VORTEX – Filmkritik


Foto-© Rapid Eye Movies

Je veux pas laisser cette maison qui nous avons passtout notre vie, qui contienne tous notre passé.

(Er – Vortex)

Ein altes Paar lebt in ihrer großzügigen Pariser Wohnung. Jeder Quadratzentimeter ist belegt mit den Spuren zweier langer Leben, vor allem aber mit seinen Büchern, Zeitungen und Zeitschriften. Die Wände hängen voller Kunst und Filmpostern. Er arbeitet an einem Buch über Filme und Träume und sie kämpft mit ihrer Demenz. Daher erfahren wir auch nie etwas über sie. Und so entfalten sich langsam Eindrücke aus den letzten Tagen zweier Leben.

Regisseur Gaspar Noé konzipierte Vortex als COVID-Lockdown-Projekt, um ihn nur etwas mehr als 5 Monate nach der ersten Idee beim Cannes Film Festival einzureichen. Die kurze Produktion merkt man dem Film jedoch leider an. Die Idee zum Splitscreen kam Noé erst am dritten Drehtag. Man muss damit leben, dass es nicht in jeder Szene funktioniert und es nicht für jede Szene eine geniale Anwendung der Technik gibt, zumal es sehr wenig Zeit gab, alle Shots neu zu entwerfen. In 1917 hat auch nicht jede Szene vom drakonischen Einhalten der selbst auferlegten Regel profitiert. Wie gerüstartig das Drehbuch letztendlich war, kann man nur vermuten; jedenfalls hat Noé viel Kollaboration und Improvisation zugelassen, was Françoise Lebrun, Dario Argento und Alex Lutz voll ausgenutzt haben. Lebrun, die so gut wie keine Dialogzeilen im Drehbuch hatte, geistert als leere Hülle umher und bricht einem das Herz. Argento erschafft eine naturalistische Version eines Mannes, der ob seines Alters und seiner italienischen Herkunft nicht mehr ganz so flüssiges Französisch über die Lippen bekommt. Lutz spielt den Sohn, der einerseits seine eigenen Probleme und Familie hat, andererseits Eltern, wie so viele von uns, die partout nicht aus ihrer Wohnung raus oder sich wirklich helfen lassen wollen, egal wie alt und hilfebedürftig sie geworden sind.

Noé hält uns erbarmungslos das Thema Tod vor, mit dem sich niemand gerne beschäftigt. Der Weg dahin ist nicht selten hässlich, herzzerreißend und zu langwierig. Die Selbstbestimmung ist vielleicht das letzte Licht am Ende des Tunnels und es ist umso tragischer, je weniger die Gesellschaft davon zulässt. Für Angehörige und Außenstehende sind vielleicht die Zustände zuhause unzumutbar, aber für die alternde Person selbst bis zum bitteren Ende die Hochburg der eigenen Identität, ohne die die potentiell zusätzliche Lebenszeit nicht lebenswert ist.

Vortex (FR, BE, MC 2021)
Regie: Gaspar Noé
Besetzung: Françoise Lebrun, Dario Argento, Alex Lutz
Kinostart: 28. April 2022, Rapid Eye Movies

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