Foto-© Kai Heimberg
Gummizelle
Gummizelle
Gummizelle
hier riecht es nach Fichte
Warum ich hier bin?
Ist ’ne lange Geschichte
Mein Leben war Star Wars
die dritte Episode
Francisco de Goya
die schwarze Periode
Egal, denn das hier
ist nicht meine Ode
Nebenan schreit ein Mann
Tag und Nacht, hält mich wach
Er liegt in seinem Bett
und hat Liebes-Tourette
Er spricht von Romantik
links und rechts des Atlantik
Von der Frau, die sein Ego
demontierte wie Lego
Der denglische Patient
der vor Sehnsucht verbrennt
Er singt:
»Goddamn motherfucker
why I gotta love you so much?
Goddamn motherfucker
why I gotta love you so much?
why I gotta love you so much?«
(Timo Blunck – Der denglische Patient)
Die Verbindung von Musik und Literatur hat es Timo Blunck, einst bei den legendären NDW-Bands Die Zimmermänner und Palais Schaumburg sowie später bei den Grace Kairos, schon länger angetan. Mit Der Schlaf Fotograf legt der inzwischen 63-jährige Sänger, Songschreiber, Buchautor und Produzent sein drittes Soloalbum seit Timo (1990) vor – und erneut kann man dazu zeitgleich einen Roman mit engen Bezügen zu einigen der Songs lesen. Ein mutiges Konzept, das auch jetzt wieder perfekt aufgeht, wie schon vor sieben Jahren.
Blunck war bereits in den 80ern ein cooler, musikalisch unvorhersehbarer Typ, und das hat er bei vielen Stationen zwischen Hamburg, Louisiana, Los Angeles und Lüneburger Heide (wo er heute lebt) beibehalten. Da diese Künstlerbiografie eine Menge Song- und Romanstoff bietet, hatte er das Experiment mit dem gedoppelten Hatten wir nicht mal Sex in den 80ern? (2018) gewagt. Nun beziehen sich immerhin drei Stücke von Der Schlaf Fotograf (Kulturmanufaktur Dussmann) direkt auf den dazugehörigen schrägen Krimi Ein kleines Lied über das Sterben (Emons Verlag). Der kleinste IQ der Welt (mit namentlichem Trump-Nazi-Bashing – zu wem sonst gehört wohl die im Titel genannte mindere Intelligenzleistung?), Notiz an mich selbst: Fick dich! und Engelfrikassee machen so richtig Lust auf den Roman.
Cool wie der Künstler-Typ Timo Blunck klingt das Album auch musikalisch. Er selbst beschreibt es als „Jazz-Odyssee in 10 Songs“, und etwas Jazz ist hier tatsächlich zu hören, allerdings nicht im intellektuell verkopften Sinne, sondern als Zutat zu einem souligen, funkigen, karibischen, yachtrockigen Fusion-Cocktail. Inspiriert von Künstlern wie Steely Dan (ja, oft), Stevie Wonder (hin und wieder) und Miles Davis (schon seltener) wurde diese Platte laut PR-Info. Man kann auch Prince (dessen Falsett und „Goddamn Motherfucker“-Lyrics in Der denglische Patient ziemlich direkt zitiert werden), die Seventies-Soul-Bigband Earth Wind & Fire, den britischen Pop-Jazzer Jamie Cullum oder den Filmkomponisten John Barry (dessen berühmte James-Bond-Soundtrack-Fanfare in Die nackte Göttin auftaucht) als Einflüsse identifizieren. Sehr lässiges Zeug jedenfalls.
Clever, frivol, manchmal fies makaber, mit ironisch gebrochener Macho-Attitüde, hübsch absurd und oft sehr lustig – wie von Timo Blunck halt gewohnt – sind die Texte der zehn Stücke. Es macht wirklich Spaß, sie mitzulesen. Zumal es angemessen humorvolle Liner-Notes der „modernen Beatnik-Autorin“ Liane Huwaldt aus Berlin dazu gibt. Deren Einstieg liest sich dann so: „Schmeißt eure Chromteile weg und spitzt die Ohren, Leute, denn Timo Bluncks neuestes Werk ist eine wilde Jagd durch die abstrakten Dschungel von Klang und Wort. Dies ist nicht einfach nur ein Album, es ist ein Trip in die unerforschten Territorien von Bluncks Geist, wo die Fiktion regiert und die Realität nur als Kulisse dient.“ Klasse!
Traurig wird es auf diesem schlauen Deutschpop-Album nur, wenn man die Lead- und Backgroundstimme der 2020 mit gerade mal 48 Jahren gestorbenen Hamburger Soul-Sängerin Regy Clasen vernimmt, deren wunderbarer Gesang hier also nochmal zu hören ist. Ansonsten ist Der Schlaf Fotograf vor allem eine groovige Sommer-Platte – mit Texten zum Hinhören, wenn man Bock drauf hat. Oder, wie Liane Huwaldt zusammenfasst: „Da habt ihr es, ein Album, das mehr ist als nur Musik: Timo Bluncks dritter Alleinflug ist die Leinwand eines zeitgenössischen Beat-Poeten, der Groove, der mit deinem Gehirn schmust, eine jazzdurchtränkte Odyssee durch das vogelwilde Reich seiner Vorstellungskraft.“
Fazit: Der Schlaf Fotograf ist, kurz nach dem starken Comeback von Reinhold Heil (ex Spliff) mit dem politisch überaus korrekten Freiheit Geilheit Männlichkeit (VÖ 30. Mai 2025), das nächste tolle Spätwerk eines früheren NDW-Protagonisten.
Timo Blunck – Der Schlaf Fotograf
VÖ: 20. Juni 2025, Kulturmanufaktur
www.timoblunck.com
www.facebook.com/timoblunckautor
