DAS WUNDERSAME LEBEN DES LOUIS WAIN – Filmkritik


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What´s going on in that funny little head of yours?

(Emily Richardson – Das wundersame Leben des Louis Wain)

Großbritannien, Ende des 19. Jahrhunderts. Als einziges männliches Familienmitglied muss Louis Wain (Benedict Cumberbatch) seine verwitwete Mutter und seine fünf Schwestern versorgen. Dies versucht der verschrobene Einzelgänger mit Gelegenheitsjobs, da er sich selbst als einen Virtuosen in zahlreichen unterschiedlichen Bereichen sieht. Er schreibt Opern, boxt, verfasst wissenschaftliche Thesen und versucht dabei nicht nur seinen Körper, sondern auch seinen Geist in Bewegung zu halten.

Als die Gouvernante Emily Richardson (Claire Foy) seine jüngeren Schwestern unterrichten soll, willigt er zu einer Festeinstellung als Illustrator für die Illustrated London News ein, um das Gehalt der für ihn so faszinierenden Frau aufbringen zu können. Dies zahlt sich nicht nur für ihn aus, denn die Faszination beruht auf Gegenseitigkeit und die beiden finden, trotz Widerstand und Unverständnis vor allem von Seiten seiner Familie, nach unzähligen schüchternen Annäherungsversuchen schließlich auch zueinander. Und aus dieser von der Gesellschaft kritisierten Verbindung wird der Grundstein für den weiteren Lebensweg von Louis Wain, seinem Schaffenswerk und der Wahrnehmung von Katzen innerhalb der anglosphärischen Gesellschaft.

Louis Wain (1860 – 1939) war ein britischer Künstler, der über die Jahre hinweg in Vergessenheit geriet, seine Werke und insbesondere die Auswirkungen dieser sind jedoch bis in die heutige Zeit spürbar. Ohne seine besondere Darstellung von Katzen hätten unzählige Katzen-Memes wahrscheinlich nie die Beliebtheit erfahren, die sie noch heute genießen. Das Bild von Katzen wurde durch seine hauptsächlich humoristischen und vor allem vermenschlichten Versionen der Vierbeiner in der angloamerikanischen Gesellschaft geprägt und Katzen aus dem untersten Stand der Nutztiere in die Heime und Herzen zahlreicher Menschen gehoben.

Die Filmbiographie Das wundersame Leben des Louis Wain erzählt, wie bereits der Titel verrät, von dem Leben, aber auch der Liebe und dem Leiden des exzentrischen Louis Wain – und das auf wundersame Weise. Bereits ab der ersten Szene wird der Zuschauer in die Welt Louis Wains hineingezogen und fühlt sich anfangs etwas orientierungslos, ob der recht zügigen Erzählweise und den farbenfrohen Szenenbildern für einen Film, der mit einer Beerdigung im viktorianischen England beginnt. Die Faszination nimmt jedoch mit jeder weiteren Minute, die dem Zuschauer den Menschen Louis Wain näherbringt, zu. Denn Stück für Stück wird ersichtlich, dass im Film keine allwissende Erzählperspektive eingenommen wird, sondern eine äußerst personale Perspektive auf darstellerischer Ebene gezeigt wird. Der Zuschauer nimmt die Welt so wahr wie sie auch Louis Wain wahrnimmt und auch wie er sie sieht und das mitunter auf eine surrealistische Art und Weise.

Über weite Strecken gleichen einzelne Szenen Gemälden aus unterschiedlichen Epochen und sind in unterschiedlichen Stilen gehalten. In Kombination mit dem Talent von Benedict Cumberbatch, der prädestiniert dafür ist besonders liebenswerte und gleichzeitig besonders verschrobene Charaktere zu spielen, werden zahlreiche Gefühle vermittelt, die keiner wortgewandten Umschreibung bedürfen. Die Verbindung Louis Wains zu Emily Richardson wurde zur damaligen Zeit als so skandalös betrachtet, weil diese nicht bloß einem anderen Stand angehörte (sie war eine „einfache“ Gouvernante, er ein Gentleman), sondern, weil Emily zehn Jahre älter war als Louis. Claire Foy, die Emily Richardson mit einer ausgewählten spleenigen Leichtigkeit spielt, ist tatsächlich acht Jahre jünger als Benedict Cumberbatch und wird nicht älter dargestellt als sie im wahren Leben ist, denn für Louis Wain war seine Emily die liebreizendste Frau der Welt und so sah er sie und somit sehen sie auch die Zuschauer diesen jugendhaften Liebreiz.

Der Film beschreibt nicht bloß, sondern zeichnet Szene für Szene, wie Emily und das gemeinsame Leben mit ihr und ihrem adoptierten Kater Peter Louis Wain die Inspiration gegeben haben, die Kunst zu erschaffen, die nicht nur ihn in seinem weiteren Leben begleitet hat. Zuweilen ist eine der besonderen Botschaften, die der Film vermitteln möchte, die Quellen der Inspiration und die individuelle Findung dieser. Jeder Mensch muss seine eigene Inspiration finden und das zur gegebenen Zeit. Dabei ist es nicht verwerflich, dass es bei manchen länger dauert als bei anderen.

Bedauerlicherweise ist die Inspiration des Filmes ab der zweiten Hälfte der Laufzeit aufgebraucht und er verliert etwas an Kreativität und wirkt leicht repetitiv, da er ein ernstes Thema ansprechen, jedoch nicht vollends erörtern möchte. Was der all umfassenden und besonders für Fans von romantischen Literaturverfilmungen wichtigsten Botschaft des Filmes jedoch nichts abtut: sich selbst treu bleiben. Louis Wain hat seine außergewöhnlichen Talente und ungewöhnlichen Hobbies niemals versteckt und auch nie Angst davor gehabt, was andere Menschen von ihm denken könnten, denn alles, was ihn ausgemacht hat, hat die Menschen (und Katzen), die er über alles geliebt hat, in sein Leben gebracht und ihn glücklich gemacht. So ist eine der Schlüsselszenen, die die Gefühlswelt der Figuren und die künstlerische Eigenart des Films in einem vereint und den Film, vielleicht nicht unbedingt das Leben des Louis Wain, als Ganzes zusammenfasst, eine so ruhige und bedacht gewählte Darstellung von Liebe, die wie ein impressionistisches Ölgemälde wirkt und das Gefühl vermittelt, das auch Louis und Emily verspüren, wenn sie einander anblicken: Geborgenheit und die Gewissheit geliebt und verstanden zu werden. Und dieses Gefühl möchte nicht bloß der Film all jenen geben, die ab und an an sich und ihren Träumen zweifeln, sondern auch gerne selbst erfahren. Denn wie einst William Shakespeare (der selbst eine acht Jahre ältere Frau ehelichte) in, dem im Film oft rezitierten Stück, The Tempest schrieb: „Wir sind der Stoff, aus dem Träume entstehen.“

Wer mit Benedict Cumberbatch in eine malerische Traumwelt, und ob seiner erneuten Darstellung eines schrulligen und faszinierenden Charakters nicht überdrüssig ist, eintauchen möchte, sollte diesen spleenigen Film nicht verpassen und ihn am besten gemeinsam mit der liebreizendsten Person in seinem/ihrem Leben genießen.

The Electrical Life of Louis Wain (UK 2021)
Regie: Will Sharpe
Darsteller: Benedict Cumberbatch, Claire Foy, Andrea Riseborough, Toby Jones
Kinostart: 21. April 2022, STUDIOCANAL

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Helena Barth

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