen wir uns online auf ein Gespräch über die neue Musik und stellten fest, dass der Mann tatsächlich genau so warm und menschlich ist, wie seine Liveauftritte vermuten lassen:

Es ist wundervoll Dich hier via online zu treffen, freut mich sehr. Danke dass Du Dir die Zeit nimmst! Wo befindest Du dich gerade?
Schön Dich zu treffen. Ich bin zu Hause im Moment.

Du hast gerade eine ganze Reihe von Sommerkonzerten gespielt. Musst du ins live spielen erst wieder reinkommen?
Ja schon. Der Respekt ist erstmal groß, aber nach einem Tag ist alles wie weggepustet. Man ist schnell wieder drin und muss eher aufpassen, dass man nicht so sehr drin ist und alles zu einer Routine wird. Sondern dass man jeden Abend aufs Neue offen bleibt für alle und alles.

Gibt es eine Tour-Anekdote, irgendeinen liebsten oder besonderen Moment der letzten Konzerte?
In Anbetracht der Pandemie kommt mir gerade alles total besonders vor. Wir hatten zum Beispiel einen freien Tag in Hamburg und sind als Band durch den Stadtpark gelaufen und konnten zum ersten Mal seit langem wieder das Gefühl haben auf Tour zu sein. Ich habe eine Radtour gemacht mit meinem Gitarrist. Voll unspektakulär aber einfach gut. Und ansonsten hat der Regen natürlich voll reingehauen – bei der nächsten August-Tour werde ich daran denken Gummistiefel einzupacken..

Eine neu erlangte Wertschätzung für die kleinen Dinge des Lebens?
Total, wobei sich das gar nicht so klein angefühlt hat, weil so lange einfach nichts passiert ist.

Neon steht in den Startlöchern. Kannst Du beschreiben, welche Bedeutung das Album für Dich hat?
Mir selber fällt das total schwer, weil ich jetzt das Gefühl habe alles gesagt zu haben. Und für mich gibt es jetzt quasi nichts mehr mitzureden. Ich habe sozusagen alles was meine Aufgabe war in das Projekt gepackt und jetzt gehört es nicht mehr mir, sondern jetzt ist es auf der Welt. In dem Moment verabschiede ich mich von einem Album und versuche wieder neu dranzugehen und mich, z.B. wenn ich live spiele, nicht davon beeinflussen zu lassen, was ich eigentlich gemacht habe. Um auch eine neue Freiheit zu kreieren und das Album Album sein zu lassen.

Total spannend.. Wenn es darum geht die Songs live zu spielen, hast du dann das Gefühl das Album selbst neu zu entdecken?
Ich versuche dann zu schauen was davon noch da ist, was ich schon losgelassen habe und versuche die Songs so zu interpretieren, wie ich mich in dem Moment fühle.

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Ich denke ich zitiere dich, wenn ich das Wort Reinversinken nutze. Reinversinken in Erinnerungen und in die Zukunft, das klang so schön. Meinst du die Pandemie hat einen Impuls dazu gegeben?
Das war natürlich schon etwas womit ich nie gerechnet hätte. Dass in meinem Leben mal so etwas passiert.. Es hat mir Halt gegeben an einem Ziel zu arbeiten, das über die Pandemie hinausgeht. Dieses Album zu haben und sich Fragen, wie, ob ein Konzert nun stattfindet oder nicht, gar nicht stellen zu müssen. Für mich war das Arbeiten am Album auch eine Gelegenheit von der Pandemie eine Pause zu haben. Klar in meinem Alltag hat mich das schon beschäftigt und auch Überlegungen wie die Tourneen in der Zukunft sein würden. Aber auch da hatte ich das Gefühl, dass ich gar nichts dran ändern kann. Und alles, was ich machen kann ist eine andere Einstellung zu bekommen und dem Album Raum zu geben. Gute Frage…ich muss da glaube ich auch noch ein bisschen drüber nachdenken, wie arg das Album eigentlich zusammenhängt mit der Pandemie. Die Frage habe ich mir noch gar nicht so sehr gestellt.

