RETURN TO SEOUL – Filmkritik


Foto-© Aurora Films Vandertastic Frakas Productions

Ich könnte dich mit einem Fingerschnippen aus meinem Leben löschen.

(Freddie – Return To Seoul)

Frédérique Benoît (Park Ji-Min), auch Freddie genannt, steht mit ihren 25 Jahren eigentlich voll im französischen Leben, wäre da nicht ihre Herkunft, denn sie wurde als Baby aus Südkorea in Frankreich adoptiert. Als der Flug zu ihrem ursprünglichen Urlaubsreiseziel abgesagt wird, bucht sie spontan den nächstbesten Flug, egal wohin, und landet ausgerechnet in Seoul. Freddie zeigt ihre Impulsivität über die nächsten knapp zwei Stunden immer wieder. Ungeachtet der Konsequenzen folgt sie ihrer Intuition in jedem Moment. Sie vergleicht es selbst mit dem Blattlesen einer unbekannten Partitur – in einem Blick einschätzen und ins kalte Wasser springen. Allerdings pfeift sie auf das, was durch soziale Normen auf dem Notenblatt des Lebens vorgegeben wird. Es dauert nicht lange, da wird sie mit ihrer Herkunft und neuen Fragen konfrontiert, weil alle in Seoul an ihr etwas sehen, was nicht in ihr steckt: eine südkoreanische Identität. Plötzlich gehört sie nirgendwo mehr hin. Die Suche nach ihren biologischen Eltern wird nicht nur ein Thema, sondern entwickelt sich in Schüben zu einer chaotischen, aufwühlenden Achterbahnfahrt der Gefühle, die kein Ende zu haben scheint.

Für die jungen Menschen ist die Frage nach der “Herkunft” längst irrelevant. Über Migrationshintergründe denkt im Alltag untereinander niemand mehr nach. Wir sind im Hier und Jetzt, haben die Sprache und die Kultur von Anfang an gelebt, ganz egal ob unsere Hautfarbe oder unsere Namen für Ältere auf den ersten Blick “passen” oder nicht. Und doch ist es eine der ersten Fragen, die beim Kennenlernen oft gestellt wird. Freddies Antwort ist ganz klar “France”, bis sie das Schicksal in die Heimat ihrer biologischen Eltern führte. Davy Chou (Regie & Drehbuch) hat diesen Widerspruch erkannt. Da er selbst französisch-kambotianisch ist, versteht er die Dichotomie innerhalb von einer Figur wie Freddie. Er hat mit vielen koreanischen Adoptierten gesprochen und so das Konzept für diesen Film entwickelt. Diese Außenseiterperspektive erklärt weniger, als dass es eindrucksvoll den Effekt zeigt, den eine solche Entwurzelung haben kann, sowohl auf die Kinder, als auch auf die zurückgebliebene Familie. Die recht klischeehafte Darstellung einer gebrochenen Person, virtuos umgesetzt in ihrer Debütrolle von Park Ji-Min, hat eigentlich nicht direkt etwas mit den Erfahrungen von transnationalen Adoptierten zu tun. In Kombination mit hippen, neon-getränkten Aufnahmen von generischen Situationen im nächtlichen Seoul könnte es Zuschauern an wirklich neuen Einsichten fehlen, die eine Sichtung letztlich wirklich wertvoll machen würden.

Return To Seoul (FR DE BE KR RO KH QA 2022)
Regie: Davy Chou
Besetzung: Park Ji-Min, Oh Kwang-Rok, Guka Han, Kim Sun-Young, Yoann Zimmer
Kinostart: 26. Januar 2023, Rapid Eye Movies

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