ANDY SHAUF – Norm


Foto-© Angela Lewis

The situation’s unclear I guess
I thought it’d happen through a friend of a friend
But it never did
I need to meet you
I need to catch your eye

I thought I saw you in the grocery store
I followed you all the way to the door
But you never did turn
I need to meet you
I need to catch your eye

(Andy Shauf – Catch Your Eye)

Ein echter Songzyklus: zwölf Stücke, die über gut 36 Minuten Spieldauer ohne Pausen ineinander fließen, verbunden durch das so einheitliche wie vielfältige Sounddesign und eine zusammenhängende Story. Früher, als das noch weniger verpönt war, nannte man ein offensichtlich hochambitioniertes Werk wie Norm von Andy Shauf Konzeptalbum. Aber was soll eigentlich verkehrt daran sein, wenn man diese bei vielen Musikkritikern nach wie vor unter Prog-Verdacht stehende Kunstform so beherrscht wie der 35-jährige kanadische Sänger und Multiinstrumentalist?

Schon Shaufs starke Vorgänger-Alben The Party (2016) und The Neon Skyline (2020) mit dem (etwas schwächeren) Anhängsel Wilds (2021) hatten ihre epischen Storyteller-Momente. Dass der junge Mann mit der weichen Elliott Smith-Stimme seine Geschichten im großen Stil zu erzählen weiß, ahnte man da schon. Aber dennoch kommt die Klasse von Norm jetzt wie ein unerwarteter positiver Schock daher. Zur Einordnung ein Schokoladenvergleich: Während The Candle And The Flame, die eine Woche davor erschienene Lebensmut-versus-Krankheit-Platte von Robert Forster (unsere Review gibt es hier), das bitter-herbe Klangspektrum von Singer-Songwriter-Musik abdeckt, frönt Andy Shauf dem sahnig-süßen Wohlklang – mit ähnlich grandiosem Ergebnis.

Der in Estevan in der kanadischen Provinz Saskatchewan geborene Musiker ist schon seit gut 15 Jahren in der Indiepop-Szene unterwegs, sein Solodebüt Darker Days beim Label Hopeless Records stammt von 2009. Nicht nur auf seither regelmäßigen, stets hörenswerten Alben, sondern auch bei Konzerten gehört Shauf zu den Stillen und Bescheidenen im Lande – und weiß gerade mit seiner großäugig schüchternen Art zu bezaubern. Das komplett von ihm allein eingespielte, dabei erstaunlich opulent klingende Norm ist nun sein selbstbewusstestes Statement. Schönere Lieder als Catch Your Eye, You Didn’t See, Paradise Cinema, Daylight Dreaming, Long Throw oder Don’t Let It Get To You wird man in diesem Musikjahr kaum hören.

Shauf nimmt hier Anleihen beim orchestralen Balladen-Pop der 60er, bei romantischen französischen Chansons und Nouvelle-Vague-Soundtracks jener Jahre, natürlich auch wieder bei späten Alben des so schmerzlich vermissten großen Vorbildes Elliott Smith wie XO oder Figure 8. Die Beatles, Prefab Sprout oder Josh Rouse schwingen ebenfalls mit in diesen melancholischen, teilweise nachtclubjazzig instrumentierten Melodien. Der Kanadier zog sich dafür während der Pandemie in sein Garagenstudio zurück und spielte hauptsächlich Gitarre, Klavier und Synthesizer ein. Lediglich Neal Pogue (Janelle Monae, Outkast) wurde dann herangezogen, um Norm zu mixen.

Nachdem er den Titelsong geschrieben hatte, beschloss Shauf, eine Erzählung um eine zentrale Figur namens Norm herum zu erfinden. Diese werde “auf wirklich nette Weise eingeführt. Aber je genauer man sich mit der Platte beschäftigt, desto mehr wird man erkennen, dass sie unheimlich ist”, sagt der Songwriter. Als offenes Ende einer angenehm dahinfließenden, aber nie plätschernden Liedersammlung funktioniert All Of My Love mit der einzigen, ratlosen Textzeile “Was all of my love wasted on You?”

Nach einer Nominierung für den kanadischen Polaris Music Prize (mit The Party), Auftritten bei Jimmy Kimmel Live! und CBS This Morning sowie breitem Kritikerlob ist es längst an der Zeit, Andy Shauf als einen der besten nordamerikanischen Singer-Songwriter ins Herz zu schließen. Mit Norm macht er es nun auch einem größeren Publikum sehr leicht.

Andy Shauf – Norm
VÖ: 10. Februar 2023, ANTI- Records
www.andyshauf.com
www.facebook.com/andyshaufmusic

Andy Shauf Tour:
06.06.23 Berlin, Columbia Theater
08.06.23 Hamburg, Uebel & Gefährlich

YouTube video

Werner Herpell

Mehr erfahren →