Es ist ja auch eine ziemlich große Frage und hängt mit so vielem zusammen. Wie Du sagst, die Situation war so ungewohnt und neu für uns alle. Und dieses Ausmaß an Kontrollverlust haben wir kollektiv auf diese Art auch noch nicht erlebt. Wahrscheinlich könnten wir noch ein paar Stunden darüber philosophieren..
Ich glaube auch, dass diese Zeit uns alle sehr prägen wird, auch wenn wir noch gar nicht so richtig wissen wie.

Zurück zum Album. Wann ist im Entstehungsprozess der Punkt an dem du die Band involvierst?
Unterschiedlich, weil es ein wirklich dynamischer Prozess ist. Es gibt oft Gedanken, die ich habe wenn ich ganz alleine bin. Dann mache ich mir ein paar Notizen und damit fangen wir an. Manches von dem was ich mir vorgestellt habe wie es wird landet dann auch auf dem Album. Und dann kommt eben auch noch viel anderes dazu. Was die Band mit reinbringt und wo ich mir vorher gar nicht unbedingt vorstellen konnte wie es wird. Es ist ineinander verwoben und manchmal gar nicht nachvollziehbar, wer am Ende was gemacht hat. Irgendwie ist man auf einem anderen Level und die Grenzen lösen sich auf. Manchmal macht auch jeder für sich und trotzdem schafft man zusammen was, was viel größer ist als man selber. Was wir natürlich schon machen ist zu entscheiden welche Tracks aufs Album kommen und wie sich alles rund anfühlt oder was sich ergänzt.

Alle Musik fängt also mit den Texten an?
Es fängt schon meistens mit einem Textfragment an. Aber dann ist es so, dass jemand was dazu spielt und daraufhin dann der Text weitergeht. Es ist so schwierig zu beschreiben, was eigentlich genau passiert und man hat es auch nicht unbedingt immer in der Hand und ich glaube, das ist auch das verrückte daran. Dass man das alles gar nicht so richtig verstehen kann.

Vielleicht klingt es deshalb so magisch…
Ich glaube schon, dass es gut ist einen Rahmen zu haben und dann muss man sich eben überraschen lassen.

In Deinem Pressestatement ist auch vom Medium Fantasie die Rede…Du schaffst, das in Worte zu verpacken, was viele nicht ausdrücken können. Wann hast du die Sprache bzw. das Liederschreiben zum Ausdruck des Mediums Fantasie für Dich entdeckt?
Das geht ganz weit zurück. Als ich relativ klein war hatte ich eine Art Tagebuch, da habe ich immer nach der Schule alles mögliche in mein Aufnahmegerät gebrabbelt. Für mich ist der Ton und das Sprechen auch relativ wichtig. Es gibt ja Leute, die schreiben und wenn die den Stift in die Hand nehmen sprudeln die Dinge; bei mir kommt das eher über die Stimme. Deshalb war das Aufnahmegerät immer so wichtig für mich und dann ist das Singen ja vielleicht auch gar nicht so weit entfernt davon.

Wie spannend. Und auf diese Art und Weise können Emotionen vielleicht ein bisschen intensiver erfasst werden?
Ja und für mich hat das auch etwas mit sich selber wahrnehmen zu tun. Wir hatten früher ein Treppenhaus und dort klang alles klar und man konnte sich selber gut wahrnehmen. Vor allem wenn keiner zu Hause war und zuhören konnte.

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Die ersten Singles Was von uns bleibt, Wunder und Alt und grau sind bereits erschienen. Wieso diese?
Naja die Promo mache ja nicht ich und wahrscheinlich nimmt man eher die Songs von denen man sich verspricht, dass sie auch mal im Radio kommen. Es ist mir tatsächlich egal bzw. bin ich froh, dass es jemand gibt, der diese Entscheidungen trifft und sie mir abnimmt und ich diese Reihenfolge gar nicht selber bestimmen muss. Ich überlege mir Dinge, wie wozu ich auch gerne ein Video machen würde und das sind dann Songs, die man auch als Single auskoppelt.

