
Foto-© Shervin Lainez
Feel free
Let It Be or Let It Bleed
John or Paul, Mick or Keith
Feel free
Feel free
Think of your name on a marked key
Aim for something you can’t see
Feel free
Feel free
Spin around and get dizzy
Do I know him? Who is he?
Feel free
Feel free
Get yourself born in the USA
Love with a love they can’t take away
Feel free
Feel free
Shave your head in the sink
Be brave, don’t think
Feel free
Feel free
Put your love above the parts you play
Keep your love away from what you get paid
Feel free
Feel free
Make a record with your friends
Sing a song that never ends
Feel free
(Jeff Tweedy – Feel Free)
Als im Juli via Mojo die Nachricht von einem Triple-Soloalbum des Wilco-Masterminds Jeff Tweedy aufpoppte, veröffentlichte das renommierte britische Musikmagazin sogleich ein Interview mit diesem über alle Maßen fleißigen Songwriter. Der 58-Jährige beantwortete die im Raum stehende Frage, ob es denn nun wirklich gleich drei Platten mit fast zwei Stunden Gesamtspieldauer sein mussten, in typisch lakonischer Tweedy-Manier: „I don’t care if people think a triple record’s too long. I mean, fuck you! You don’t have to listen to it.“
Im übrigen sei der Aufwand (für ihn selbst und für die Hörer) inhaltlich gerechtfertigt: „It’s a big open-hearted outpouring, the defining statement of my solo career so far.“ Dieses „Magnum opus“ (The New York Times) sei sein Versuch, „to let go of some of the heaviness and up the wattage on my own light“ (in etwa: „etwas von der Schwere loszulassen und mein eigenes Licht heller strahlen zu lassen“), schrieb der US-Amerikaner aus Chicago auf Facebook.
So reiht sich Jeff Tweedy mit Twilight Override nun in ein schmales Segment an Dreifach-Alben ein, von denen nur wenige wirklich über die gesamte Länge tragen, während die meisten (von Emerson, Lake & Palmer bis Kanye West) in editierter Form, mit weniger prätenziösem Sendungsbewusstsein, wohl besser geworden wären. George Harrisons All Things Must Pass (1970) war eine der ersten unangreifbar wichtigen Triple-Platten der Rock-Geschichte, Sandinista! (1980) von The Clash mit seiner Überlänge schon umstrittener, Yessongs (1973) von Yes und The Last Waltz (1978) von The Band fallen als Live-Mitschnitte aus der Wertung. Zuletzt sorgten Have One On Me (2010) von Joanna Newsom und The Epic (2015) von Kamasi Washington für allgemein beifälliges Nicken trotz ihrer enormen Spieldauer.
Und wo bleibt in diesem Triple-Reigen nun Jeff Tweedy mit seinem 111-Minuten-Dino? Man muss kein Wilco-Aficionado sein – wie, zugegeben, dieser Schreiber einer ist -, um Twilight Override zu den gelungenen, ja essenziellen Dreifach-Platten zu zählen. Denn der Mann hat ja Recht: Dies ist tatsächlich „ein großes, offenherziges Bekenntnis, das entscheidende Statement meiner Solokarriere“. Und mal im Ernst, was sollte an einem Album falsch sein, von dessen 30 Songs kein einziger schwach oder überflüssig ist, mindestens ein Dutzend aber herausragend (übrigens auch im hohen Wilco-Maßstab).
Wäre in der Beschränkung auf ebendiese 12 bis 15 Über-Tracks nun ein noch grandioseres, noch nachhaltigeres ewiges Meisterwerk herausgekommen? Mag sein – aber dann wäre der besondere Zauber dieser gleichsam maßlosen Hörerfahrung, dieses schier unendlichen kreativen Flows, nicht derselbe gewesen. Nein, man möchte letztlich, von dem ins Psychedelische ausfransenden Indie-Folk-Opener One Tiny Flower bis zum die Kinks zitierenden, fröhlichen Gitarrenpop-Track Enough am Ende, kein einziges Lied auf dieser langen Reise durch Jeff Tweedys Gedankenwelt und Kompositionskunst missen.
Und man wird bei 30 Angeboten selbstredend mit jedem Durchlauf neue Lieblingslieder finden. Parking Lot beeindruckt mit sensiblen Spoken-Word-Anteilen, No One’s Moving On mit Krautrock-Drive, Lou Reed Was My Babysitter setzt dem größten Miesepeter der Rock-Historie ein launiges Denkmal (unbedingt das Video anschauen!). Einige hauchzarte, von Tweedys so vertrauter, weltmüde-melancholischer Stimme und etwas Gitarre oder Geige getragene Lieder sind zu hören (Folk in allen Varianten und Verzweigungen ist insgesamt das stilistische Rückgrat von Twilight Override). Manchmal klingen die Sixties durch, insbesondere die akustischen Beatles. Oder auch Gospel, den der Wilco-Boss spätestens als Produzent der großen Spiritual-Soul-Dame Mavis Staples lieben gelernt hat.
Etwa Feel Free, der mit gut sieben Minuten längste Song des Albums. Mantra-artig und strophenreich wie Bob Dylan beschwört Tweedy sich selbst, seine Liebsten, seine Hörer, auch angesichts der katastrophalen Entwicklungen in seiner Heimat innere Freiheit, Lebensfreude, Zuversicht nicht preiszugeben. Eine Art „Die Gedanken sind frei!“ für das sich autoritär entwickelnde 21. Jahrhundert, zumindest für die bleierne Trump-Zeit. Am Schluss singt dieser kluge, einfühlsame Songschreiber: „Feel free/make a record with your friends/sing a song that never ends/feel free“. Und man möchte tatsächlich, dass dieses wunderbare Mutmacher-Lied, dass das zutiefst berührende, meisterhafte Triple-Album Twilight Override nie endet.

Jeff Tweedy – Twilight Override
VÖ: 26. September 2025, dBpm Records
www.jefftweedy.com
www.facebook.com/JeffTweedyHQ

