ANY OTHER – stillness, stop: you have a right to remember


Foto-© Ludovica De Santis

Smoldering
This feeling that I got to learn to regulate
It put me to test
The state that I am in
I think it’s adequate

Daylight
I wasted many hours faking patience at best
What a delight
The foresight is uncanny but it gave me some stress

I get to feel better
I get to be well
If I don’t care
And keep walking the street I’m in
If I don’t care
And keep walking the street I’m in, ah-ah-ah

(Any Other – If I Don’t Care)

Any Other… der Name des Indie-Projekts der italienischen Singer-Songwriterin Adele Altro (they/them) hat vermutlich mit ihrem Nachnamen zu tun, lässt sich “altro” doch mit “other” übersetzen. Viel mehr bringt man zunächst nicht in Erfahrung – aber diese Musikerin scheint ohnehin das Enigmatische zu mögen und hat ihr drittes Studioalbum daher stillness, stop: you have a right to remember benannt. So weit, so rätselhaft. Dem Genuss dieser fein gewobenen Popsongs steht das jedoch nicht im Wege. Denn Any Other aka Adele Altro ist hier, auch wenn ihr Sound gern mit der weitaus bekannteren US-Amerikanerin Mitski verglichen wird, etwas sehr Eigenes, sehr Reizvolles geglückt – ein mit knapp 30 Minuten Spieldauer zwar kurzes, aber intensives Vergnügen.

Zwischen melodiesattem Pop (Zoe’s Seeds, Indistinct Chatter) und kratzigem 90s-Gitarrenrock (If I Don’t Care), reduzierten, fast jazzigen Acapella-Passagen (Second Thought), Singer-Songwriter-Klängen wie in den goldenen 70ern (Stillness, Stop, Need Of Affirmation) und beatlesken Streicher-Arrangements (Awful Thread, Extra Episode) entwickeln die lediglich acht Tracks eine beachtliche Spannbreite. Die selbstbewusst gegen den Strich gebürsteten Piano-Pop-Songs einer Fiona Apple kommen dem Hörer da ebenso in den Sinn wie die hochgelobte aktuelle Platte Echo The Diamond (2023) der New Yorkerin Margaret Glaspy.

Dass stillness, stop… vor einem Jahr in einem Studio in Mailand, also im Land der Italopop-Schnulzen und mediterranen Canzoni, aufgenommen wurde, vergisst man da ganz schnell. Mit den neuen Songs setzt Adele Altro einen Reifeprozess fort, der sich schon auf ihrem Any-Other-Debüt Silently. Quietly. Going Away (2015) und dem Nachfolger Two, Geography (2018) ankündigte. Und auch textlich kommt das dritte Album deutlich komplexer daher als die beiden Vorgänger.

So ist das als Single ausgewählte Awful Thread eine unverblümte Aufarbeitung des Verhältnisses zu den eigenen Eltern. “Es geht um meine Erkenntnis, dass sie, sagen wir mal, die meiste Zeit über keine guten Eltern waren”, erzählt Adele Altro. “Sie haben mir lange Zeit das Gefühl gegeben, fehl am Platz zu sein – und jetzt mache ich diese Phase einer gesunden Wut durch, in der ich mir sage: Hey, ihr hattet wirklich Glück, mich als Sohn/Tochter/was auch immer zu haben, und ihr habt es trotzdem vermasselt.” Und Extra Episode handelt von Adeles Beziehung zu ihrem Vater: “Es geht um das Erwachsenwerden und die Erkenntnis, dass man auf sich allein gestellt ist – für mich ist es das Gefühl, keine Familie zu haben, auf die ich zählen kann.”

Das hört sich jetzt alles recht ernüchternd und traurig an. Umso schöner, dass Adele Altro für ihr Projekt Any Other drumherum so erhabene, letztlich dann doch erhebende Lieder geschrieben hat.

Any Other – stillness, stop: you have a right to remember
VÖ: 26.01.2024, 42 Records
www.facebook.com/anyotherband
www.instagram.com/adelealtro

Any Other Tour:
12.04.24 München, Heppel & Ettlich
13.04.24 Darmstadt, Bedroomdisco Kirchenkonzert
14.04.24 Köln, Bumann & SOHN
15.04.24 Berlin, Kantine am Berghain
16.04.24 Hamburg, Die Hebebühne
18.04.24 Hannover, Feinkostlampe

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Werner Herpell

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