Gibt es ein Lied auf dem Album, das für dich extra besonders ist?
Je nach Stimmungslage.. Ich bin eigentlich total froh, dass die Lieder so unterschiedlich sind und für jede Stimmungslage was dabei ist, auch wenn das jetzt ein bisschen doof klingt. Das Glück der anderen Leute ist zum Beispiel so ein Song, der für mich ganz krass polarisiert. Manchmal fühle ich mich total so, manchmal gar nicht und…wie soll ich sagen, manchmal habe ich keinen Zugang zu diesem Song und das zeigt mir dann aber auch über mich, dass es Momente gibt, an die ich manchmal gar nicht rankomme auch wenn sie manchmal da sind. Auge des Sturms finde ich total schön für mich anzuhören, weil der so atmosphärisch ist. Wie ich vorher gesagt habe, für mich ist das Album jetzt so abgeschlossen und ich freue mich dann eher darauf live dann das machen zu können, worauf ich im Moment Lust habe.

Wie sieht in den aktuellen turbulenten Zeiten ein Tag für dich aus, der am Ende ein warmes, zufriedenes Gefühl hinterlässt?
Gerade wäre es schön mal einen Tag lang niemanden zu sehen. Vor der Tour hatte ich ein krasses Bedürfnis nach Leuten und dann wird’s mir schnell auch ein bisschen viel. Auf Tour lösen sich schnell die Grenzen, im Bus gibt’s nur Vorhänge und keine Tür. Irgendwas dazwischen wäre irgendwie gut und ich glaube, ich kann mich gut in Balance bringen, wenn ich nach einer Tour einfach mal Zeit für mich selber habe. Eine gute Mischung aus Zeit mit anderen verbringen und Raum für sich selbst haben um in Kontakt mit sich kommen zu können.

Klingt ziemlich intensiv, von einem Extrem ins andere zu schwenken.
Ja und gerade habe ich eher das Bedürfnis nach Pause und danach dann eine gute Mischung dazwischen, das wäre ganz cool. Um die Frage also zu beantworten, was für ein Tag schön wäre. Einer, an dem ich andere Leute treffen kann und auch Zeit für mich selber habe und ein bisschen warme Luft wäre schön nach all diesen verregneten Tagen.

Du wurdest vor Jahren bei einer Bewerbung zum Musiklehrer abgelehnt. Wie ist es für dich daran zurückzudenken und zu sehen, wo du jetzt bist?
Im Nachhinein bin ich eigentlich ganz froh, dass ich so viel von der Struktur um mich herum so einteilen kann wie ich es möchte. Ich hoffe aber trotzdem, dass ich Kontakt zu anderen Leuten herstelle mit dem, was ich mache. Also vielleicht ist es einfach gut, dass ich jetzt Musik machen kann.

Ich glaube einige Leute sind ganz schön dankbar dafür! Du berührst wahnsinnig viele Menschen mit deiner so wunderbar ins Herz schießenden Musik. Was macht das eigentlich mit Dir, wenn du weißt, dass deine Lieder den Soundtrack zu vielen emotionalen Momenten stellen?
Das ist irgendwie zu heftig, als das ich mir darüber Gedanken machen könnte. Wenn ich ein Album mache, habe ich eine unheimlich intensive Zeit und dann wird das verpackt und weitergegeben und ich lebe dann auf meine Art damit weiter.

Ist das beinahe eine Art Abgrenzen?
Ja vielleicht. Es ist eine verrückte Sache, weil man hat vielleicht eine seelische Connection, die aber unabhängig…oh das ist so schwer zu sagen. Also manchmal war es einfach unglaublich wichtig für mich ein Feedback zu bekommen. Manchmal habe ich auch gar nicht das Gefühl, dass das, was ich mache einen Wert hat, und wenn dann jemand kommt und mir das Gefühl vermittelt, das, was ich mache, zu mögen, dann macht das schon was mit mir. Grundsätzlich ist es aber nicht so leicht für mich damit umzugehen.

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Sophia Kahlenberg

Sophia, 29. Fotografin. Dann kam das Schreiben. Verspürt starkes Herzklopfen beim Wort ‚Australien‘. Aber Berlin ist auch ok.

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