MR. NICE – Filmkritik

Das hier ist kein James Bond-Film

Der Film scheint das geeignetste Medium zu sein, um die Geschichte von Howard Marks (Rhys Ifans) zu erzählen, denn eins muss er schon immer gewesen sein: ein begnadeter Schauspieler. Das macht der Film auch von Anfang an klar, wenn eine klapprige, abgehalfterte Gestalt in einem weißen Anzug die Bühne eines Theaters betritt, um sein ereignisreiches Leben Revue passieren zu lassen.

In Bilder gefasst wird hier das Leben eines Verbrechers, genauer gesagt eines globalen Drogenhändlers. Dass dieser trotzdem alle Sympathien des Zuschauers gewinnen kann, liegt an mehreren Erzählstrategien. Die Kindheit Howards spielt sich in einem walisischen Kohleabbaugebiet ab, wo er in der Schule, weil er überdurchschnittlich intelligent ist, als Streber gemobbt und verprügelt wird. Er tritt die Flucht nach vorn an, nimmt sein Leben selbst in die Hand und erarbeitet sich ein Stipendium in Oxford. Dort macht er seine ersten lebendigen Erfahrungen mit Frauen und Drogen. Was diese Erfahrungen für den Countryside-Jungen bedeuten spiegelt der Wechsel von schwarz-weißen zu farbigen Bildern wieder. Nach dem Philosophie- und Physikstudium will er eigentlich Lehrer werden, doch seine Studienkontakte lassen ihn nicht los und mehr oder weniger zufällig, obendrein davon überzeugt, dass der Joint zum globalen Frieden beiträgt, steigt er ins Drogengeschäft ein. Weniger getrieben von finanzieller Gier als vielmehr von der Suche nach intellektuellen Herausforderungen macht er immer größere Geschäfte, reist in die Produktionsländer von Haschisch und Marijuana und führt den Zoll ein ums andere Mal an der Nase herum. Als ein alter Freund aus Studienzeiten ihn auch noch für den britischen Geheimdienst anwirbt, bekommt er quasi einen Freibrief für den internationalen Handel. Neben seiner kriminellen Karriere ist er auch liebender Ehemann und Vater, was ihn natürlich noch sympathischer macht, als er als schrulliger Selfmade-Underdog sowieso schon ist. Wenn er doch mal geschnappt wird – was meist daran liegt, dass einem seiner benebelten Komplizen eine irrwitzige Panne in der Planung oder Ausführung von Howards Plänen unterläuft – stellt er dem Justizsystem sein eigenes Bein und baut sich erneut ein von Rauchschwaden umhülltes Imperium auf. Geschnappt und bestraft wird er am Ende trotzdem, was einem Happy End aber nicht im Wege steht.

Die starke Bemühung des Films um Authetiziät, die Suggestion von dokumentarisch anmutetenden, grobkörnigen Bildern, lenkt aber die Aufmerksamkeit fast immer stärker auf das “Wie” der Darstellung als auf die Geschichte, die erzählt wird, bzw. auf das Spannungsverhältnis, das sich aus der künstlerisch-audiovisuellen Präsentation eines Films und der Darstellung einer Biographie ergibt. Man erkennt schnell, dass man es hier mit der stilisierten, romantischen Selbstdarstellung – die in der gestohlenen Identität des Mr. Nice gipfelt – eines Anti-Helden zu tun hat. Das mindert allerdings keineswegs die Qualität des Films, im Gegenteil, das steigert gar die Freude an der selbstironischen, wahnsinnig komischen Geste die Marks retrospektiv stets durchscheinen lässt.

Mr. Nice (2010)
Regie: Bernard Rose
Darsteller: Rhys Ifans, Chloë Sevigny, David Thewlis
VÖ: 25. November 2011, Koch Media